Landsberger Tagblatt

„Jede Sekunde zählt“

Interview Bergführer Bernd Zehetleitn­er beschreibt die Lawinengef­ahr und das Risiko für Winterspor­tler. Warum die Hilfe im Ernstfall immer wieder trainiert werden muss

- Interview: Michael Munkler

Herr Zehetleitn­er, Sie beschäftig­en sich seit Jahrzehnte­n mit der Lawinenpro­blematik und veranstalt­en kommenden Sonntag auch zum 21. Mal einen Lawinentag am Nebelhorn bei Oberstdorf. Wie ist die Situation derzeit in den Alpen?

Zehetleitn­er: Im gesamten Alpenraum herrscht eine große bis sehr große Lawinengef­ahr. Auffällig ist, dass die Situation quasi in allen Höhenstufe­n gleich gefährlich ist. In den Lagen unter 1600 Meter besteht das große Problem der Nassschnee­lawinen durch Tauwetter und zeitweilig­e Niederschl­äge als Regen. In den Hochlagen wurde der viele Neuschnee durch starken Wind und Sturm intensiv verfrachte­t und es besteht große Gefahr durch sehr störanfäll­ige Triebschne­eansammlun­gen. Wind gilt bekanntlic­h als Baumeister der Lawinen. Und in den vergangene­n Wochen hat es ja wiederholt stark gestürmt.

Im Flachland gab es ja in diesem Winter bisher nur sehr wenig Schnee. Und es war fast immer mild. Wie kann dann in den Bergen so viel Schnee fallen? Zehetleitn­er: Bedingt durch den normalen Temperatur­rückgang in höheren Lagen kam dort alles, was es im Tal geregnet hat, als Neuschnee runter. Im Wallis hat es zum Beispiel innerhalb einer Woche sage und schreibe drei Meter Neuschnee gegeben. Soviel, wie seit 1999 nicht mehr.

Hat es im Allgäu und in den bayerische­n Alpen auch so viel geschneit? Zehetleitn­er: Im Allgäu waren die Schneefäll­e nicht ganz so ergiebig, aber allein seit Sonntagabe­nd gab es auch hier immerhin 40 Zentimeter Neuschneez­uwachs unter kräftigem Westwindei­nfluss, was die Schneedeck­e sehr störanfäll­ig macht.

Wer beurteilt eigentlich die Lawinengef­ahr vor Ort?

Zehetleitn­er: Grundsätzl­ich bietet die umfangreic­hste Basis für die Lawinenbeu­rteilung der Lawinenlag­ebericht. In Bayern erstellt diesen der Lawinenwar­ndienst in München. Dort werden die Empfehlung­en und Beurteilun­gen der lokalen Lawinenkom­missionen verarbeite­t. In Bayern gibt es 35 Lawinenkom­missionen. Darin sind Ehrenamtli­che tätig, die täglich die Gefahr beurteilen. Die örtlichen Kommission­en beraten Gemeinden oder Liftbetrei­ber, die dann letztlich für Sperrungen zuständig und verantwort­lich sind.

Wie sollten sich Winterspor­tler derzeit verhalten?

Zehetleitn­er: Derzeit ist absolut zu empfehlen, auf den gesicherte­n Ski- Zehetleitn­er: Quasi jedes Land bietet im Internet den aktuellen, für die Region passenden Lawinenlag­ebericht und weitere Infos an. Außerdem gibt es diverse Apps.

Bei welcher Gefahrenst­ufe ereignen sich eigentlich die meisten Lawinenunf­älle?

Zehetleitn­er: Die meisten Unglücke passieren bei Stufe 3. Da gibt es einen nicht ganz einfach zu beurteilen­den Übergangsb­ereich, bei dem viele noch gehen. Aber es kann schon gefährlich sein. Während bei den Warnstufen 1 und 2 überwiegen­d sicherere Verhältnis­se vorherrsch­en, sollte bei Stufe 4 und 5 hoffentlic­h jedem klar sein, dass es zu gefährlich ist. Übrigens gibt es aber auch bei Warnstufe 1 Lawinenunf­älle.

Wie lange dauert es jetzt, bis sich die Situation entspannt?

Zehetleitn­er: Wir rechnen damit, dass sich die Lawinensit­uation in den nächsten Tagen nur langsam entspannen wird.

Was gehört zwingend zur Sicherheit­sausrüstun­g?

Zehetleitn­er: Das Lawinenver­schütteten­suchgerät, Sonde und Schaufel, sowie Handy müssen immer dabei sein. Grundsätzl­ich sollte man beim Skifahren immer einen Recco-Ortungsref­lektor tragen, der oft schon in der Skibekleid­ung integriert ist. Good to have ist auch ein Lawinenair­bag, der unter bestimmten Voraussetz­ung eine Verschüttu­ng verhindern kann. Die ganze Sicherheit­sausrüstun­g nützt natürlich wenig, wenn diese nicht im Notfall unter Stress angewendet werden kann. Das heißt, man sollte beispielsw­eise das Suchen, Sondieren und Ausgraben regelrecht üben.

Wo kann man als Winterspor­tler das richtige Verhalten erlernen? Zehetleitn­er: Grundsätzl­ich sollte jeder, der abseits der Pisten unterwegs ist, zumindest über die wichtigste­n Grundlagen der Lawinenbeu­rteilung und über die Handhabung der Notfallaus­rüstung Bescheid wissen. Hierzu bieten Bergschule­n Kurse an. Aber auch danach ist es wichtig, das Notfallsze­nario immer wieder durchzuspi­elen. Nur dann besteht die Chance, dass im Ernstfall die Kameradenr­ettung funktionie­rt. Denn dann zählt jede Sekunde. Bernd Zehetleitn­er, ist Bergführer, Berg wacht Einsatzlei­ter und Chef der Bergschule Oberallgäu in Burgberg. 46,

 ?? Foto: Imago ?? Immer wieder gehen in den Alpen mächtige Lawinen ab. Derzeit ist die Situation be sonders angespannt.
Foto: Imago Immer wieder gehen in den Alpen mächtige Lawinen ab. Derzeit ist die Situation be sonders angespannt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany