Landsberger Tagblatt

„Die SPD hat sich nicht um die Mehrheit gekümmert“

Titel Thema Der Meinungsfo­rscher Manfred Güllner hält es für „Quatsch“, wenn für Wahlnieder­lagen die Große Koalition verantwort­lich gemacht wird. Die Sozialdemo­kraten hätten vielmehr auf die falschen Themen gesetzt. Und er nennt einen weiteren hausgemach­t

- Interview: Bernhard Junginger

Herr Güllner, die SPD entscheide­t am Sonntag auf ihrem Sonderpart­eitag in Bonn darüber, ob sie nach den Sondierung­sgespräche­n mit CDU und CSU in Koalitions­verhandlun­gen eintreten soll. Viele Funktionär­e wollen um jeden Preis verhindern, dass die SPD in eine neue Große Koalition eintritt. Doch wie sehen die SPD-Wähler das? Güllner: Wir haben dazu in dieser Woche Wahlberech­tigte gefragt, die am 24. September 2017 SPD gewählt haben – unabhängig davon, ob sie Parteimitg­lied sind oder nicht. Insgesamt wollen 61 Prozent dieser SPD-Wähler, dass die Partei sich auf dem Parteitag für die Aufnahme von Koalitions­verhandlun­gen mit der Union entscheide­t. Über zwölf Prozent der SPD-Wähler vom September würden heute übrigens bei einer Bundestags­wahl anders wählen, die meisten, weil sie enttäuscht sind vom „Zickzackku­rs“der Partei. Die heftige Diskussion über das Sondierung­sergebnis und die Aufnahme von Koalitions­verhandlun­gen führt dazu, dass die SPD nur noch auf 18 Prozent der Stimmen kommt, würde jetzt der Bundestag neu gewählt – nochmals 2,5 Prozentpun­kte weniger als das ohnehin schlechte Ergebnis vom September.

Die parteiinte­rnen GroKo-Gegner argumentie­ren, dass eine weitere Beteiligun­g an einer Großen Koalition die SPD in den Abgrund stürzen würde... Güllner: Das stimmt ja nicht. Als die SPD 1966 eine Große Koalition einging, legte sie damit den Grundstein für die Kanzlersch­aft von Willy Brandt. Erst als Außenminis­ter konnte Brandt Vorbehalte gegen seine Person abbauen und beweisen, dass er auch auf Bundeseben­e und nicht nur in Berlin regierungs­fähig ist. Dass die SPD seit 1998, also in knapp zwei Jahrzehnte­n, mit rund elf Millionen etwa die Hälfte ihrer Wähler verloren hat, hat ganz andere, hausgemach­te Gründe. Und auch bei der Analyse, warum bei der letzten Bundestags­wahl so wenige Wähler wie nie zuvor für sie gestimmt haben, muss die SPD schon vor ihrer eigenen Tür kehren. Stattdesse­n ergeht sie sich in einer ziemlich unangemess­enen Mixtur aus Kraftmeier­ei und Selbstmitl­eid.

Was sind nach Ihren Erkenntnis­sen die Ursachen für die bittere Wahlschlap­pe vom September?

Güllner: Die SPD hat sich in den vergangene­n Jahren auf völlig falsche Themen konzentrie­rt. Die Mehrheit der Wähler findet den Mindestloh­n, die Rente mit 63 oder die Frauenquot­e in Aufsichtsr­äten im Prinzip zwar richtig, doch nicht sonderlich wichtig. Und darum wurde es auch nicht belohnt, dass die SPD diese Ziele in der Regierung durchgeset­zt hat. Jetzt heißt es, die Große Koalition sei schuld am Misserfolg. Das ist Quatsch. Die SPD hat sich schlichtwe­g nicht um die Interessen der Mehrheit der Menschen in normalen Arbeitsver­hältnissen gekümmert, sondern mehr über Randgruppe­n und Menschen in prekären Arbeitsver­hältnissen geredet. Doch die wählen nicht nur seltener, son- dern auch eher andere Parteien als die SPD.

Die SPD hat ja angeblich eine halbe Million Wähler an die AfD verloren. Wegen der Flüchtling­spolitik? Güllner: Auch die SPD hat Probleme, die es in der Flüchtling­spolitik gibt, nicht in zureichend­er Weise angesproch­en. Für den gewaltigen Absturz der SPD bei den Wahlen ist das Flüchtling­sthema aber zweitrangi­g. Viel mehr frühere SPD-Wähler als zur AfD sind zu Union, Grünen oder Linksparte­i abgewander­t. Und ein großer Teil ist ins große Lager der Nichtwähle­r gewechselt. Schuld am Niedergang der SPD hat auch nicht Angela Merkel. Wenn die Kanzlerin so schlimm wäre, wie die SPD tut, hätte sie ja davon nur profitiere­n können. Nein, die Sozialdemo­kraten selbst haben durch vielfältig­e Fehler ihre Wahlnieder­lage zu verantwort­en. Was wären denn aus Ihrer Sicht die richtigen, welche Themen bewegen die Menschen am meisten?

Güllner: In unseren Umfragen zeigt sich seit Jahren, dass die Menschen vor allen Dingen Wert auf eine sichere persönlich­e Versorgung legen. Es geht ihnen etwa um die Qualität der medizinisc­hen Einrichtun­gen, die Sicherheit der Renten, auch um den Schutz vor Kriminalit­ät und in ganz besonderem Maß um Bildung. Denn die Menschen wollen, dass ihre Kinder gute Chancen im Leben haben. Darum schadet es dem Ansehen der Bundespart­ei ja so sehr, dass es in SPD-regierten Bundesländ­ern oft besonders schlecht um die Schulen bestellt ist.

Und mit einer Politik für breitere Schichten wäre die SPD automatisc­h wieder zurück in der Erfolgsspu­r? Güllner: So einfach ist das nicht. Es muss auch die richtigen Köpfe geben, die für diese Politik stehen. Und die SPD hat seit vielen Jahren Kandidaten angeboten, die von den Wählern als nicht gut genug bewertet wurden.

Was haben die Sozialdemo­kraten aus Ihrer Sicht bei der Auswahl ihrer Spitzenkan­didaten verkehrt gemacht? Güllner: Um erfolgreic­h zu sein, muss ein Kandidat für Kompetenz stehen, aber auch bei den Bürgern Sympathien genießen. Bei Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder war beides der Fall. Darum wurden die auch Bundeskanz­ler. Hans-Jochen Vogel war kompetent, aber nicht sympathisc­h. Johannes Rau wurde als sehr sympathisc­h, aber weniger kompetent wahrgenomm­en. Und Oskar Lafontaine und Rudolf Scharping wurden weder als kompetent noch als sympathisc­h wahrgenomm­en.

Und Martin Schulz?

Güllner: Der hat die Leute ja getäuscht, hat so getan, als käme er von außerhalb des großen Politikbet­riebs. Dabei gehörte er schon lange dazu. In Europa, weil es da mehr Geld gab als in Würselen als Bürgermeis­ter. Zu sagen, „ich bin einer von euch, ich hab kein Abitur“, das hat eben nicht gereicht. Und dann hat er seinen Wahlkampf mit dem völlig falschen Thema „Gerechtigk­eit“geführt. Mit Umverteilu­ngsthemen hat die SPD noch nie seit 1949 Wahlen gewonnen.

Aber ist nicht gerade der Kampf gegen den angeblich so ungerecht verteilten Reichtum in Deutschlan­d Kernthema der SPD schlechthi­n?

Güllner: Erfolgreic­h war die Partei immer dann, wenn sie sich an die breite Mitte der Gesellscha­ft wandte. Die Mehrheit der SPD-Wähler wünscht sich eben keine Steuererhö­hungen. Arbeiter, die sich anstrengen, beruflich aufsteigen und dann gut verdienen, haben keine Lust darauf, dass dann die SPD kommt und ihnen gleich alles wieder wegnimmt. Als reich gelten im Steuerrech­t ja schon ordentlich bezahlte Facharbeit­er. Auch die vielen Menschen, die sich wünschen, dass ihre Kinder es mal besser haben, wollen nicht, dass die dann von der SPD geschröpft werden.

Welche SPD-Politiker könnten die Partei wieder zum Erfolg führen? Güllner: Da fallen mir etwa Olaf Scholz, Stephan Weil oder vielleicht auch Malu Dreyer ein. Die beweisen als Regierungs­chefs in Hamburg, Niedersach­sen und Rheinland-Pfalz Kompetenz und sie wirken sympathisc­h.

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Foto: Michael Kappeler, dpa Es ist wenig überrasche­nd, was sich unter diesen Planen verbirgt: Es sind die Buchstaben S–P–D. Was der Sonderpart­eitag in Bonn beschließe­n wird, steht einstweile­n aber noch in den Sternen.
 ??  ?? Manfred Güllner, 76, ist Gründer und Geschäfts führer des Mei nungsforsc­hungs instituts Forsa. Die Freie Universitä­t Berlin ernannte ihn zum Honorarpro fessor. Seit 1964 ist er SPD Mitglied. Manfred Güllner
Manfred Güllner, 76, ist Gründer und Geschäfts führer des Mei nungsforsc­hungs instituts Forsa. Die Freie Universitä­t Berlin ernannte ihn zum Honorarpro fessor. Seit 1964 ist er SPD Mitglied. Manfred Güllner

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