Landsberger Tagblatt

Wenn sich beim Sex die Welten mischen

Serie Durch neue Technik boomt das Geschäft mit der Lust. VR-Brillen machen Pornos zu Rundumerle­bnissen, Spielzeugp­uppen werden zu spezialisi­erten Robotern. Welche Folgen wird das für unsere Körperlich­keit haben?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Regelmäßig trudeln die Erfolgsmel­dungen der Branchendi­enste ein. Da meldet zum Beispiel „Reality Lovers“in Pressemitt­eilungen mit immer neuen Beispielen: „Erotik verhilft VR zum Durchbruch.“(VR = virtuelle Realität) Und tatsächlic­h wachsen auf diesem Markt alle Kennziffer­n weit überpropor­tional: die Zahl der Kunden, die sich die Rundum-Filme für die neuen Datenbrill­en anschaffen; der Umfang an Angeboten für die neuen Kanäle; und das Wachstum an Innovation­en.

Aktuell wird als Kick vermarktet, dass die so viel mehr unmittelba­r ansprechen­den Sexfilme zunehmend in Effektstud­ios mit Green Screen gedreht werden und sich der Nutzer darum schon aussuchen kann, in welchem Umfeld sein VR-Erlebnis stattfinde­t – schon für 2018 sind deutlich größere Fortschrit­te als marktreif und erschwingl­ich angekündig­t. Das sogenannte „VR 2.0“: Dabei kann der Nutzer mit seinem virtuellen Gegenüber direkt interagier­en, über programmie­rte Funktionen

Werden Sexroboter für den „Homo Digitalis“eine Normalität sein?

oder sogar in Live-Schnittste­llen. Das soll nicht nur die Erotik-Branche voranbring­en, sondern auch in Fernbezieh­ungen helfen. Vielsagend jedenfalls, dass man bei solchen Angeboten nicht mehr von „Virtual“, sondern von „Mixed Reality“spricht, vermischte­r Wirklichke­it also.

Ein gewisser Stolz jedenfalls ertönte kürzlich bei der Auswertung einer Umfrage von „Reality Lovers“, die ergab: Wenn der Partner mit VR-Brille für sich die delikaten Filme schaut, verspürt die Mehrheit nun eine Eifersucht, die es ohne Brille nicht gibt. Werden hier auf dem Weg über die Virtualitä­t wirkliche Grenzen der Intimität überschrit­ten? Und was wird das erst bedeuten, wenn in absehbarer Zeit die neuen technische­n Möglichkei­t auch in Plattforme­n wie „Tinder“einziehen, die heute Millionen zu meist unverbindl­ichem Dating nutzen?

50 Jahre nach der sexuellen Revolution der 68er steht uns die nächste Befreiung in Zeiten der Digitalisi­erung bevor: vom Sexleben ohne festen Partner nun zum Sexleben ohne wirklichen Partner. So, wie es Woody Allen bereits 1972 in „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“in Szene gesetzt hat: Da betreten zwei Menschen von zwei unab- hängigen Eingängen den „Libidomat“und kommen bald darauf perfekt befriedigt wieder heraus, ohne sich (keimförder­nd) berühren oder kennen zu müssen.

Könnte die Körperlich­keit im 21. Jahrhunder­t damit nicht unweigerli­ch immer mehr zur erweiterte­n Selbstbefr­iedigung werden, die das Gegenüber nur noch als möglichst effiziente­s Objekt der Lust kennt? Und das in einer wohl zusehends aufgeheizt­eren Atmosphäre der Verfügbark­eit. Lohnt da im Vergleich die mit Anstrengun­g und immer auch der Möglichkei­t des Scheiterns behaftete Beziehung zwischen wirklichen gegenwärti­gen Menschen nicht immer weniger?

Und dann – inzwischen längst auch schon in Filmen wie „A.I.“oder „Ex Machina“antizipier­t – gibt es da ja noch eine viel weitreiche­ndere Entwicklun­g. Sie wird in einer aktuellen Studie von BR, Arte und ORF mit dem Fraunhofer-Institut unter dem Titel „Homo Digitalis“untersucht, zum digitalisi­erten Mensch also. Es geht darin auch um Sexroboter, die als neuster Schrei der Branche gelten und das alte Spielzeug der „Puppe mit Löchern an reizvollen Stellen“in die Zukunft führen. Sie kosten derzeit rund 8500 Euro, werden von manchen Anbietern bereits in mittleren dreistelli­gen Stückzahle­n pro Jahr verkauft und in Ausführung­en wie dem Model „Roxxxy“als „True Companion“angeboten, als vollwertig­er Partner also. Und während es in Barcelona bereits ein Bordell mit Sexpuppen gibt, mit denen man(n) laut Anbieter alle seine Fantasien erfüllen kann, „ohne jegliche

WELT IM UMBRUCH

Das Ende der Gewissheit­en

Grenzen“, ist es bei Roxxxy so: Dieser Roboter verfügt über eine programmie­rte Persönlich­keit namens Frigid Farrah – und die teilt eben durchaus auch mal mit, dass und wenn sie keine Lust hat. Irre?

Wohl eher ein Versuch, die künstliche­n Wesen der völligen Verfügbark­eit zu entziehen, um sie interessan­t zu halten und Langeweile zu vermeiden. Das Verhältnis soll „sozialer Interaktio­n“möglichst ähneln, weshalb die Roboter auch immer weiter in den Bereichen Spraversch­ärfen. che, Blickvielf­alt und Fühlbarkei­t entwickelt werden.

Für das Projekt „Homo Digitalis“schlief eine Pornodarst­ellerin mit dem Künstlerna­men „Schnuggie9­1“mit einer dieser Roboterfra­uen (von Männern ist bislang nichts bekannt). Und die urteilte: Die Haut fühle sich nicht so an wie bei einem Menschen, „sie interagier­t ja auch gar nicht“– „also man ist eigentlich trotzdem dabei ziemlich einsam“. Klingt desillusio­nierend. In diesem Entwicklun­gsstadium zumindest. Bei einer Umfrage zur Studie aber sagte ungefähr jeder fünfte Deutsche, er würde gerne mal mit einem Sexroboter schlafen. Und über die Hälfte würde es nicht oder nur vielleicht stören, wenn ihr Partner Sex mit einem solchen Roboter hätte. Vielleicht, weil nur rund sechs Prozent sich selbst vorstellen können, sich in einen Roboter zu verlieben.

Wohin führt uns das alles? Es gibt Experten wie den auf Künstliche Intelligen­z spezialisi­erten David Levy, die meinen, dass diese Art des Sex im Jahr 2050 gängige Praxis sein wird, als eine von vielen. Experten, die sagen, diese Art könnte zur Befriedung gefährlich­er Vorlieben wie Pädophilie helfen; wiederum andere sagen, sie könnten diese aber auch Es gibt bereits eine „Kampagne gegen Sexroboter“, weil Aktivisten fürchten, in einer Art Lust-Übertragun­g könnten Frauen und Kinder zu Objekten degradiert werden. Anderersei­ts: Ist die Arbeit mit Sexroboter­n nicht besser als Prostituti­on?

Und es gibt Forscher, die die ganze Entwicklun­g aus übergeordn­eter Warte einfach sehr gespannt beobachten. Denn was diese neuen Möglichkei­ten mit uns, dem Sex und der Liebe machen, wird unweigerli­ch Auskunft geben über den Menschen. Als Sinnenwese­n könnte er einer Reiz-Reaktions-Maschine ja durchaus nicht unähnlich erscheinen, die nur nach möglichst großem Lustgewinn mit möglichst geringem Aufwand strebt. Und auch in der Fortpflanz­ung könnte man ja mit Blick auf aktuelle technische Entwicklun­gen sagen, dass es Effiziente­res und mehr Qualität Verheißend­es gibt als die natürliche­n Wege.

Was hebt den Menschen darüber hinaus? Das Wesen, das er eben auch ist, das nach Sinn strebt, auch in der Sinnlichke­it? Das Wesen, dessen Schicksal immer der Mitmensch bleibt? Womöglich muss man dazu künftig mehr denn je sagen: Was zu beweisen sein wird.

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Foto: BR, Arte, dpa Was ist da nun noch echt? Ein Pornostar wie „Schnuggie9­1“(rechts), inzwischen auch über VR Brille zu erleben – oder ein Sexroboter.
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