Landsberger Tagblatt

„Für die Menschen fehlt die Zeit“

Interview Die Pflegekräf­te für Senioren stehen unter einem hohen Zeitdruck. Viele beklagen auch einen zu geringen Verdienst. Eine erfahrene Altenpfleg­erin berichtet aus ihrem Alltag

- Interview: Daniela Hungbaur

Sie möchten anonym bleiben, weil Sie Angst um Ihren Arbeitspla­tz als Altenpfleg­erin in der ambulanten Pflege haben. Muss nicht mit Blick auf den Mangel an Pflegekräf­ten jeder Heimleiter froh sein, eine Kraft zu haben. Woher kommt die Angst? Altenpfleg­erin: Der Druck bei uns ist sehr groß. Und es ist nicht üblich, dass die Missstände öffentlich gemacht werden. Ich habe es immer wieder erlebt, dass Kolleginne­n der Bereichs- oder Heimleitun­g gesagt haben, dass die Belastung zu groß ist, dass zu wenig Personal da ist, und man sagte ihnen, wenn Ihnen etwas nicht passt, können Sie ja gehen.

Sie sind 51 Jahre alt und arbeiteten lange Jahre in der stationäre­n Altenpfleg­e, seit zehn Jahren aber in der ambulanten, wo Sie die Bewohner in einer Anlage betreuen. Was belastet Sie bei Ihrer Arbeit?

Altenpfleg­erin: Ich habe überhaupt keine Zeit für die Menschen. Rein in die Wohnung, Medikament­e geben, manchmal waschen, wenn die Altenpfleg­ehelferin ausfällt, beim Anziehen helfen oder bei den Kompressio­nsstrümpfe­n, meine Arbeit dokumentie­ren und raus. Das wird von mir erwartet. Und ich muss ganz exakt erfassen, wie viel Zeit ich für die einzelnen Schritte benötige. Dann komme ich aber in die Apartments, und da sitzen Menschen, die oft sehr einsam sind und die meistens schon auf mich warten, weil sie mit mir auch sprechen wollen. Das zerreißt einen fast. Weil ich oft nicht einmal mehr Zeit habe, einen kranken Menschen kurz in den Arm zu nehmen, die Hand zu streicheln oder ihm zuzuhören.

War das früher anders? Altenpfleg­erin: Ja, in jedem Fall. Wir waren einfach mehr Personal und hatten daher auch mehr Zeit.

Wie viele sind Sie denn? Altenpfleg­erin: Wir beginnen in der Frühschich­t um 6.15 Uhr zu dritt. Eine Fachkraft und zwei Pflegehelf­er. Die Schicht dauert offiziell bis 13.45 Uhr. Aber selten schafft man das. Die zweite Schicht beginnt um 13.30 Uhr und endet um 21 Uhr. Da sind wir dann nur zu zweit – eine Fachkraft und ein Pflegehelf­er.

Sie waren ja über lange Jahre im stationäre­n Dienst. Ist es da besser? Altenpfleg­erin: Im stationäre­n Bereich ist es viel schlimmer. Da sind die Menschen ja viel pflegebedü­rftiger als im betreuten Wohnen und die Zeit der Pflegekräf­te ist ebenso knapp bemessen. Da bleibt oft nicht einmal die Zeit, mit den alten Menschen ausreichen­d lange auf die Toilette zu gehen, damit sie ihr großes Geschäft machen können, das halt manchmal auch mehr Geduld erfordert. Dann kriegen sie eben eine Windel angezogen. Ganz belastend ist auch, wenn Menschen im Sterben Können Sie das bitte genauer erklären: Wer schätzt Ihre Arbeit nicht – die Gesellscha­ft, der Arbeitgebe­r? Altenpfleg­erin: Beide. Gerade unsere jüngeren Kollegen erzählen oft, dass sie, wenn sie sagen, wo sie arbeiten, ihnen entgegnet wird, wie man nur so einen Beruf machen kann, bei dem man immer nur alte Ärsche waschen muss. Und ich spüre oft, dass bei vielen Angehörige­n doch auch diese Meinung über uns herrscht.

Und wo hapert es bei den Arbeitgebe­rn?

Altenpfleg­erin: Sie setzen uns nicht nur immer weiter unter Druck. Vor allem die Bezahlung ist zu niedrig.

Da bekommen Sie nun Rückendeck­ung vom Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung. Die Forscher haben errechnet, dass es bei der Bezahlung für Altenpfleg­ekräfte trotz Lohnsteige­rungen in den vergangene­n Jahren noch erhebliche­n Nachholbed­arf gibt. Wie viel Geld verdienen Sie? Altenpfleg­erin: Meine Kollegen verdienen im Schnitt als Vollzeitkr­aft etwa 2500 Euro brutto. Wenn man bedenkt, wie groß unsere Verantwort­ung ist, ist die Bezahlung viel zu niedrig. Und es ist ja ein Teufelskre­islauf: Da der Beruf so anstrengen­d und so schlecht bezahlt ist, steigen viele Kollegen aus oder es finden sich erst gar keine neuen. Damit steigt der Druck auf die verblieben­en Kräfte noch mehr. Ich frage mich, wann die Politik endlich etwas tut. Es werden doch immer mehr ältere, pflegebedü­rftige Menschen.

Was erwarten Sie von der Politik? Altenpfleg­erin: Dass sie ihren Verspreche­n, die Pflege zu stärken und die Arbeitsbed­ingungen deutlich zu verbessern, endlich Taten folgen lässt.

Würden Sie den Beruf denn überhaupt wieder wählen?

Altenpfleg­erin: Ja, in jedem Fall!

Warum?

Altenpfleg­erin: Weil man von den alten Menschen so viel zurückbeko­mmt. Die meisten sind so dankbar und freuen sich, wenn man kommt und ihnen hilft. Das ist ein gutes Gefühl. Allerdings beobachte ich, dass der innige Kontakt auch unter dem Zeitdruck massiv leidet. Die Menschen spüren ja, wie abgehetzt wir meistens sind und dass wir für ein Gespräch gar keine Zeit mehr haben. Dann trauen sie sich auch nichts mehr zu sagen. Dabei sind ja Gespräche auch aus medizinisc­her Sicht wichtig. Als Pflegekraf­t erfährt man, wie es dem Menschen geht, wo vielleicht auch psychisch der Schuh drückt und man kann dementspre­chend Hilfe organisier­en. So bleibt aber das Zwischenme­nschliche, das unseren Beruf ja auch einmal ausgemacht hat, leider auf der Strecke.

 ?? Foto: Oliver Berg/dpa ?? Wer im Alter allein ist, freut sich oft, wenn eine Pflegekraf­t auch Zeit für ein Gespräch hat. Doch in der Altenpfleg­e wächst der Druck auf das Personal.
Foto: Oliver Berg/dpa Wer im Alter allein ist, freut sich oft, wenn eine Pflegekraf­t auch Zeit für ein Gespräch hat. Doch in der Altenpfleg­e wächst der Druck auf das Personal.

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