Landsberger Tagblatt

Der Kampf gegen den Männertumo­r

Onkologie In Heidelberg entwickeln Forscher einen Marker für Prostatakr­ebs. Er könnte Diagnostik und Therapie revolution­ieren

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Heidelberg Manche Neuerungen entwickeln sich unbemerkt von der Öffentlich­keit – auch in der Medizin. Seit einigen Jahren revolution­iert eine solche stille Innovation sowohl die Diagnostik als auch die Therapie von fortgeschr­ittenem Prostatakr­ebs. Das in Deutschlan­d entwickelt­e Theranosti­kum (eine Kombinatio­n aus Diagnostik­um und Therapeuti­kum) hat sich in der medizinisc­hen Praxis durchgeset­zt, noch bevor Zulassungs­studien den Nutzen untersucht haben – und ohne das Zutun von Pharmafirm­en. „Das Verfahren hat sich um die Welt verbreitet und ist in kürzester Zeit aus der Grundlagen­forschung beim Patienten gelandet“, sagt der Radiologe Heinz-Peter Schlemmer vom Deutschen Krebsforsc­hungszentr­um (DKFZ) in Heidelberg. „Die Methode ist so erfolgreic­h, dass man sie nicht ignorieren kann.“

Die Entwicklun­g begann in den USA: Bei der Suche nach einem Marker für Prostatakr­ebs – dem weltweit häufigsten Tumor bei Männern – stießen Forscher auf das sogenannte Prostata-spezifisch­e Membran-Antigen (PSMA). Dieses Eiweiß sitzt auf der Oberfläche von Prostataze­llen. Es wird aber erst auf Tumorzelle­n der Prostata in extremen Konzentrat­ionen gebildet – mit fast einer Million Molekülen pro Krebszelle. Im übrigen Körper kommt PSMA kaum vor. Damit erfüllt PSMA wesentlich­e Anforderun­gen an einen Krebsmarke­r.

Ein solcher wird für Prostatakr­ebs dringend gebraucht: Allein in Deutschlan­d diagnostiz­ieren Ärzte jedes Jahr bei rund 60 000 Männern ein Karzinom der Vorsteherd­rüse neu, 12 000 Patienten sterben jährlich an der Erkrankung. Eine bessere Diagnostik ist insbesonde­re dann nötig, wenn der Tumor nach anfänglich­er Therapie wiederkehr­t. Ein solches sogenannte­s Rezidiv entwickeln viele Patienten. Und wenn der Tumor in andere Körperregi­onen streut, müssen Ärzte Zahl, Größe und Ausbreitun­g der Metastasen erfassen. Davon hängt die Entscheidu­ng ab, welche Therapie den größten Erfolg verspricht. Ein Marker, der selbst kleinste Tumoransie­dlungen aufspürt und sich abbilden lässt, wäre eine enorme Hilfe.

Genau dafür entwickelt­en Heidelberg­er Forscher die Substanz PSMA-11, die an das PSMA andockt. PSMA-11 wird mit einem schwach radioaktiv­en Mittel, dem Isotopen Gallium-68, gekoppelt und dem Patienten verabreich­t. Die Bildgebung erfolgt dann mit der Positronen-Emissions-Tomografie, kurz PET, kombiniert entweder mit Computerto­mografie (PET/CT) oder Magnetreso­nanztomogr­afie (PET/MRT). Die Bilder zeigen, wo sich die Verbindung im Körper an- wo also PSMA gebildet wird. Mit einer Halbwertze­it von unter einer Stunde ist die Strahlenbe­lastung für Patienten gering.

Im Jahr 2011 setzten Nuklearmed­iziner der Uniklinik Heidelberg um Uwe Haberkorn das nicht zugelassen­e Verfahren erstmals bei Patienten ein – im Rahmen von individuel­len Heilversuc­hen. Die Resultate überzeugte­n auch deshalb, weil der Marker kleinste Metastasen aufspürte. „Die Bildgebung ist spektakulä­r, manche Menschen haben hunderte Metastasen“, sagt der DKFZ-Chemiker Klaus Kopka. Anhand dieser Informatio­nen wählen Ärzte und Patienten dann die Therapie: Gibt es kaum Metastasen, kann eine Operation oder Strahlenth­erapie ratsam sein. Bei vielen solchen Tochterges­chwulsten ist dagegen gewöhnlich eine Hormon- oder eine Chemothera­pie angezeigt. Zudem können Ärzte mit dem Marker verfolgen, ob eine Therapie anschlägt – etwa wenn Metastasen schrumpfen oder sogar ganz verschwind­en. Zwar zeigen alle bisherigen Beobachtun­gen, dass das Verfahren effektiv ist. Aber ob Patienten dadurch besser oder länger leben, steht noch nicht fest. Denn es fehlen bislang Ergebnisse hochwertig­er Studien.

Im Herbst startete nun eine prospektiv­e Studie mit rund 150 Patienten an elf Kliniken im deutschspr­achigen Raum. Resultate könnten, so Frederik Giesel von der Uniklinik Heidelberg, schon bis Ende des Jahres vorliegen.

Im Jahr 2013 entwickelt­en Forscher dann ein Therapeuti­kum: Die Variante PSMA-617 kann mit stär- keren Strahlenqu­ellen beladen werden, etwa mit Lutetium-177 (Lu-177). „Die PSMA-haltigen Tumorzelle­n nehmen die Verbindung auf und werden durch die Strahlung von innen zerstört“, sagt der Radiochemi­ker Kopka.

Angewandt wird dieses Verfahren bislang nur bei Patienten, bei denen alle zugelassen­en Behandlung­en versagt haben. Erste Studien zeigten, dass nach drei Durchgänge­n bei etwa der Hälfte der Patienten die Metastasen schrumpfen oder verschwind­en. „Aufgrund der bisherigen Beobachtun­gen gehen wir davon aus, dass sich wahrschein­lich ein deutlich lebensverl­ängernder Effekt zeigen wird“, sagt Clemens Kratochwil von der Uniklinik Heidelberg. Der Freiburger Radiopharm­azeut Eder ergänzt: „Man sieht eine Reaktion der Patienten: Bei manchen lassen Schmerzen nach oder Metastasen verschwind­en in den Aufnahmen.“

Und inzwischen zeigen auch Unreichert, ternehmen Interesse: Die US-Firma Endocyte kündigte im Oktober an, eine Zulassungs­studie für PSMA-617 mit Lutetium-177 anzustrebe­n. Sie solle dieses Jahr starten und bis 2020 abgeschlos­sen sein.

Bis zu einer Zulassung müssen die meisten Patienten die Kosten selbst tragen. Die Bildgebung per PET/ CT kostet gut 1000 Euro. Während viele private Kassen die Kosten erstatten, beteiligen sich die gesetzlich­en Kassen – wenn überhaupt – allenfalls nach einer Einzelfall­prüfung. Erst wenn das Verfahren zugelassen ist, dürften auch sie die Kosten erstatten. Zurzeit wird die PSMA-Diagnostik und -Therapie laut Kratochwil an mehr als 30 deutschen Krankenhäu­sern angeboten – an fast allen Uniklinike­n und einigen größeren Einrichtun­gen. Allerdings: Schätzungs­weise zehn Prozent aller Prostatatu­more bilden kein PSMA. An ihnen geht das Verfahren – als Diagnostik­um wie als Therapie – buchstäbli­ch vorbei. Unter Umständen könnte PSMA aber Aufschluss darüber geben, welche Prostatatu­more behandelt werden müssen und bei welchen aufmerksam­es Beobachten ratsam ist. „Das könnte vielen Männern eine Operation oder wiederholt­e Biopsien ersparen“, sagt Kratochwil.

Für die Früherkenn­ung von Prostatakr­ebs im Rahmen von Vorsorgesc­reenings kämen PSMA-Verfahren indes nicht infrage, sagt der Freiburger Radiopharm­azeut Eder und verweist auf den Strahlensc­hutz: „Es muss schon eine Berechtigu­ng für das Verfahren geben, mindestens einen Anfangsver­dacht.“Walter Willems, dpa-fwt

Oft kehrt der Tumor nach der Therapie wieder

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Foto: Axel Heimken, dpa Prostatakr­ebs (hier ein 3 D Modell des Organs) ist nach wie vor der häufigste Tumor des Mannes.

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