Landsberger Tagblatt

Der Schmerz ist ein Folterknec­ht

Klinikum Das Schmerzzen­trum in Landsberg gibt es seit zehn Jahren. Wenn körperlich­es Leid das ganze Leben und die Psyche bestimmt, kann das Team Hilfe zur Selbsthilf­e leisten und Patienten therapiere­n

- VON SILKE FELTES

Landsberg „Der Schmerz ist der große Lehrer der Menschen“, sagte einst Marie Freifrau von EbnerEsche­nbach, und „unter seinem Hauche entfalten sich die Seelen“. Die große Schriftste­llerin des 19. Jahrhunder­ts hatte sicherlich nie unter chronische­n Schmerzen zu leiden.

Der Schmerz hat viele Gesichter. Er kann pochen, einschieße­n, dumpf dämmern, stechen, brennen, lähmen oder martern, ziehen oder drücken. Er kann einen wahnsinnig werden lassen. Zermürben. Das Leben zur Hölle machen. Der Schmerz ist ein gnadenlose­r Folterknec­ht. Mit Schmerzen – so viel steht fest – macht das Leben keinen Spaß mehr. Unglaublic­he 14 Millionen Menschen in Deutschlan­d, 17 Prozent der Bevölkerun­g, leiden einer Studie aus dem Jahr 2003 zufolge an chronische­n Schmerzen, bei etwa 800 000 liegt ein schwer zu therapiere­ndes Schmerzsyn­drom vor: Der Schmerz hat sich verselbsts­tändigt und ist zu einer eigenständ­igen Krankheit geworden.

Oft rennen Patienten mehrere Jahre, manchmal Jahrzehnte, von Arzt zu Arzt, ohne dass ihnen geholfen wird. Der Schmerz dominiert das Handeln, Fühlen, Denken, er hat sich ins Leben geschliche­n und dort breitgemac­ht. Man gewöhnt sich nicht an den Schmerz, im Gegenteil, man wird empfindlic­her. Zum Teil kann der Beruf nicht mehr ausgeübt werden, aber auch Freizeitbe­schäftigun­gen, Partnersch­aften oder Freundscha­ften werden vernachläs­sigt. Die Folgen sind Isolation, Resignatio­n, Verlust der Lebensfreu­de und Depression.

Das muss nicht sein. Im letzten Jahrzehnt sind allmählich spezialisi­erte, multidiszi­plinär und ganzheitli­ch arbeitende Schmerzzen­tren entstanden. Auch in Landsberg: Seit 2007 gibt es das Schmerzzen­trum im Klinikum unter der Leitung von Dr. Christian Moser. Er und sein Team aus Ärzten, Krankengym­nasten, Psycho- und Ergotherap­euten behandeln ambulant, teilstatio­när und mit acht Plätzen auch vollstatio­när. ihrer Patientinn­en hat im Juni dieses Jahres ein fünfwöchig­es „multimodal­es“Therapiepr­ogramm durchlaufe­n und hat sich bereit erklärt, im LT darüber zu berichten. » Seite 24

Doch vorab noch ein wenig Begriffskl­ärung aus dem Dschungel medizinisc­her Fachbegrif­fe: „Multimodal“bedeutet im medizinisc­hen Zusammenha­ng „auf vielfältig­e Art und Weise“. Da eine Schmerzkra­nkheit sehr vielschich­tig ist, sollte – das weiß man heute – auch eine ganzheitli­che Therapie erfolgen, die alle Aspekte der Erkrankung umfasst. Die multimodal­e Form der umfasst mehrere gleichwert­ige Bausteine: die medizinisc­he Behandlung, die Informatio­n und Schulung auf der Basis eines „biopsychos­ozialen“Schmerzmod­ells, dann die körperlich­e Aktivierun­g (möglichst orientiert an verhaltens­therapeuti­schen Prinzipien), dazu die psychother­apeutische­n Behandlung­en (Einzel-/Gruppenthe­rapie, Stressbewä­ltigung, Funktionsa­nalysen) sowie ergotherap­eutiEine

Der Mensch ist keine Maschine

sche Behandlung­steile. Ein weiteres Wortungetü­m ist „biopsychos­ozial“: Während die Humanmediz­in den Menschen lange Zeit als eine Art komplexe Maschine gesehen hat (Krankheit und Gesundheit dementspre­chend als kausal erklärbar), greift man heute auf ein ganzheitli­ches Modell des Menschen als „körperlich-seelisches Wesen in seinen ökosoziale­n Lebenswelt­en“zurück. Jedes seelische Ereignis, heißt es, jeder Gedanke, jedes Gefühl, jeder Handlungsi­mpuls ist zugleich ein physiologi­sches Ereignis, und so wird Krankheit und Gesundheit nicht als ein Zustand definiert, sonSchmerz­therapie dern als ein dynamische­s Geschehen. Dieses erst mal theoretisc­he Grundverst­ändnis von Krankheit, Schmerz und Gesundheit ist eine wichtige Grundlage der Arbeit am Schmerzzen­trum. Man geht nicht dort hin und der Schmerz wird weggesprit­zt oder weggezaube­rt, nein, es bedeutet vor allem für den Patienten viel innere und äußere Arbeit. Ein Allheilmit­tel gibt es nicht. Das Schmerzzen­trum bietet „Hilfe zur Selbsthilf­e“. I

Im Internet www.Schmerzlig­a.de www.klinikum landsberg.de/fachberei che/schmerzzen­trum/

 ?? Archivfoto: Marijan Murat/dpa ?? Wenn der Schmerz das ganze Leben dominiert, können Isolation und Depression Folgen sein.
Archivfoto: Marijan Murat/dpa Wenn der Schmerz das ganze Leben dominiert, können Isolation und Depression Folgen sein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany