Mit Milliarden gegen die Wohnungsnot
Koalitionsverhandlungen Union und SPD in vielen Punkten einig. Heute soll Ergebnis stehen
Berlin Schwieriges Finale: CDU, CSU und SPD haben am Sonntag bis in die Nacht ihre Koalitionsverhandlungen fortgeführt. In Berlin wurde damit gerechnet, dass die Gespräche heute mit einer Einigung bei den letzten Streitpunkten enden könnten und das Koalitionspapier der Öffentlichkeit präsentiert werden kann. Am Sonntag hatten sich die möglichen Koalitionäre auf ein milliardenschweres Paket zur Schaffung von mehr Wohnraum geeinigt. Damit und mit einer Verschärfung der bisher weitgehend wirkungslosen Mietpreisbremse soll besonders der rasante Anstieg der Wohnkosten in Großstädten gedämpft und der soziale Wohnungsbau gestärkt werden. Im Gespräch ist hierfür eine Summe von zusätzlich zwei Milliarden Euro bis 2021.
Mit Projekten wie einem „Baukindergeld“für Familien und Investitionsanreizen für die Bauwirtschaft soll erreicht werden, dass mehr Wohnungen entstehen – dieses Paket soll ebenfalls zusätzlich zwei Milliarden Euro umfassen. Wie die CSU-Bauexpertin Anja Weisgerber (Schweinfurt) gegenüber unserer Zeitung sagte, sollen Familien mit einem zu versteuernden Haushaltseinkommen von bis zu 75000 Euro – plus einem Freibetrag von 15000 Euro je Kind – zehn Jahre lang 1200 Euro pro Kind und Jahr erhalten. „Auch ein Bürgschaftsprogramm und mögliche Freibeträge bei der Grunderwerbsteuer sollen junge Familien beim Erwerb von Wohneigentum unterstützen“, so Weisgerber.
Zudem soll Städten und Gemeinden geholfen werden, damit sie an mehr günstiges Bauland kommen, eine Idee hierbei ist ein Vorkaufsrecht und Preisnachlässe für bundeseigene Grundstücke und Immobilien. Über eine Reform der Grundsteuer soll mehr Bauland für neue Wohnungen gewonnen werden.
Um andere umstrittene Themen wie befristete Arbeitsverhältnisse und Gesundheit wurde am Sonntag noch gerungen. Selbst wenn sich die Unterhändler auf einen Koalitionsvertrag einigen, ist noch lange nicht sicher, dass eine neue schwarz-rote Regierung tatsächlich zustande kommt. Geplant ist, den Vertrag den mehr als 440000 SPD-Mitgliedern zur Abstimmung vorzulegen. An der SPD-Basis gibt es Vorbehalte gegen eine Neuauflage des Bündnisses.
Teileinigungen hatten die potenziellen Koalitionäre am Samstag in den Bereichen Klima und Energie sowie Landwirtschaft erzielt. So wollen sie etwa drohende DieselFahrverbote in Städten verhindern und den schleppenden Ausbau der Elektromobilität beschleunigen. Union und SPD wollen zudem bis zu zwölf Milliarden Euro in flächendeckend schnelles Internet investieren. Bis 2025 soll ein Recht auf schnelles Internet gesetzlich verankert werden. Die Bundesnetzagentur soll eine Melde-App für Bürger auflegen, um Funklöcher zu melden. Die Pläne zum Thema Wohnen bewertet Bernhard Junginger im
Kommentar. Einen Stimmungsbericht zur Atmosphäre der Koalitionsverhandlungen lesen Sie in der
Herr Meuthen, auf dem Weg zu diesem Interview wurde ich viermal kontrolliert. Ist das normal?
Jörg Meuthen: Hohe Sicherheitsvorkehrungen sind der Standard bei uns. Eigentlich erschreckend. Die Wut gegen die AfD basiert auf gezielter Desinformation. Viele Leute glauben, wir seien Nazis oder Rassisten. Glauben Sie mir, wenn es hier drinnen Nazis oder Rassisten gäbe, dann würde ich mich selbst draußen dazustellen und protestieren.
Aber ist es nicht so, dass die Leute das glauben, weil sich eben regelmäßig AfD-Leute rassistisch äußern? Zuletzt war es der Bundestagsabgeordnete Jens Maier, der den Sohn von Boris Becker via Twitter „Halbneger“nannte. Meuthen: Das hat ein Mitarbeiter getwittert.
Auf dem offiziellen Profil von Maier. Meuthen: Natürlich war das ein Fehler. Ich halte diesen Tweet für rassistisch und wir dulden keinen Rassismus in unserer Partei. Da muss man klare Kante zeigen.
Das haben Sie schon oft gesagt, doch dann werden solche Fehltritte eben doch immer wieder hingenommen. Meuthen: Wir haben ihn abgemahnt.
Mal ehrlich, das beeindruckt doch niemanden.
Meuthen: Eine Abmahnung ist wie eine Gelbe Karte im Fußball. Und wenn einer mit einer Gelben Karte spielt, weiß er, dass er verwarnt ist und sich nichts mehr leisten darf.
Jens Maier wandelt also am Rande eines Platzverweises?
Meuthen: Diese eher raubeinigen Typen gibt es aber in allen Parteien.
Wie viele Gelbe Karten hat eigentlich Björn Höcke?
Meuthen: Bei Björn Höcke ist man ja gleich in die Vollen gegangen und hat ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet. Das Sie für falsch halten und das wohl nicht zum Parteiausschluss führen wird. Meuthen: Das wird sich zeigen. Ende des Monats wissen wir mehr. Und ja, ich war gegen dieses Verfahren. Eine Abmahnung hätte ich sofort akzeptiert, aber hier ging es ja darum, ihn aus der Partei rauszuwerfen. Das halte ich für unangemessen.
Mir fallen auf Anhieb mindestens zwei Gelbe Karten für Björn Höcke ein. Das bedeutet im Fußball Gelb-Rot. Er hat in Ihnen und Ihrem Co-Parteichef Alexander Gauland aber eben zwei mächtige Fürsprecher. Verhindern Sie einen Platzverweis, weil Sie den rechten Flügel nicht brüskieren wollen? Wie weit rechts steht die AfD? Meuthen: Erstens: Der rechte Flügel gehört als integraler Bestandteil zu unserer Partei. Zweitens: Björn Höcke ist nicht der Nazi-Hetzer, als der er immer wieder dargestellt wird. Trotzdem stört mich seine Lust an extrem zugespitzten Formulierun- gen. Wir hatten das gerade erst wieder mit dem Bosporus.
Höcke sagt, wenn die AfD erst an der Macht sei, „ist am Bosporus Schluss mit Mohammed, Minarett und Muezzin“. Meuthen: Ja, und daraus wurde gleich geschlossen, er wolle womöglich in die Türkei einmarschieren. Dabei steht der Bosporus als Sprachbild für die Grenze Europas.
Und Sie glauben ernsthaft, dass das jeder so verstanden hat?
Meuthen: Höcke meinte, dass an der Grenze zwischen Asien und Europa Schluss sein muss mit Mohammed, Minarett und Muezzin. Aber natürlich nicht in der Türkei, die ja ein islamisches Land ist.
Der europäische Teil der Türkei, jenseits des Bosporus, müsste sich aber dann schon nach der AfD richten? Meuthen: Auch weil man das so interpretieren könnte, halte ich den Satz für unglücklich.
Sie beklagen fehlenden Respekt gegenüber der AfD im Bundestag. Warum? Meuthen: Mir fehlt jedes Verständnis dafür, dass die anderen Parteien vor lauter Tabuisierung unseren Kandidaten für den Posten des Bundestags-Vizepräsidenten, Albrecht Glaser, verhindert haben.
Mit „verhindern“meinen Sie, dass er nicht gewählt wurde. Die AfD hat aber doch die Kandidaten der anderen Parteien auch nicht gewählt. Wo ist da der Unterschied?
Meuthen: Wir hätten an der Stelle sicher kooperiert, wenn die anderen kooperiert hätten.
Nun hat die AfD drei Ausschussvorsitzende. Ist das ein Signal dafür, dass die anderen Parteien an einem pragmatischen Umgang mit der AfD interessiert sind?
Meuthen: Die machen das ja nicht, weil sie uns akzeptieren. Sie haben gemerkt, dass sie sich durch die bisherige Art der Stigmatisierung permanent Eigentore schießen. Ich bin froh, wenn die Konfrontation inhaltlich gesucht wird und nicht in irgendwelchen Sandkastenspielen.
Fraktionschef Alexander Gauland sagte, wenn die anderen Krieg haben wollten, könnten sie Krieg haben. Klingt nicht gerade so, als wollte er damit das Eis brechen, oder?
Meuthen: Manchmal muss man verbal mit dem Säbel rasseln, damit ein Krieg eben nicht zustande kommt.
Was bedeutet denn überhaupt „Krieg“im Bundestag?
Meuthen: Das bedeutet, dass diese Sandkastenspiele ewig weitergehen.
ein Als die AfD Ihren Kandidaten für das Parlamentarische Kontrollgremium zunächst nicht durchsetzen konnte, ließ sie zu später Stunde im Bundestag nachzählen, wie viele Abgeordnete noch anwesend waren. Man wollte damit bewusst die anderen Parteien blamieren und sprach offen von Rache. Ist das nicht auch ein bisschen Kindergarten? Meuthen: Das war genau richtig so. Man muss auch mal zeigen, wie Parlamentarismus geht. Ich erwarte einen respektvollen Umgang miteinander – auf beiden Seiten.
Damit können Sie nicht den neuen Chef des Rechtsausschusses meinen. Ihr Parteifreund Stephan Brandner bezeichnete SPD-Vize Ralf Stegner als „Hackfresse“und kündigte an, „die alte Fuchtel ins Gefängnis zu schicken“. Gemeint war die Kanzlerin. Meuthen: Das war eher Degen als Florett, ja. Und es ist sicher nicht meine Sprache. Man kann aber auch sagen, die AfD passt sich damit dem Umgangston der anderen an. Da haben einige Vertreter der anderen Parteien AfD-Abgeordnete noch ganz anders verunglimpft. Trotzdem darf es – von allen Seiten – nicht ins persönlich Beleidigende gehen.
OZur Person Jörg Meuthen arbeitete vor seinem Einstieg in die Politik als Professor für Volkswirtschaft an der Hoch schule für öffentliche Verwaltung in Kehl. 2015 wurde er erstmals zum Co Vorsitzenden der AfD gewählt. Der 56 Jährige wechselte im Dezember als Abgeordneter vom baden württember gischen Landtag ins EU Parlament.