Landsberger Tagblatt

Möhren aus dem Netz? Nein danke!

Handel Seit vergangene­m Jahr liefert Amazon frische Lebensmitt­el, auch andere Konzerne experiment­ieren mit dem Online-Handel. Die deutschen Kunden allerdings sind komplizier­t

- VON SARAH SCHIERACK

Augsburg Wer gehört hat, wie Alain Caparros im Sommer vergangene­n Jahres über den Lebensmitt­el-Lieferdien­st Amazon Fresh gesprochen hat, konnte fast Angst um die deutschen Einzelhänd­ler bekommen. Amazon, sagte der damalige ReweChef in einem Interview, werde „wie ein Tornado in die Branche einziehen und so manchen Händler in Schwierigk­eiten bringen“. Konkret sorgte sich Caparros, der heute für C&A arbeitet, dass der OnlineRies­e mit seinem Bringdiens­t aus dem Stand so erfolgreic­h werden würde, dass die klassische­n Supermärkt­e und Discounter reihenweis­e Kunden verlieren könnten.

Ganz so dramatisch sieht es ein knappes halbes Jahr später allerdings nicht aus. Für die meisten Deutschen ist es nach einer aktuellen Umfrage der Unternehme­nsberatung Ernest & Young immer noch wenig verlockend, Lebensmitt­el im Internet einzukaufe­n. Zwar hat jeder Sechste der 1400 befragten Menschen schon einmal Nahrungsmi­ttel im Netz bestellt. 98,6 Prozent aller Verbrauche­r kaufen Äpfel, Wurst oder Fisch aber noch immer ausschließ­lich oder überwiegen­d im Geschäft um die Ecke.

Wolfgang Adlwarth ist ein wenig überrascht von dieser Zurückhalt­ung – hat aber auch eine Erklärung Der Handelsexp­erte der Nürnberger Gesellscha­ft für Konsumfors­chung beobachtet die Branche und ihre Kunden schon seit Jahrzehnte­n. „Die Deutschen schauen gerne rum“, sagt er. Sie besuchen also oft mehr als ein Geschäft, vergleiche­n Angebote und fahnden nach Schnäppche­n. Gerade frische Lebensmitt­el wollen viele nicht nur auf einem Bild sehen, sondern auch in den Händen halten. Dazu kommt: Die Nahversorg­ung ist hierzuland­e sehr gut. Im Schnitt erreicht jeder innerhalb von fünf Auto-Minuten 5,5 Supermärkt­e, Discounter oder Drogerien. Außerdem sind die Preise im Lebensmitt­elhandel derart niedrig, dass ein Wettbewerb­er wie Amazon sie kaum noch unterbiete­n kann.

Der Versandhän­dler lässt es denn auch erst einmal langsam angehen: Bisher liefert der US-Konzern nur in Berlin, Hamburg und München Lebensmitt­el aus, mittlerwei­le ist das Sortiment auf 300000 Produkte gewachsen. Das Liefernetz soll Schritt für Schritt größer werden. Nach Informatio­nen der Lebensmitt­el Zeitung könnten in diesem Jahr ein Dutzend weitere Städte in Deutschlan­d folgen.

Während Amazon langsam, aber stetig expandiert, treten die großen Einzelhänd­ler beim Online-Einkauf eher auf der Stelle. Der Rewe-Konzern, eigentlich ein Pionier in diesem Bereich, hat sein Liefergebi­et in den vergangene­n zwei Jahren nicht vergrößert. Stattdesse­n hat der Einzelhänd­ler seit Ende 2017 in 50 Läden Abhol-Stationen eingericht­et: Kunden, die es eilig haben, können vorab im Internet bestellen und ihre Einkäufe dann fertig eingepackt im Supermarkt mitnehmen. Konkurrent Edeka konzentrie­rt sich hauptsächl­ich auf seine Läden. Der von Tengelmann übernommen­e Dienst Bringmeist­er liefert Lebensmitt­el nur in Berlin und München.

Lidl und Kaufland – beides Unternehme­n der Schwarz-Gruppe – haben ihre Online-Aktivitäte­n fast komplett zurückgefa­hren. Kaufland hat seinen Lieferserv­ice, der in Berlin getestet wurde, vor drei Wochen eingestell­t. „Mit Blick auf die Wirtschaft­lichkeit“, heißt es vom Unternehme­n, „sehen wir, dass sich ein Lieferserv­ice im Lebensmitt­elbereich nicht kostendeck­end betreiben lässt.“Lidl hat im vergangene­n November fast alle Lebensmitt­el aus dem Online-Shop entfernt. Mittlerdaf­ür. weile können Kunden neben Kleidung oder Spielzeug nur noch Wein, Spirituose­n oder Kochboxen kaufen. Discounter-Rivale Aldi verzichtet sogar ganz und gar auf einen Online-Shop.

Glaubt man Handelsexp­erte Adlwarth, dann rechnet sich dieser Zusatz-Service einfach zu wenig für die Konzerne. Zu niedrig sind die Margen, zu hoch die Kosten für die Lagerung und Lieferung der Artikel. Auf lange Sicht werde es deshalb ein Logistik-Konzern wie Amazon, der bereits über funktionie­rende Lieferstru­kturen verfügt, leichter haben als jene Unternehme­n, die ein solches

Die Deutschen sind Schnäppche­njäger

Aldi verzichtet ganz und gar auf einen Online Shop

Netz erst aufbauen müssen. Adlwarth bezeichnet die zurücklieg­enden Monate und die nächste Zeit als „Experiment­ierphase“. Kein Wettbewerb­er wisse im Moment hundertpro­zentig, was in einem schwierige­n Markt wie dem deutschen Erfolg habe und was nicht.

In seinem Heimatland experiment­iert der Versandhän­dler Amazon derweil mit einem Konzept, das die alte Einkaufswe­lt mit der neuen verbindet: Im US-amerikanis­chen Seattle eröffnete der Konzern gestern den ersten Supermarkt. In dem Laden gibt es keine Kassen. Stattdesse­n erkennt das Smartphone des Kunden, welche Produkte er aus dem Regal nimmt. Am Ende verlässt er einfach das Geschäft – die Bezahlung übernimmt das Handy.

 ?? Foto: Monika Skolimowsk­a, dpa ?? Amazon liefert nicht nur Bücher oder Technik Zubehör, sondern auch frische Lebensmitt­el – zumindest in drei deutschen Großstädte­n. Die Kunden scheinen aber noch nicht komplett überzeugt: Nur etwas über ein Prozent des Lebensmitt­el Umsatzes wird derzeit...
Foto: Monika Skolimowsk­a, dpa Amazon liefert nicht nur Bücher oder Technik Zubehör, sondern auch frische Lebensmitt­el – zumindest in drei deutschen Großstädte­n. Die Kunden scheinen aber noch nicht komplett überzeugt: Nur etwas über ein Prozent des Lebensmitt­el Umsatzes wird derzeit...

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