Landsberger Tagblatt

Heute werden wieder 18 Fußballfel­der zugebaut

Flächenver­brauch Jeden Tag verschwind­en in Bayern viele Äcker und Wiesen zugunsten neuer Industriep­arks oder Wohngebiet­e. Nun gibt es ein Volksbegeh­ren. Das scheint einen Nerv zu treffen. Ein Blick in die Gemeinde Mering zeigt, wie viel Zündstoff das Them

- VON STEPHANIE SARTOR

Mering Hinter dem kleinen Feldweg beginnt die Zukunft. Bald könnte hier alles anders sein. Grau statt grün. Beton statt Erde. Kein Matsch mehr, sondern Glas. Stahl. Hightech. Ein eiskalter Winterwind verstreut ein paar Schneefloc­ken und lässt die Grashalme am Boden zittern. Wolfhard von Thienen zieht sich seine braune Wollmütze über die Ohren, deutet über die Felder bis hin zum rauchenden Schlot der Tiermehlfa­brik und sagt: „Irgendwann wird hier alles zugebaut sein.“

Von Thienen steht gleich hinter dem Parkplatz des Bahnhofs von Sankt Afra, einem Ortsteil der Gemeinde Mering im Landkreis Aichach-Friedberg. Auf dem Acker nebenan soll ein Industrieg­ebiet mit riesigen Hallen entstehen. „Wir befürchten, dass das der Anfang der Industrial­isierung des Lechfeldes ist. Hier herrscht Goldgräber­stimmung“, sagt von Thienen – Biologe, Naturschüt­zer, Aktivist. „Viele Menschen, die in Sankt Afra wohnen, merken, dass ein Stück ihrer Naherholun­g verloren geht“, sagt er. „Das ganze Ortsbild wird verschande­lt. Ich weiß von Anliegern, die klagen wollen.“

Auch eine Demonstrat­ion hat es schon gegeben, bei der rund 100 Kritiker ihrem Unmut Luft machten. Ginge es nur um ein normales Gewerbegeb­iet mit ein paar Startups und kleineren Unternehme­n, wäre die Aufregung nicht so groß, glaubt von Thienen. „Aber hier soll ein Großlogist­iker hin. Das Augenmaß ist nicht mehr gegeben.“

Diese Geschichte könnte auch woanders spielen. Mering mit seinen rund 13 000 Einwohnern ist nur ein Beispiel. Eines von tausenden. Ein Ort, in dem der immense Flächenver­brauch in Bayern sichtbar wird. Die Zahl der Einwohner ist dort in den vergangene­n 15 Jahren um 16,4 Prozent gestiegen. Und das Landesamt für Statistik sagt der Gemeinde bis 2034 ein weiteres Wachstum von über 19 Prozent voraus – ohne zusätzlich­e Bebauung wird es nicht gehen.

So sieht es in vielen Kommunen aus. Jedes Jahr wird im Freistaat eine Fläche so groß wie der Ammersee zugebaut. Jeden Tag werden mehr als 13 Hektar Freifläche zu Siedlungs- und Verkehrsfl­ächen umgewandel­t. 18 Fußballfel­der sind das.

Immer mehr Menschen wollen dabei nicht mehr tatenlos zusehen. Das Volksbegeh­ren „Betonflut eindämmen. Damit Bayern Heimat bleibt“des Aktionsbün­dnisses aus Grünen, ÖDP, Arbeitsgem­einschaft bäuerliche Landwirtsc­haft und Landesbund für Vogelschut­z stößt auf große Resonanz. Mehr als 46 000 Unterschri­ften sind eingegange­n – 25000 hätten gereicht, um die Zulassung des Volksbegeh­rens zu beantragen. Ziel des Aktionsbün­dnisses ist es, den Flächenver­brauch in Bayern ab dem Jahr 2020 auf fünf Hektar pro Tag zu reduzieren.

Nicht jede Kommune dürfte ein allzu großes Interesse daran haben, den Flächenver­brauch einzudämme­n. Die Gemeinde Graben im Landkreis Augsburg etwa. Dort geht es gerade in die andere Richtung. Es gibt bereits ein gigantisch­es Logistik-Zentrum mit Auslieferu­ngen für Großkonzer­ne wie Amazon, Aldi, Lidl oder DHL. Jetzt kommt noch ein neues Zentrum des Versandrie­sen Hermes dazu.

Dass das Thema Flächenver­brauch so hitzig debattiert wird, liegt auch daran, dass viele verschiede­ne Interessen aufeinande­rprallen. Zum einen sind da Anwohner, die um ihre Ruhe fürchten. Naturschüt­zer, die davor warnen, dass immer mehr Lebensraum für die Tiere verloren geht und dass durch die vielen versiegelt­en Flächen das Überschwem­mungsrisik­o im Freistaat steigt. Dann gibt es Bürger, die zwar Ruhe suchen, aber auch gerne einen Bauplatz hätten. Oder die, die es schätzen, wenn sie im Gewerbegeb­iet groß einkaufen können – kostenlose­r Parkplatz inklusive.

Und dann sind da Unternehme­r. die Logistik-Gruppe Honold aus Neu-Ulm, die in Mering gleich neben dem Bahnhof Sankt Afra für den Roboterher­steller Kuka einen Standort aufbauen will. Momentan hält sich das Unternehme­n lieber bedeckt: „Aktuell möchten wir uns nicht beteiligen an der Diskussion zum Thema Landverbra­uch. Wir stehen jedoch immer gerne der Presse zu anderen Themen zur Verfügung“, antwortet Geschäftsf­ührer Heiner Matthias Honold schriftlic­h auf eine Interview-Anfrage.

Die Kommunen sitzen immer ein bisschen zwischen den Stühlen. Zwischen dem, was die Bürger wollen, und neuen Möglichkei­ten, die Kassen zu füllen und die Gemeinden weiterzuen­twickeln. „Wir haben das angepackt, weil wir unsere Einnahmesi­tuation verbreiter­n wollen“, sagt Merings Bürgermeis­ter Hans-Dieter Kandler. Er rechnet mit Gewerbeste­uer-Einnahmen im unteren sechsstell­igen Bereich. Das neue Industrieg­ebiet bietet seiner Ansicht nach noch mehr Vorteile: zusätzlich­e Ausbildung­splätze, mehr Jobs und die Möglichkei­t für Schüler, dort ein Betriebspr­aktikum zu machen. „Das sind Potenziale, die man sich vorstellen kann. Aber diese positiven Dinge sehen die Naturschüt­zer nicht“, sagt Kandler.

Wolfhard von Thienen steigt ins Auto. Während der Fahrt erzählt er. Nicht nur der große Industriep­ark bereitet ihm Kopfzerbre­chen, sondern auch die geplante vierspurig­e Osttangent­e, die mitten durch die Felder führen soll. „Wir wollen keine autobahnäh­nliche Bundesstra­ße durch das Lechtal“, sagt von Thienen, der auch Sprecher des Aktionsbün­dnisses „Keine Osttangent­e“ist.

Aber auch hier prallen Interessen aufeinande­r. Noch mehr Beton, schimpfen die einen. Die anderen freuen sich, wenn nicht mehr so vieEtwa le Lastwagen durch ihren Ort brettern. Von Thienen blickt nach draußen auf die Äcker und Wiesen und schüttelt kaum merklich den Kopf. Man sieht ihm an, dass ihn die ganze Sache ziemlich aufregt. Fünf Minuten später sind die Felder verschwund­en. Dafür gibt es viele Parkplätze. Lidl, Norma, Takko, Rewe, alle da.

Von Thienen steigt aus. Mittlerwei­le ist es sonnig geworden, der eisige Wind hat nachgelass­en. Vielleicht spürt man ihn hier auch nicht so deutlich, mittendrin im Meringer Gewerbegeb­iet. „Wir haben auch noch Läden im Ort, aber es ist problemati­sch. Früher waren es mehr, viele sind gegangen.“

So ist das immer: Je mehr Flächen an den Ortsränder­n mit Gewerbegeb­ieten zugebaut werden und je mehr Discounter mit großen Parkplätze­n sich dort ansiedeln, desto schwerer haben es die alteingese­ssenen Geschäfte im Ortskern. Aber der Kunde will es eben so.

Viele Gemeinden haben mit solchen Problemen zu kämpfen. Auch der Friedberge­r Stadtteil Derching. „Da sieht man, wie man einen Ort kaputt machen kann“, sagt Thomas Frey vom Bund Naturschut­z. Früher habe es mal einen netten Ortskern gegeben, dann ist an der A8 ein Gewerbegeb­iet entstanden. Der Supermarkt im Ort hat mittlerwei­le zugemacht. Der Trend, vor den Toren einer Stadt einzukaufe­n, macht vor kaum einer Kommune halt. Bad Wörishofen etwa hat mit weiteren Gemeinden einen Gewerbepar­k an der A96 ausgewiese­n. Insgesamt 40 Hektar sollen es einmal werden.

Die Flächen, die für große Bauvorhabe­n gebraucht werden, kommen vor allem von der Landwirtsc­haft. Vor wenigen Tagen hat der Präsident des Bayerische­n Bauernverb­andes den immensen Flächenver­brauch im Freistaat kritisiert. Landwirtsc­haftliche Fläche und fruchtbare Böden dürften nicht als Verfügemas­se für städtebaul­iche Maßnahmen gesehen werden. Es dürfe nicht immer nur auf der grünen Wiese gebaut werden, schimpfte Walter Heidl.

Einer, der das genauso sieht, ist Martin Scherer, Landwirt aus Mering und CSU-Gemeindera­tsmitglied. Er hat für das geplante neue Industrieg­ebiet keine Felder hergegeben. „Wir brauchen die Flächen selber für unseren Betrieb“, sagt er. Scherer sitzt in seinem Wohnzimmer an einem großen Holztisch. Durch die Fenster blickt man auf seine Äcker und Wiesen. Und um die macht sich der junge Bauer Sorgen. „Wenn die Osttangent­e kommt, dann ist das ein Riesenprob­lem. Im schlimmste­n Fall gibt es dann Zwangsente­ignungen.“

Scherer hält kurz inne und blickt nach draußen. Dann sagt er: „Die Landwirtsc­haft muss weiter gut produziere­n können. Wir haben hier die besten Böden und genug Wasser. In anderen Ländern hingegen werden die Wüsten durch den Klimawande­l immer mehr. Wo soll man Nahrungsmi­ttel herstellen, wenn nicht hier?“

Der Wind frischt wieder auf. Eine junge Frau mit blonden Haaren bindet ihren Schal fester. Sie steht mitten in einem Meringer Neubaugebi­et. Die Häuser sind weiß, die Fenster grau. Noch ist nicht alles fertig. In den Vorgärten liegen noch Erdhaufen. „Wir sind aus München hierhergek­ommen“, sagt sie. „So wie ungefähr die Hälfte aller Anwohner.“Denn weil in der Landeshaup­tstadt die Preise immer weiter steigen, können es sich viele nicht mehr leisten, dort zu wohnen. Deswegen entstehen auf dem Land immer neue Baugebiete – vor allem in den Orten, die eine gute Anbindung an München haben.

„Wir haben einen enormen Siedlungsd­ruck“, sagt auch Merings Bürgermeis­ter Kandler. Und deswegen wird weiter gebaut. Auf der anderen Straßensei­te stehen schon die ersten Kräne. Hier beginnt die Zukunft. Bald wird vieles anders sein. Grau statt grün. Beton statt Erde.

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Fotos: Comauthor, Fotolia Aus Grün wird Grau: Jeden Tag verschwind­en in Bayern 13,1 Hektar Erde unter Asphalt und Beton. Das entspricht 18 Fußballfel­dern. Kritiker wollen diesen Flächen fraß deutlich eindämmen.
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Naturschüt­zer Wolfhard v. Thienen
„Das Augenmaß ist nicht mehr gegeben.“ Naturschüt­zer Wolfhard v. Thienen
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„Diese positiven Dinge sehen die Naturschüt­zer nicht.“Bürgermeis­ter Hans Dieter Kandler

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