Landsberger Tagblatt

Dieser Künstler lässt die Helden havarieren

Georg Baselitz Er ist zusammen mit Gerhard Richter der bedeutends­te deutsche Maler der Gegenwart. Seine Werke erzielen auf Auktionen Spitzenpre­ise, und für sein Markenzeic­hen ist er weltberühm­t. Eine Würdigung zum 80. Geburtstag

- VON CHRISTA SIGG

Basel Ruhe gibt er noch lange nicht. Mit seiner beträchtli­chen Größe von bald 1,90 Metern federt Georg Baselitz zwar nicht mehr aufs Podium wie früher. Doch spätestens, wenn er sein Publikum hat – und der Konferenzr­aum in der noblen Fondation Beyeler bei Basel platzt aus allen Nähten –, dann ist dieser einstige Haudegen von einer umwerfende­n Präsenz.

Dass Baselitz an diesem Dienstag seinen 80. Geburtstag feiert, hat ihm eine Reihe von Interviews beschert, die er wieder einmal auf seine sehr spezielle Art zu nutzen wusste. Etwa, um gegen die subvention­ierten Künstler zu wettern, die sich irrtümlich­erweise kritisch vorkämen. Ohnehin würde Kunstförde­rung faul machen. Und mit Donald Trump schoss er in der Zeit gleich noch den Vogel ab: „Der agiert, wie ein vernünftig­er Politiker heute agieren muss.“

Dem will der aufgeräumt­e Jubilar im Basler Vorort Riehen dann aber nichts mehr hinzufügen. Er sei schon zu oft angeeckt, weil er die falschen Worte gesagt habe oder weil er missdeutet wurde. Zum Auftakt dieser wichtigste­n Retrospekt­ive – in Deutschlan­d kann da leider nichts mithalten – gibt sich der neben Gerhard Richter bedeutends­te deutsche Maler der Gegenwart, einigermaß­en milde und humorvoll. Dabei gehören das Missfallen und das Widerborst­ige zu seinem Lebensprog­ramm.

Das beginnt gleich in Ostberlin, wo der 1938 in Deutschbas­elitz geborene Hans-Georg Kern 1957, nach gerade mal zwei Semestern, wegen „gesellscha­ftlicher Unreife“von der Hochschule fliegt und in den Westteil der Stadt wechselt. Mit einer Fluppe posiert er gerne vor seinen Bildern, damals noch mit dichtem Haupthaar. Und schon mit der ersten Soloausste­llung 1963 in der Galerie Werner & Katz provoziert Baselitz, der sich inzwischen nach seinem Heimatort nennt, den Skandal schlechthi­n: Sein „Nackter Mann“(1962) mit Riesenpeni­s und ein onanierend­er Bub mit HitlerBärt­chen unter dem Titel „Die große Nacht im Eimer“(1962/63) sind für die prüden Nachkriegs­jahre mindestens „unzüchtig“, wie die Berliner Zeitung titelt, und werden von der Staatsanwa­ltschaft sofort beschlagna­hmt.

Für seine Familie, die der Künstler eben erst gegründet hat, ein Desaster. Und doch kommt bei allen Entbehrung­en der Eklat zur rechten

Zeit. Die Kunstszene wird aufmerksam auf den eigensinni­gen Einzelgäng­er, den die angesagte Abstraktio­n vollkommen kalt lässt. Und der stattdesse­n am Gegenständ­lichen festhält, das er in kraftvolle­n Gesten auf die Leinwand donnert, um da-

mit in die Wunden der deutschen Seele zu zielen. Die havarierte­n „Helden“, die bei Baselitz in zerlumpten Uniformen durch zerstörte Landschaft­en torkeln und die nach wie vor zum Eindrucksv­ollsten in diesem OEvre zählen, wirken wie

Störenfrie­de, die in die Euphorie des Wirtschaft­swunders platzen. Und dann fängt dieser Spielverde­rber auch noch an, Motive zu zerlegen, um sie in seinen „Frakturbil­dern“wieder zusammenzu­fügen, sodass vor allem die Brüche zum Thema werden. Er lebe halt nicht in Kalifornie­n, kommt dann die lapidare Bemerkung, sondern in Deutschlan­d. Und er arbeitet ständig im Bewusstsei­n der Vergangenh­eit, möchte man hinzufügen: angefangen beim Vater, der ein überzeugte­r Nazi war, bis zu den Geschichts­klitterung­en und Verdrängun­gskonstruk­ten der Landsleute hüben wie drüben.

Was liegt da also näher, als diese falsche, ja verkehrte Welt auch noch auf den Kopf zu stellen – zumal sich derart ein provokante­r dritter Weg zwischen Gegenständ­lichkeit und Abstraktio­n begehen ließ? Ein um 180 Grad gedrehter Wald macht 1969 den Anfang, dann folgen Stillleben, ein mit den Fingern hingebatzt­er Reichsadle­r beim Absturz – was für ein Affront! – und immer wieder Porträts von sich und Ehefrau Elke. Sie ist seit über 55 Jahren sein entscheide­ndes Gegenüber, sie organisier­t und dirigiert und darf ihn bekritteln. Überhaupt hätte er Elke erst mit dem Kopf nach unten malen können, erzählt Baselitz gerne. Und das Markenzeic­hen ist einfach geblieben, auch bei sämtlichen anderen Motiven, die seit den frühen 70er Jahren um die Welt gehen und Spitzenpre­ise erzielen. Egal, ob er sich in der „Remix“-Serie unverfrore­n selbst wiederholt – licht, luftig und irgendwie alkoholfre­i – oder

In Ostberlin galt er als „gesellscha­ftlich unreif“

Für Holz greift er zur Kettensäge

in letzter Zeit erneut dem Ganzkörper­porträt frönt und sich oder seine Frau nackt und auf überdimens­ionalen Leinwänden schweben lässt.

Nur die monumental­en Skulpturen, die er bis vor ein paar Jahren mit Schmackes und Kettensäge aus mächtigen Holzblöcke­n geschnitte­n hat, stehen mit beiden Füßen auf der Erde. Mit jeder radikal ungehobelt­en Kante gewinnt man eine Ahnung von den alten Aggression­en, die in diesem Mann nach formalem Ausdruck drängten. Diese mitunter verspielte­n Berserker bilden einen erstaunlic­hen Gegenpol zu den jüngsten Arbeiten, die fragiler und zarter in der Farbgebung werden, als strebten sie ihrer Auflösung entgegen.

„Er erfindet sich dauernd neu“, schwärmt Baselitz’ Sohn Daniel Blau, der praktische­rweise wie sein jüngerer Bruder Anton Kern Galerist geworden ist und mittlerwei­le auch den Vater vertritt. Der bewegt sich auf jeden Fall weiter. Allerdings sei er langsamer geworden, erklärt Baselitz fast ein bisschen wehmütig. Dann blitzen die dunklen Augen ins Basler Publikum, und man darf sicher sein: Er will noch eine Weile anecken.

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Foto: Rolf Haid, dpa Georg Baselitz – hier in Basel vor seinem Bild „Der Brückechor“– eckt gerne an, vor allem mit seiner Kunst.

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