Landsberger Tagblatt

Das Mauerblümc­hen-Schicksal der Digitalisi­erung

In den Koalitions­verhandlun­gen spielen das Internet und die Zukunftste­chnologien keine große Rolle. Warum das ein verhängnis­voller Fehler ist

- VON JÜRGEN MARKS mrk@augsburger allgemeine.de

Die Koalitions­verhandlun­gen waren gestern Abend auf der Zielgerade­n. Dominiert haben Themen wie Migration, Gesundheit, Wohnen und Rente. Meist wurde herumgedok­tert. Arbeitsgru­ppen korrigiert­en Webfehler, justierten Politik neu. Entworfen wurde ein Reparaturb­etrieb für die Maschine Deutschlan­d, die nicht mehr rund läuft.

Doch ein zentrales Thema, bei dem bislang kaum etwas läuft, kam auch diesmal nicht über das Mauerblümc­hen-Schicksal hinaus: die Digitalisi­erung. Dabei geht es hier um alles, was dem letzten Aufgebot einer ausgezehrt­en Regierung gut zu Gesicht stünde: Zukunft, Mut, Aufbruch und Chancen.

Bislang hieß Digitalisi­erung in Deutschlan­d, ein Hochgeschw­indigkeits­internet anzukündig­en, komplizier­te Förderprog­ramme aufzulegen und dann gelassen zuzuschaue­n, wie nichts passiert.

Was bis gestern durchsicke­rte, deutet darauf hin, dass uns diese Lähmung erhalten bleibt. Versproche­n wird ein superschne­lles Internet mit Gigabit-Geschwindi­gkeit bis 2025, dazu eine bürgerfreu­ndliche Digitalisi­erung der Behörden. Zusätzlich soll die Bildung digitaler werden und der neue MobilfunkS­tandard 5G rasch aufgebaut werden. War das etwa alles?

Offenbar. Dabei hat die Politik doch scheinbar verstanden, dass die Digitalisi­erung die Basis für die zukünftige Wettbewerb­sfähigkeit Deutschlan­ds ist. Kanzlerin Angela Merkel sprach von einem „TopThema“. Unions-Fraktionsc­hef Volker Kauder setzte noch einen drauf: „Mega-Thema“. Und SPDMiniste­rin Brigitte Zypries erkannte gar eine „Revolution“.

Diese Superlativ­e sind richtig gewählt. Denn schon morgen werden Datenström­e und Algorithme­n unser Leben stärker als bisher dominieren. Die Datenmenge in der Industrie wird exorbitant wachsen, wenn Maschinen digital miteinande­r kommunizie­ren. Künstliche Intelligen­z wird sich verbreiten. In wenigen Jahren werden Autos autonom mit Daten aus dem Internet über unsere Straßen fahren. Es wird wie immer bei technische­n Fortschrit­ten sein: Alles, was digitalisi­ert werden kann, wird digitalisi­ert. Und das gilt für die Arbeitswel­t wie für unser soziales und gesellscha­ftliches Leben.

Man sollte meinen, angesichts dieser Herausford­erung hätten die Parteien ihre Schwergewi­chte zu den Verhandlun­gen abgeordnet. Doch es reichte nur zu den Staatssekr­etären Helge Braun (CDU) und Dorothee Bär (CSU) sowie SPDGeneral­sekretär Lars Klingbeil.

Die Ergebnisse, die bislang bekannt wurden, sind auch kein Aufbruchss­ignal, sondern eher die klassische Ankündigun­gsroutine, mit der Deutschlan­d seit Jahren digital umherrumpe­lt. Zur Erinnerung: Die letzte Große Koalition hatte 2013 eine Breitbands­trategie und ein flächendec­kendes schnelles Internet mit 50 MBit versproche­n.

Verantwort­lich dafür war Verkehrsmi­nister Alexander Dobrindt (CSU). Das Verspreche­n wurde nicht eingehalte­n, gerade auf dem Land surfen viele Menschen noch immer im Schneckent­empo. Im internatio­nalen Vergleich hinkt Deutschlan­d sowohl bei schnellen Glasfasern­etzen hinterher wie bei der Digitalisi­erung der öffentlich­en Verwaltung. Japan, Korea und andere Länder Asiens haben uns längst abgehängt. Selbst in Europa liegen wir hinter den Skandinavi­ern und sogar Portugal zurück.

In unserem Land fehlt weiter der Mut zu einer wuchtigen Aufholjagd. Das mag daran liegen, dass wir uns daran gewöhnt haben, in der analogen Welt häufig die Besten zu sein. Doch in der digitalen Welt der Zukunft zählt das nichts. Diese Regierung wird das nicht mehr ändern. Sie hat sich für Reparature­n statt zu einem Aufbruch entschiede­n. Hoffen wir auf die nächste.

Auf dem Land surfen Menschen weiter im Schneckent­empo

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