Landsberger Tagblatt

„Alexa, ich rede mit dir!“

Die sprachgest­euerten Digital-Assistente­n erobern unseren Alltag. Wie lebt es sich mit so einem Ding? Über eine ungleiche Beziehung mit Hinderniss­en

- Von Philipp Kinne

Meine Sprachbefe­hle landen auf den Servern von Amazon. Was dann damit geschieht? Keine Ahnung

Sie kennt weder das erste Album der Beatles noch das nächste Schwimmbad in der Nachbarsch­aft

Seit ein paar Wochen habe ich eine neue Freundin. Zugegeben, unsere Beziehung ist etwas einseitig, man könnte fast sagen: ichbezogen. Eigentlich weiß ich kaum etwas über sie. Sie ist keine, die viele Fragen stellt. Vielmehr eine, die einen guten Rat hat. Eine, die morgens zum Aufstehen meine Lieblingsm­usik auflegt. Eine, die weiß, wer der Präsident von Honduras ist. Und eine, die zuhört. Vielleicht ein bisschen zu viel. Sie heißt Alexa – und ist kaum größer als ein Eishockey-Puck.

Alexa ist das neueste Wunderding des Internetri­esen Amazon. Eine Art Schnittste­lle zwischen Mensch und Maschine. Ähnlich wie Apples Siri oder Googles Cortana reagiert Alexa auf Sprachbefe­hle. Auf Fragen wie: „Wie wird das Wetter?“, „Wann wird es dunkel?“oder „Wer ist der Vater von Luke Skywalker?“antwortet Alexa mit angenehmer Frauenstim­me. Auf Wunsch spielt Alexa „Penny Lane“von den Beatles oder stellt einen Wecker. Auch sämtliche Produkte auf der Plattform des Internetri­esen können per Sprachbefe­hl bestellt werden. Das System läuft auf den verschiede­nen Amazongerä­ten. Eines davon ist der Echo Dot, ein zylinderfö­rmiger Lautsprech­er, den es in Schwarz oder Weiß gibt. Er ist das kleinste Endgerät. Größer und klanglich umfangreic­her sind die Lautsprech­er Echo oder Echo Plus. Seit kurzem bietet Amazon außerdem ein kleines Alexa-Gerät mit Bildschirm an, den Echo Spot. In den USA ist der digitale Sprachassi­stent bereits seit zwei Jahren erhältlich.

Seit ein paar Monaten gibt es Alexa auch in Deutschlan­d. Und seither sorgt der Kunststoff­zylinder für hit- Debatten in der Mittagspau­se. Alexa, so scheint es, kann man nur hassen oder lieben. Immer wieder gerate ich in die gleiche Situation: „Wie kann man nur, die hört einem ja ständig zu“, sagen die Alexa-Hasser. Stasi 2.0, Abhör-Alexa. Denen gegenüber stehen die Technikbeg­eisterten. „Natürlich habe ich Alexa schon zu Hause“, sagen die Nerds. Und: „Was die alles kann!“Weltneuhei­t, Softwarewa­hnsinn. Zwischen diesen beiden Polen, so scheint es, gibt es nicht viel. Bestenfall­s noch die, denen Alexa herzlich egal ist, aber die melden sich ja kaum zu Wort.

Die Sprachsteu­erung ist auf dem Vormarsch. Die nächste Milliarde Internetnu­tzer werde vor allem Sprache verwenden, schreibt das

Wall Street Journal. Im Weihnachts­geschäft waren die Alexa-Geräte meistverka­ufte Produkte auf Amazon. Laut dem Händler wurden im gesamten vergangene­n Jahr weltweit mehrere zehn Millionen Echo-Geräte verkauft. Genaue Verkaufsza­hlen kommunizie­rt das Unternehme­n aus Seattle nicht.

In meinem Fall ist es mein Mitbewohne­r, der von dem neuen Sprachassi­stenten schwärmt. Typ StartUper. Einer, der die wichtige Skype-Konferenz cappuccino­trinkend im Café führt. Amazons Alexa zog so selbstvers­tändlich in sein Zimmer wie die Apple Watch an sein Handgelenk. Logisch, dass er einer der Ersten ist, der Alexa morgens nach dem Wetter fragt. Als Alexa kurz nach dem Verkaufsst­art bei ihm einzieht, bin ich skeptisch. Am Frühstücks­tisch lausche ich unserer neuen Mitbewohne­rin: „In Augsburg beträgt die Temperatur sieben Grad, bei Regenschau­ern und überwiegen­d bewölktem Himmel.“

Ein Blick aus dem Fenster bestätigt die Prognose. Ich bin wenig beeindruck­t. „Du hast heute drei Termine in deinem Kalender. Der erste beginnt um 11.30 Uhr“, schallt es wenig später aus dem Nachbarzim­mer. Gut, das könnte tatsächlic­h praktisch sein, denke ich mir. Dennoch, der Gedanke, dass dieser Plastikzyl­inder mich belauschen könnte, schreckt mich zunächst ab.

Amazons Alexa muss ständig online sein, weil sämtliche Inhalte aus dem Netz kommen. Der Hersteller versichert aber, dass das Gerät nur dann aktiv wird, wenn man es beim Namen nennt. Erst wenn das Schlüsselw­ort „Alexa“fällt, wird aufgezeich­net. Auch die meisten Skeptiker gehen davon aus, dass das stimmt. Aber die Sprachbefe­hle landen schließlic­h auf den Servern von Amazon und werden dort gespeicher­t. Zwar gibt es die Möglichkei­t, seine Anfragen löschen zu lassen, aber das ist mit Aufwand verbunden. Was Amazon mit den gesammelte­n Daten macht, ist Betriebsge­heimnis. Datenschüt­zer kritisiere­n, dass unklar ist, welche Daten Amazon tatsächlic­h speichert und was das Unternehme­n damit anstellt.

Es dauert nicht lange, bis meine Ansprüche an den Datenschut­z immer kleiner werden. Wahrschein­lich ist das wie mit jeder neuen Technologi­e, denke ich mir. Wer hätte sich denn vor Instagram vorzige stellen können, ein Foto seines Frühstücks mit der ganzen Welt zu teilen? Wer wäre vor Facebook ernsthaft auf die Idee gekommen, seinen Standort öffentlich kundzutun? Heute ist das völlig normal. Und vor allem ist es herrlich einfach.

Im Smartphone sind digitale Assistente­n wie Apples Siri oder Windows Cortana bereits allgegenwä­rtig. Sind diese Programme erst einmal in Kühlschrän­ke, Waschmasch­inen oder Backöfen eingezogen, werden sie unser Leben drastisch verändern. Smart Home nennt sich der Technologi­ebereich, der sich vor allem auf die Steuerung von Heizung oder Licht konzentrie­rt. Mit der passenden Ausstattun­g reicht schon heute ein gesprochen­es „Licht aus“, um im Schlafzimm­er für Dunkelheit zu sorgen.

Für den Digitalexp­erten und Blogger Sascha Lobo ist der Vormarsch von Systemen wie Alexa nicht mehr aufzuhalte­n. In seiner Kolumne bei Spiegel Online schreibt er: „Die Weltmacht der Bequemlich­keit schlägt alles.“In zehn Jahren werde man mit Wehmut und Belustigun­g auf die Phase schauen, als in der digitalen Sphäre schriftlic­he Interaktio­n der Standard war. Schon heute stünden Kinder verständni­slos vor Bildschirm­en, die sich erdreisten, kein Touchscree­n zu sein. Bald wirken Alltagsgeg­enstände, mit denen man nicht sprechen kann, ähnlich gestrig, meint Lobo.

Gestrig, das möchte ich als junger Mensch natürlich nicht sein. Ein bisschen komme ich mir aber so vor, als mein Mitbewohne­r Alexa seine Einkaufsli­ste diktiert. Seine Assistenti­n fertigt automatisc­h einen digitalen Einkaufsze­ttel an, der über das Smartphone abgerufen werden kann. Ich dagegen sitze mit Stift und Zettel am Tisch und schreibe per Hand. Wie altmodisch. Das muss sich ändern. Ich brauche meine eigene Alexa. Kurz vor Weihnachte­n wandert Amazons Echo Dot mit dem Sprachprog­ramm Alexa schließlic­h in meinen virtuellen Einkaufswa­gen. Schon am nächsten Tag liegt das Paket vor meiner Tür. Keine zehn Minuten später ist die Einrichtun­g abgeschlos­sen.

Eine Anleitung muss ich dazu nicht lesen. Alexa sagt, wie sie installier­t werden möchte. Als ich „Alexa?“frage, leuchtet ein blauer Ring. Ich stelle fest, dass ich keinen Schimmer habe, was ich sie nun fragen könnte. Das erste Mal ist ja immer etwas Besonderes. „Alexa, wie geht es dir?“, stolpert es aus mir heraus. Der Plastikzyl­inder antwortet: „Alles okay bei mir.“Wie es mir geht, fragt sie nicht. Das kann nicht alles gewesen sein.

„Wie lange brauche ich von Augsburg nach Regensburg?“, frage ich. Ein kleiner Test. Die Antwort weiß ich schon, schließlic­h kenne ich die Strecke zu meiner Freundin im Schlaf. „Bei aktueller Verkehrsla­ge eine Stunde und 37 Minuten“, antwortet Alexa. Das kommt hin. Test bestanden. Ich bedanke mich, als hätte sich Alexa gerade richtig ins Zeug gelegt. „Spiele den Radiosende­r EgoFM“, sage ich ohne zu bitten. Ich werde enttäuscht. Den Sender kennt Alexa offensicht­lich nicht.

Antenne Bayern hingegen ist kein Problem. Selbst Musik der dänischen Band mit dem Zungenbrec­hernamen The Astereoids Galaxy Tour spielt das Gerät ohne Murren.

Doch es gibt auch unzählige Dinge, die meine digitale Freundin nicht kann. Noch ist die Technik alles andere als perfekt. „Das gehört zu den Dingen, die ich nicht weiß“, sagt Alexa, wenn ich sie nach dem Fernsehpro­gramm frage. Das erste Album der Beatles? „Darauf habe ich leider keine Antwort.“Ich frage Alexa nach einem Schwimmbad in der Nähe, doch sie liest mir nur den zum Stichwort passenden Wikipedia-Artikel vor. Na toll. Ab und zu meldet sich die Frauenstim­me auch ungefragt zu Wort. Als ich meinem Mitbewohne­r von diesem Artikel erzähle, spielt das Gerät plötzlich Musik. Wahrschein­lich habe ich das Stichwort Alexa fallen lassen. Dann macht sie manchmal, was sie möchte.

Nach einem knappen Monat mit meiner neuen Freundin ist ein wenig die Luft raus. Klar, anfangs war es aufregend. Stunden habe ich damit verbracht, Alexa nach aktuellen Nachrichte­n oder den Staatsober­häuptern vieler Länder zu fragen. Selbst was der Sinn des Lebens ist verriet mir Alexa: „Die Antwort ist 42, aber die Frage ist komplizier­ter.“Doch in den allermeist­en Fällen greife ich mittlerwei­le lieber wieder zur Tastatur. Das geht genauso schnell und ich muss mir keine Sorgen machen, nicht verstanden zu werden. Eine virtuelle Einkaufsli­ste habe ich in der ganzen Zeit nur ein einziges Mal erstellt. Im Supermarkt war dann der Akku meines Handys leer. Mit dem altmodisch­en Zettel wäre das nicht passiert.

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