„Selber fahren wird zum Hobby“
Interview Mathias Miedreich leitet die Abgassparte des Automobilzulieferers Faurecia. Was er über neue Antriebsmodelle, autonomes Fahren und die Folgen für sein Unternehmen denkt
Herr Miedreich, der Diesel-Skandal hat für Diskussionen gesorgt. Was nehmen Sie für sich aus der Debatte mit? Mathias Miedreich: Dass die Automobilbranche derzeit den spannendsten Umbruch der letzten 50 Jahre durchlebt. Mit zwei Entwicklungsrichtungen: Welche Antriebsvariante wird sich durchsetzen und das Thema autonomes Fahren.
Bleiben wir bei der Antriebstechnik. Welche wird denn Ihrer Meinung nach am Ende das Rennen machen? Miedreich: Es gibt eine Studie von McKinsey, der zufolge im Jahr 2030 über 50 Prozent aller Fahrzeuge elektrifiziert sein werden. Allerdings werden nur zehn bis 15 Prozent reine Elektrofahrzeuge sein. Der Hauptteil wird einen Benzin-Hybrid-Motor haben. Der Diesel dagegen wird stark zurückgedrängt. Ich bin überzeugt davon, dass auch der Brennstoffzelle eine große Bedeutung zukommen wird. Klar ist damit, dass es künftig mehr verschiedene Antriebstechniken geben wird und der Verbraucher je nach Wohnort und Lebenssituation entscheidet, was für ihn infrage kommt.
Warum das?
Miedreich: Fahrzeuge mit Elektroantrieb werden zunächst teurer und damit nicht für jeden erschwinglich sein. Menschen mit weniger Einkommen werden daher länger bei Hybrid-Varianten oder dem klassischen Verbrenner bleiben. Auch die Strecke, die jemand regelmäßig zurücklegt, spielt bei der Entscheidung eine Rolle. Bei kurzen Wegen und vielen Lademöglichkeiten in der Stadt ist ein Elektrofahrzeug kein Problem. In ländlichen Gegenden oder bei langen Fahrten schon.
Eine Sparte von Faurecia ist – neben Autositzen und Innenausstattung – Clean Mobility. Hier gehört die Entwicklung und Fertigung von Abgasanlagen dazu. Europäischer Hauptsitz dieser Sparte ist Augsburg. Was würde es für Faurecia, vor allem für die Sparte Clean Mobility, bedeuten, wenn sich der Elektroantrieb durchsetzt und keine Abgasanlagen mehr gebraucht würden?
Miedreich: Mit dieser Entwicklung müssen wir uns tatsächlich auseinandersetzen. Immerhin steckt in jedem dritten Auto weltweit ein Produkt von Faurecia. Wir müssen daher nicht mehr nur versuchen, Abgase mit unseren Lösungen so gut wie möglich zu reinigen, sondern neue Techniken entwickeln, mit denen sich der Abgasausstoß vermeiden oder drastisch senken lässt. Gelingen kann das mit Elektroantrie- ben ebenso wie mittels einer Gewichtsreduzierung von Fahrzeugen durch den Einsatz leichter Materialien wie Carbon. Zu diesem Thema arbeiten wir etwa im Augsburger Innovationspark. Auch anderen Geschäftsfeldern müssen wir uns verstärkt öffnen. Feldern, die nichts mit dem Bereich Auto zu tun haben. Ich denke an Schiffs- oder GeneratorenMotoren. Also Motoren mit bis zu 100000 PS. Hier wird der Verbrennungsmotor noch länger eine Rolle spielen und Abgasanlagen weiterhin gebraucht. Da sehe ich einen Wachstumsmarkt, da sich die gesetzlichen Regelungen verschärfen werden. Der Kundenstamm könnte sich erweitern. Schon jetzt stehen wir Städten wie Augsburg beratend zur Seite, wenn es darum geht, wie sie den Schadstoffausstoß städtischer Fahrzeuge senken können.
Kommen wir zum Auto zurück. Ihre Entwickler sind keine Hellseher und wissen nicht genau, wohin die Reise gehen wird. Wie gehen Sie damit um? Miedreich: Tatsächlich müssen wir heute entwickeln, was in zehn oder zwanzig Jahren gebraucht wird, ohne zu wissen, was das sein wird. Noch dazu unterliegt der Markt einer starken Dynamik. Das ist eine Herausforderung. Aber sie kann gelingen. Wie?
Miedreich: Wir pflegen einen engen Kontakt zu den Autoherstellern und auch Modelle verschiedener Szenarien helfen uns weiter, die Situation bestmöglich abschätzen zu können. Über die reine Theorie hinaus gründen wir Partnerschaften mit anderen Unternehmen, um verschiedene Entwicklungsbereiche und Möglichkeiten abzudecken. Zum Beispiel kommen Software und IT immer mehr Bedeutung zu. Darauf müssen wir vorbereitet sein. Dafür gehen wir auch gewisse Risiken ein und investieren in Start-ups und deren spezielle Technologie-Ideen. So können wir, wenn diese in einigen Jahren tatsächlich gebraucht werden, sofort darauf zurückgreifen.
Das klingt, als könnte Faurecia beruhigt in die Zukunft blicken? Miedreich: So ist es. Die Entwicklung eines alternativen Antriebs ist nicht nur spannend, sondern hat auch eine deutlich höhere Wertschöpfung als die klassische Abgasanlage von heute. Anders formuliert könnte man sagen, wirtschaftlich betrachtet ist ein Umstieg diesbezüglich sogar reizvoll.
Kommen wir noch zum autonomen Fahren. Wie wirken sich hier die Entwicklungen auf Zulieferer wie Faurecia aus?
Miedreich: Zu Faurecia gehören neben der Sparte Clean Mobility auch die Bereiche Seating, also Sitze, und Interior, also alles, was mit dem Innenraum und den dortigen Oberflächen zu tun hat. Fahren wir einst autonom, kommen diesen Teilen des Autos völlig andere Funktionen zu. Der Sitz muss nicht mehr nach vorne in Fahrtrichtung ausgerichtet sein, sondern er könnte drehbar sein, er kann Wellnessfunktionen haben oder in Relax- oder Arbeitsposition gebracht werden. Dennoch muss in allen Positionen die Sicherheit über Gurt und Airbags gewährleistet sein. Beim Cockpit besteht die Möglichkeit, ein adaptives Armaturenbrett zu gestalten, das je nach Fahrmodus seine Position verändert. Auf der diesjährigen Elektronikmesse CES in Las Vegas hat Faurecia zudem eine Sprachsteuerung mit dem Sprachassistenten Alexa von Amazon vorgestellt, über die man zum Beispiel Massagefunktionen im Sitz oder das Navigationssystem starten kann. Also auch hier müssen die Kollegen in völlig neue Richtungen denken und sich auf verschiedene Szenarien einstellen.
Heute entwickeln, was in 20 Jahren gebraucht wird
Sind solche Gedankenspiele reine Visionen oder wird das wirklich kommen? Miedreich: Ich bin davon überzeugt, dass es schon bald so kommen wird. Das ist keine technische Frage, sondern wenn überhaupt eine moralische. Will man das so haben? Und nicht zuletzt spielt die rechtliche Seite eine wesentliche Rolle. Grundsätzlich glaube ich, dass wir bald vor einem Wechsel stehen wie damals, als das Pferd als Fortbewegungsmittel vom Auto abgelöst worden ist. Das Pferd wurde vom Transporteur zum Hobby. Das vom Menschen gelenkte Auto wird dieses Schicksal bald teilen.
OMathias Miedreich ist 42 Jahre alt, verheiratet und hat einen Sohn. Er ist studierter Diplomkaufmann und war in der Zeit vor Faurecia unter anderem für KPMG, Siemens und Continental tätig.