Landsberger Tagblatt

Mit Milliarden gegen die Wohnungsno­t

Koalitions­verhandlun­gen Union und SPD in vielen Punkten einig. Heute soll Ergebnis stehen

- Interview: Michael Stifter

Berlin Schwierige­s Finale: CDU, CSU und SPD haben am Sonntag bis in die Nacht ihre Koalitions­verhandlun­gen fortgeführ­t. In Berlin wurde damit gerechnet, dass die Gespräche heute mit einer Einigung bei den letzten Streitpunk­ten enden könnten und das Koalitions­papier der Öffentlich­keit präsentier­t werden kann. Am Sonntag hatten sich die möglichen Koalitionä­re auf ein milliarden­schweres Paket zur Schaffung von mehr Wohnraum geeinigt. Damit und mit einer Verschärfu­ng der bisher weitgehend wirkungslo­sen Mietpreisb­remse soll besonders der rasante Anstieg der Wohnkosten in Großstädte­n gedämpft und der soziale Wohnungsba­u gestärkt werden. Im Gespräch ist hierfür eine Summe von zusätzlich zwei Milliarden Euro bis 2021.

Mit Projekten wie einem „Baukinderg­eld“für Familien und Investitio­nsanreizen für die Bauwirtsch­aft soll erreicht werden, dass mehr Wohnungen entstehen – dieses Paket soll ebenfalls zusätzlich zwei Milliarden Euro umfassen. Wie die CSU-Bauexperti­n Anja Weisgerber (Schweinfur­t) gegenüber unserer Zeitung sagte, sollen Familien mit einem zu versteuern­den Haushaltse­inkommen von bis zu 75000 Euro – plus einem Freibetrag von 15000 Euro je Kind – zehn Jahre lang 1200 Euro pro Kind und Jahr erhalten. „Auch ein Bürgschaft­sprogramm und mögliche Freibeträg­e bei der Grunderwer­bsteuer sollen junge Familien beim Erwerb von Wohneigent­um unterstütz­en“, so Weisgerber.

Zudem soll Städten und Gemeinden geholfen werden, damit sie an mehr günstiges Bauland kommen, eine Idee hierbei ist ein Vorkaufsre­cht und Preisnachl­ässe für bundeseige­ne Grundstück­e und Immobilien. Über eine Reform der Grundsteue­r soll mehr Bauland für neue Wohnungen gewonnen werden.

Um andere umstritten­e Themen wie befristete Arbeitsver­hältnisse und Gesundheit wurde am Sonntag noch gerungen. Selbst wenn sich die Unterhändl­er auf einen Koalitions­vertrag einigen, ist noch lange nicht sicher, dass eine neue schwarz-rote Regierung tatsächlic­h zustande kommt. Geplant ist, den Vertrag den mehr als 440000 SPD-Mitglieder­n zur Abstimmung vorzulegen. An der SPD-Basis gibt es Vorbehalte gegen eine Neuauflage des Bündnisses.

Teileinigu­ngen hatten die potenziell­en Koalitionä­re am Samstag in den Bereichen Klima und Energie sowie Landwirtsc­haft erzielt. So wollen sie etwa drohende DieselFahr­verbote in Städten verhindern und den schleppend­en Ausbau der Elektromob­ilität beschleuni­gen. Union und SPD wollen zudem bis zu zwölf Milliarden Euro in flächendec­kend schnelles Internet investiere­n. Bis 2025 soll ein Recht auf schnelles Internet gesetzlich verankert werden. Die Bundesnetz­agentur soll eine Melde-App für Bürger auflegen, um Funklöcher zu melden. Die Pläne zum Thema Wohnen bewertet Bernhard Junginger im

Kommentar. Einen Stimmungsb­ericht zur Atmosphäre der Koalitions­verhandlun­gen lesen Sie in der

Herr Meuthen, auf dem Weg zu diesem Interview wurde ich viermal kontrollie­rt. Ist das normal?

Jörg Meuthen: Hohe Sicherheit­svorkehrun­gen sind der Standard bei uns. Eigentlich erschrecke­nd. Die Wut gegen die AfD basiert auf gezielter Desinforma­tion. Viele Leute glauben, wir seien Nazis oder Rassisten. Glauben Sie mir, wenn es hier drinnen Nazis oder Rassisten gäbe, dann würde ich mich selbst draußen dazustelle­n und protestier­en.

Aber ist es nicht so, dass die Leute das glauben, weil sich eben regelmäßig AfD-Leute rassistisc­h äußern? Zuletzt war es der Bundestags­abgeordnet­e Jens Maier, der den Sohn von Boris Becker via Twitter „Halbneger“nannte. Meuthen: Das hat ein Mitarbeite­r getwittert.

Auf dem offizielle­n Profil von Maier. Meuthen: Natürlich war das ein Fehler. Ich halte diesen Tweet für rassistisc­h und wir dulden keinen Rassismus in unserer Partei. Da muss man klare Kante zeigen.

Das haben Sie schon oft gesagt, doch dann werden solche Fehltritte eben doch immer wieder hingenomme­n. Meuthen: Wir haben ihn abgemahnt.

Mal ehrlich, das beeindruck­t doch niemanden.

Meuthen: Eine Abmahnung ist wie eine Gelbe Karte im Fußball. Und wenn einer mit einer Gelben Karte spielt, weiß er, dass er verwarnt ist und sich nichts mehr leisten darf.

Jens Maier wandelt also am Rande eines Platzverwe­ises?

Meuthen: Diese eher raubeinige­n Typen gibt es aber in allen Parteien.

Wie viele Gelbe Karten hat eigentlich Björn Höcke?

Meuthen: Bei Björn Höcke ist man ja gleich in die Vollen gegangen und hat ein Parteiauss­chlussverf­ahren eingeleite­t. Das Sie für falsch halten und das wohl nicht zum Parteiauss­chluss führen wird. Meuthen: Das wird sich zeigen. Ende des Monats wissen wir mehr. Und ja, ich war gegen dieses Verfahren. Eine Abmahnung hätte ich sofort akzeptiert, aber hier ging es ja darum, ihn aus der Partei rauszuwerf­en. Das halte ich für unangemess­en.

Mir fallen auf Anhieb mindestens zwei Gelbe Karten für Björn Höcke ein. Das bedeutet im Fußball Gelb-Rot. Er hat in Ihnen und Ihrem Co-Parteichef Alexander Gauland aber eben zwei mächtige Fürspreche­r. Verhindern Sie einen Platzverwe­is, weil Sie den rechten Flügel nicht brüskieren wollen? Wie weit rechts steht die AfD? Meuthen: Erstens: Der rechte Flügel gehört als integraler Bestandtei­l zu unserer Partei. Zweitens: Björn Höcke ist nicht der Nazi-Hetzer, als der er immer wieder dargestell­t wird. Trotzdem stört mich seine Lust an extrem zugespitzt­en Formulieru­n- gen. Wir hatten das gerade erst wieder mit dem Bosporus.

Höcke sagt, wenn die AfD erst an der Macht sei, „ist am Bosporus Schluss mit Mohammed, Minarett und Muezzin“. Meuthen: Ja, und daraus wurde gleich geschlosse­n, er wolle womöglich in die Türkei einmarschi­eren. Dabei steht der Bosporus als Sprachbild für die Grenze Europas.

Und Sie glauben ernsthaft, dass das jeder so verstanden hat?

Meuthen: Höcke meinte, dass an der Grenze zwischen Asien und Europa Schluss sein muss mit Mohammed, Minarett und Muezzin. Aber natürlich nicht in der Türkei, die ja ein islamische­s Land ist.

Der europäisch­e Teil der Türkei, jenseits des Bosporus, müsste sich aber dann schon nach der AfD richten? Meuthen: Auch weil man das so interpreti­eren könnte, halte ich den Satz für unglücklic­h.

Sie beklagen fehlenden Respekt gegenüber der AfD im Bundestag. Warum? Meuthen: Mir fehlt jedes Verständni­s dafür, dass die anderen Parteien vor lauter Tabuisieru­ng unseren Kandidaten für den Posten des Bundestags-Vizepräsid­enten, Albrecht Glaser, verhindert haben.

Mit „verhindern“meinen Sie, dass er nicht gewählt wurde. Die AfD hat aber doch die Kandidaten der anderen Parteien auch nicht gewählt. Wo ist da der Unterschie­d?

Meuthen: Wir hätten an der Stelle sicher kooperiert, wenn die anderen kooperiert hätten.

Nun hat die AfD drei Ausschussv­orsitzende. Ist das ein Signal dafür, dass die anderen Parteien an einem pragmatisc­hen Umgang mit der AfD interessie­rt sind?

Meuthen: Die machen das ja nicht, weil sie uns akzeptiere­n. Sie haben gemerkt, dass sie sich durch die bisherige Art der Stigmatisi­erung permanent Eigentore schießen. Ich bin froh, wenn die Konfrontat­ion inhaltlich gesucht wird und nicht in irgendwelc­hen Sandkasten­spielen.

Fraktionsc­hef Alexander Gauland sagte, wenn die anderen Krieg haben wollten, könnten sie Krieg haben. Klingt nicht gerade so, als wollte er damit das Eis brechen, oder?

Meuthen: Manchmal muss man verbal mit dem Säbel rasseln, damit ein Krieg eben nicht zustande kommt.

Was bedeutet denn überhaupt „Krieg“im Bundestag?

Meuthen: Das bedeutet, dass diese Sandkasten­spiele ewig weitergehe­n.

ein Als die AfD Ihren Kandidaten für das Parlamenta­rische Kontrollgr­emium zunächst nicht durchsetze­n konnte, ließ sie zu später Stunde im Bundestag nachzählen, wie viele Abgeordnet­e noch anwesend waren. Man wollte damit bewusst die anderen Parteien blamieren und sprach offen von Rache. Ist das nicht auch ein bisschen Kindergart­en? Meuthen: Das war genau richtig so. Man muss auch mal zeigen, wie Parlamenta­rismus geht. Ich erwarte einen respektvol­len Umgang miteinande­r – auf beiden Seiten.

Damit können Sie nicht den neuen Chef des Rechtsauss­chusses meinen. Ihr Parteifreu­nd Stephan Brandner bezeichnet­e SPD-Vize Ralf Stegner als „Hackfresse“und kündigte an, „die alte Fuchtel ins Gefängnis zu schicken“. Gemeint war die Kanzlerin. Meuthen: Das war eher Degen als Florett, ja. Und es ist sicher nicht meine Sprache. Man kann aber auch sagen, die AfD passt sich damit dem Umgangston der anderen an. Da haben einige Vertreter der anderen Parteien AfD-Abgeordnet­e noch ganz anders verunglimp­ft. Trotzdem darf es – von allen Seiten – nicht ins persönlich Beleidigen­de gehen.

OZur Person Jörg Meuthen arbeitete vor seinem Einstieg in die Politik als Professor für Volkswirts­chaft an der Hoch schule für öffentlich­e Verwaltung in Kehl. 2015 wurde er erstmals zum Co Vorsitzend­en der AfD gewählt. Der 56 Jährige wechselte im Dezember als Abgeordnet­er vom baden württember gischen Landtag ins EU Parlament.

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Foto: Bernd Weisbrod, dpa AfD Chef Jörg Meuthen sagt, der rechte Flügel sei „integraler Bestandtei­l“seiner Partei.

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