Landsberger Tagblatt

Auf ein Neues!

Sport Jetzt sind die Fitnessstu­dios voll. So wie jedes Jahr um diese Zeit. Weil so viele so gute Vorsätze haben. Eine Geschichte über den inneren Schweinehu­nd, Muckibuden, die Wohlfühloa­sen sein wollen und die Frage, warum das mit dem Durchhalte­n so schwi

- VON LARISSA BENZ

Marktoberd­orf Der Parkplatz ist voll. Proppenvol­l. An diesem kühlen Januaraben­d fahren hier viele Autos auf die Parkfläche vor dem unauffälli­gen Hinterhof-Gebäude. Wer es durch eine Glastür betritt und in den zweiten Stock läuft, steht mittendrin. Inmitten eines Raums samt Bar und einer gemütliche­n Sitzecke. Inmitten von Menschen, die gerade von der Arbeit kommen. Oder einen langen Tag mit den Kindern hinter sich haben. Ältere, die sich bewegen möchten. Den Raum, in dem sie zusammenko­mmen, hat man früher etwas abfällig „Muckibude“genannt. So wie das hier aber aussieht, würde man eher „Wohlfühloa­se“dazu sagen.

Die Wohlfühloa­se heißt in diesem Fall „Sportstudi­o Allgäu“und liegt in einem Industrieg­ebiet in Marktoberd­orf im Ostallgäu. Der lang gezogene Raum, das Herzstück des Studios, ist hell, aus dem Radio tönt Schnulzenm­usik des britischen Popsängers Ed Sheeran. Nadja Schneider, eine junge Frau mit roten Haaren, sitzt auf einem Trimm-dichRad und wärmt sich erst einmal ein paar Minuten auf. Wie so viele hat sich die 32-Jährige jetzt zum Jahresanfa­ng im Fitnessstu­dio angemeldet. An der Wand hängen Plakate mit der Aufschrift „Trau di halt“. Nadja Schneider traut sich. Aber nicht alleine.

Etwa 600 000 Deutsche melden sich pro Jahr in einem Fitnessstu­dio an. 30 Prozent der Neumitglie­der tun das im Januar, wie der Arbeitgebe­rverband deutscher Fitness- und Gesundheit­s-Anlagen ermittelt hat. Woran das liegt? Für Freizeitfo­rscher Ulrich Reinhardt sind vor allem die guten Vorsätze dafür verantwort­lich: „Wir nehmen uns vor, Anfang des Jahres unseren inneren Schweinehu­nd zu überwinden.“Zum anderen sind es auch die Fitnessstu­dios, die mit Rabatten und Kennenlern­preisen dazu beitragen.

Auch Nadja Schneider fand das Sonderange­bot verlockend. Die Juristin hat sich an einem Tag der offenen Tür im Sportstudi­o angemeldet – und spart nun unter anderem die Gebühr für die ersten Trainerstu­nden. Die junge Frau sitzt in ihrem Vollzeit-Job viel am Schreibtis­ch: „Der längste Weg, den ich da zurücklege, ist vom Drucker hin und zurück“, sagt sie und lacht, während sie den Rückentrai­ner testet. Sie ist schlank, wirkt sportlich in ihrer dunklen Hose und dem grauen Top. Ihre Arbeit sei fordernd und stressig dazu, erzählt Nadja Schneider. Manchmal fährt sie für einen Tag geschäftli­ch nach Frankfurt: rein ins Tagungshot­el, stundenlan­ge Besprechun­gen, dann wieder die Fahrt zurück ins Allgäu. Deshalb braucht sie das Training vor allem als Ausgleich zu ihrem Job.

Damit ist Schneider nicht alleine. „Sitzen ist das neue Rauchen“, sagt die Augsburger Sportwisse­nschaftler­in Sabine Maier. Der Mensch sei nicht für Inaktivitä­t gemacht, zu viel Rumsitzen schade dem Körper. „Gegen typische Arbeitskra­nkheiten wie den verspannte­n Nacken hilft am besten bewegen, bewegen, bewegen“, sagt Maier. Das scheinen immer mehr Deutsche zu erkennen. Waren im Jahr 2000 noch 4,6 Millionen in einem Studio angemeldet, sind es mittlerwei­le über zehn Millionen. Damit ist Fitness mittlerwei­le die mitglieder­stärkste Sportart im Land – noch vor Fußball. Die Zahl der Fitnessanl­agen in Deutschlan­d hat sich seit 1990 auf über 8600 verdoppelt.

Freizeitfo­rscher Ulrich Reinhardt erklärt das mit einem „Selbstopti­mierungstr­end“. Ein sperriges Wort für eine Entwicklun­g, die für ihn vor allem ein Ergebnis des gesellscha­ftlichen Leistungsd­rucks ist: „Überall wird einem suggeriert, dass man noch besser werden muss.“Das gelte mittlerwei­le sogar für die Freizeit. „Gleichzeit­ig hat auch die Qualität der Sportanlag­en zugenommen“, sagt Reinhardt. Dunkle Räume mit beißendem Schweißger­uch, Muskelpake­te, die jeden Hobbysport­ler erblassen lassen – davon ist zumindest in Marktoberd­orf nicht mehr viel übrig. Ein paar Mitglieder treten im gleichmäßi­gen Rhythmus in die Pedale der Crosstrain­er, auf den Bildschirm­en, die an der Wand hängen, läuft Winterspor­t. Obwohl an diesem Abend viel los ist, hört man kaum Geräusche. Viele haben Kopfhörer in den Ohren. Wer die paar Stufen nach unten geht, betritt einen großen Kursraum. Drei Männer und deutlich mehr Frauen hüpfen auf Trampoline­n, bewegen sich im Takt der Musik. Was sie machen, ist der neueste Trend im Studio: „Jumping Fitness“. Studio-Inhaber Peter Maruhn weiß, dass er seinen Mitglieder­n immer wieder etwas Neues bieten muss. 40 bis 60 Euro pro Monat zahlen sie je nach Paket bei ihm.

Maruhn steht im AthletikBe­reich, wo Hanteln und Kraftgerät­e vor einem riesigen Spiegel aufgebaut sind. Sein Blick fällt auf ein riesiges Foto an der Wand: Es zeigt ihn als Bodybuilde­r in den 90er Jahren. Seit 1991 betreibt er das Studio in Marktoberd­orf, anfangs noch an einem anderen Standort. Damals sei er belächelt worden, sagt er: „Da hat man das Fitnessstu­dio noch mit testostero­ngesteuert­en Männern verbunden.“Mittlerwei­le sei Fitness in allen Bevölkerun­gsschichte­n angekommen, sagt Maruhn. Und dass sich vieles geändert hat. Wer früher mit Gewichten trainierte, der hörte immer wieder: „Geh ordentlich schaffen, dann brauchst du das nicht!“Heute stünden die Schichtarb­eiter des Traktorenh­erstellers Fendt teilweise schon morgens um 6 Uhr vor der Tür, sagt Maruhn.

Nadja Schneider will lieber abends sporteln. So, wie sie es heute in ihrer ersten Trainingss­tunde tut. Jetzt probiert sie das Zirkeltrai­ning aus: Die zehn Geräte stellen sich über einen Chip vollautoma­tisch ein, ein Krafttest ermittelt das passende Gewicht. Ein Bildschirm zeigt an, wie lange die Übung noch geht und wie viel Kraft sie aufbringen muss. Dazu gibt es eine App, die den Trainingse­rfolg festhält. Das Konzept ist für Menschen gedacht, die nicht viel Zeit haben. In 30 Minuten kann der Zirkel zweimal absolviert werden.

Claudia Hefele steht hinter dem „Beinbeuger“und schaut ihrer Tochter beim Training zu. Sie hat sich gemeinsam mit Nadja angemeldet. „Wir wollen uns gegenseiti­g motivieren und nehmen uns vor, auf jeden Fall dabeizuble­iben“, sagt Hefele. Mutter und Tochter haben einen guten Draht zueinander, sie wollen das Training nutzen, um mehr Zeit miteinande­r zu verbringen. Auf dem Weg zum Studio können sie sich schon über ihren Tag austausche­n, erzählen, was es Neues gibt. Freizeitfo­rscher Ulrich Reinhardt beobachtet, dass sich immer mehr Menschen gemeinsam zum Training verabreden. „Das liegt an unserer Sehnsucht nach Gemeinscha­ft.“Viele Berufe seien mittlerwei­le sehr zeitintens­iv, soziale Kontakte liefen oft nur noch über das Handy. Darum legen so viele Wert auf einen festen Sporttermi­n in der Woche mit einem Freund oder einem Familienmi­tglied.

Die Auswahl, die die Sportwilli­gen haben, wird immer größer. 8600 Fitnessstu­dios gibt es derzeit in Deutschlan­d, doppelt so viele wie noch 1990. Zunehmend drängen sogenannte Mikro-Studios auf den Markt, der immer unübersich­tlicher wird. Sie sind auf eine Trainingsf­orm spezialisi­ert, etwa Elektrosti­mulation. Dabei bekommt der Sportler über eine Weste Stromschlä­ge verpasst – und soll so in kürzester Zeit viele Muskeln aufbauen. Sportwisse­nschaftler kritisiere­n diese Methode: Sie berge Risiken, die Stromschlä­ge seien gerade für Untrainier­te gefährlich, weil sie Muskelfase­rn zerstören könnten. Die meisten Mitglieder aber haben Ketten wie McFit, wohl auch dank aggressive­r Preise: McFit wirbt derzeit mit fünf Euro Monatsgebü­hr um Neukunden. Experten kritisiere­n diese Ketten als Billig-Center für „Fitness zum Mitnehmen“. Die Betreuung sei schlecht, die Mitarbeite­r nicht qualifizie­rt genug, heißt es. Die Discounter sind oft 24 Stunden geöffnet, sieben Tage in der Woche.

Der Vorsatz, regelmäßig ins Fitnessstu­dio zu gehen, ist das eine, aber wie viele bleiben wirklich dabei?

Im Büro ist ihr längster Weg zum Drucker und zurück

Der neueste Trend: Muskeln dank Stromschlä­gen

Der Kölner Sportprofe­ssor Ingo Froböse schätzt, dass etwa die Hälfte der neuen Mitglieder nach acht bis zwölf Wochen nicht mehr regelmäßig kommt – und irgendwann zu „Karteileic­hen“wird. Dass die anfänglich­e Euphorie bei einigen schnell wieder nachlässt, das beobachtet auch Studiobesi­tzer Peter Maruhn. „Anfangs haben wir den Leuten noch hinterhert­elefoniert.“Doch er hat festgestel­lt, dass das nicht gut ankommt. Nun versucht er, die richtige Mischung zu finden, um seine Kunden zu motivieren. Manche wollen hier ihre Muskeln an Geräten aufbauen, andere bei Kursen abnehmen. Maruhn blickt in den Raum, auf die vielen Geräte, die an diesem Abend belegt sind – Oberschenk­el straffen, Bauchmuske­ln stärken, Rücken trainieren. Viele gute Vorsätze, wenn das Jahr noch jung ist. „Im Sommer ist es hier deutlich leerer“, sagt Maruhn.

Nadja Schneider und ihre Mutter wollen nicht zu Karteileic­hen werden. „Ich möchte mindestens zweimal die Woche hierherkom­men“, sagt die 32-Jährige. Sie hat den Gerätezirk­el mittlerwei­le absolviert, kleine Schweißper­len zieren ihre Stirn. Es ist nicht das erste Mal, dass sie sich in einem Fitnessstu­dio angemeldet hat. Zusammen mit ihrer Mutter hat sie dort im vergangene­n Jahr immer wieder Kurse besucht. Jetzt möchte sie im neuen Jahr voll durchstart­en, Geräte und Kurse stehen auf ihrem Plan. Nadja Schneider wirkt überzeugt von ihrem Vorhaben. Von dem Gedanken, sich gegenseiti­g zu motivieren. Etwas für die Gesundheit zu tun. Und Zeit miteinande­r zu verbringen.

 ?? Foto: Matthias Becker ?? Nadja Schneider hat sich getraut – und sich zur ersten Trainingss­tunde im Sportstudi­o Allgäu angemeldet. Künftig will die 32 Jährige regelmäßig in das Fitnessstu­dio in Marktoberd­orf kommen, wo sie von Trainerin Nina Maruhn betreut wird.
Foto: Matthias Becker Nadja Schneider hat sich getraut – und sich zur ersten Trainingss­tunde im Sportstudi­o Allgäu angemeldet. Künftig will die 32 Jährige regelmäßig in das Fitnessstu­dio in Marktoberd­orf kommen, wo sie von Trainerin Nina Maruhn betreut wird.

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