Der fliegende Holländer
Porträt Peter Wilson fotografiert „Landsberger Leute“. Die Geschichte dieser Menschen lesen Sie in der LT-Serie. Heute: Sybe Wartena
Landsberg Der Fotograf Peter Wilson nennt ihn den „Fliegenden Holländer“. In einer Serie mit dem Namen „Landsberger Leute“fotografierte der Ellinor-Holland-Preisträger Landsberger, und man erfährt so einiges über ihr Leben.
Bei Wind und Wetter flitzt er wochentags aus dem Landsberger Osten kommend die neue Bergstraße hinunter. Ein hochgewachsener, schlanker Mann auf einem alten Fahrrad, meistens in karierter Tweedjacke, ohne Helm. Genau sechs Minuten braucht er bis zum Bahnhof, alles genau kalkuliert, volles Tempo, bergab einmal die 35 Kilometer in der Stunde knacken, die Schulbusse meidet er: Dr. Sybe Wartena auf dem Weg nach München, wo er als wissenschaftlicher Referatsleiter (Bereich „Möbel, Spiele, Musikinstrumente und Modelle“) im Bayerischen Nationalmuseum arbeitet.
Ein Traumjob für einen promovierten Kunsthistoriker, Möbelrestaurator und gelernten Schreiner. Nur noch wenige Museen leisten sich derart spezialisierte Fachkräfte, deutschlandweit gibt es nur noch vier oder fünf Stellen mit diesem Spezialgebiet.
Sybe Wartena konzipiert Ausstellungen, regelt den Leihverkehr, schreibt Katalogartikel, tätigt Ankäufe, entwirft Führungsprogramme, beantwortet wissenschaftliche Anfragen und vieles mehr rund um das Überthema „Holz“.
Für Porzellan, Metalle, Stein, Textil, Keramik und Volkskunde ist jeweils ein anderer Spezialist zuständig. Eine Seltenheit für ein Museum, ein Glücksfall für Dr. Sybe Wartena. 1966 im belgischen Flandern als Sohn einer deutschen Mutter und eines holländischen Vaters geboren und niederländischdeutsch-flämisch aufgewachsen. Die Devise im Elternhaus hieß: Bau es selbst! Radio löten, Boxen bauen, Fahrräder reparieren. Gleich was – bis heute wird im Hause Wartena kaum etwas weggeschmissen, das man noch reparieren könnte.
Folgerichtig machte der junge Wartena nach dem Abi zunächst eine Schreinerausbidung in Antwerpen. Schon damals spezialisierte er sich auf Möbelrestaurierung. Er folgte seiner damaligen Freundin nach Mainz und arbeitete zwei Jahre in Möbelrestaurierungsbetrieben, bevor er sich in München an der Fachakademie zum staatlich geprüften Restaurator ausbilden ließ. Dann begann ein „langer, kurvenreicher Weg“, sagt Sybe Wartena. Zunächst interessierten ihn die geistesgeschichtlichen Hintergründe historischen Mobiliars und er begann mit dem Studium der Kunstgeschichte in München.
Für die Magisterarbeit machte er – nur aufgrund eines Fotos – ein wertvolles Augsburger Renaissancemöbel aus dem 16. Jahrhundert in einer madrilenischen Hochadelsfamilie ausfindig und analysierte es ausführlich. Davon wird später noch die Rede sein.
Es folgte die in der Kunstgeschichte fast obligatorische Promotion (über barocke Chorgestühle in Süddeutschland). Noch während des Studiums heiratete Sybe Wartena die Musikerin Dagmar König, und bald darauf kamen ihre drei Kinder zur Welt, sodass er während des Studiums Teilzeitjobs als Möbelrestaurator annahm und als wissenschaftliche Hilfskraft an der Uni arbeitete.
Dann sechs Jahre in der Bayerischen Schlösserverwaltung, zwei Jahre in der Landesstelle für nichtstaatliche Museen, bevor er 2012 als wissenschaftlicher Angestellter ans Bayerische Nationalmuseum wechselte. Der Höhepunkt seiner Karriere dort wäre, so sagt er, der Erwerb des oben genannten Renaissancemöbels, eines seltenen und ausgesprochen filigranen Kabinettschranks aus einer Augsburger Manufaktur. Die Verhandlungen laufen, sind aber noch offen.
1999 zog die Familie Wartena nach Landsberg, hauptsächlich der Waldorfschule für die Kinder wegen. Ein Reihenhaus in einer schulnahen Wohnsiedlung mit einem kleinen Garten, der den Namen eigentlich nicht verdient.
Deshalb pachtete Vater Wartena ein „verwunschenes 1000-Quadratmeter-Grundstück“in der Nähe dazu, einen eingewachsenen Garten mit großen Bäumen rundherum, einer kleinen Hütte, Beeten und alten Fahrrädern.
Denn das sind seine beiden Leidenschaften außerhalb des Berufs: Fahrräder und Garteln. Seit sein Vater vor zwei Jahren gestorben ist, sind auch noch einige Bienenvölker dazu gekommen.
Es ist das erste Mal im Rahmen der LT-Reihe „Landsberger Leute“, dass Fotograf Peter Wilson auf seinem Bild ein wesentliches Element aus dem Leben eines Porträtierten nicht darstellt: Die Möbelleidenschaft. Es mag daran liegen, dass Wilson die Begeisterung für alte Fahrräder mit Sybe Wartena teilt und dass die beiden hauptsächlich über dieses Thema gefachsimpelt haben.
Ein Traumjob für den Akademiker
Einmal ein Renaissancemöbel kaufen