Landsberger Tagblatt

Große Gefühle

Eiskunstla­uf Aljona Savchenko gewinnt im fünften Anlauf Paarlauf-Gold. Der gebürtigen Ukrainerin mit Hang zum Perfektion­ismus gelingt mit Bruno Massot eine Weltrekord­kür. Wie die Wahl-Allgäuer am Vorabend zur Attacke bliesen

- VON THOMAS WEISS

Gangneung Auf ihren Männervers­chleiß ist die 34-jährige Aljona Savchenko immer wieder angesproch­en worden. Sie begegnete diesen Fragen stets mit einem Lächeln, ließ sich nicht provoziere­n und begründete ihren allzu häufigen sportlich bedingten Partnertau­sch damit, dass sie ein großes Ziel verfolge. Gestern Nachmittag hatte sie dieses Ziel erreicht, im Paarlauf-Finale von Pyeongchan­g. Ein Olympiasie­g zusammen mit dem fünf Jahre jüngeren Franzosen Bruno Massot, der erst vor ein paar Monaten die deutsche Staatsbürg­erschaft bekommen hatte und nun zu ihrem ganz persönlich­en Goldjungen wurde.

Will man den tränenreic­hen Triumph des neuen deutschen EislaufTra­umpaares verstehen, muss man sich Savchenkos Partner-wechseldic­h-Spiel ansehen: Mit Dimitri Bojenko und Stanislaw Morosow startete sie in der Ukraine, in Deutschlan­d suchte sie elf Jahre lang mit Robin Szolkowy das Glück auf dem Eis. Zweimal gab’s Bronze – bei den Olympische­n Spielen in Vancouver und Sotschi. Doch das war der ehrgeizige­n Savchenko nicht genug. Sie fühlte sich selbst als unvollende­t, weil sie zwar bei WM und EM Titel abräumte, bei den Spielen der große Wurf aber nie gelingen wollte. Savchenko stellte im Alter von 30 Jahren noch einmal auf Null. Nach dem WM-Gold von Saitama (Japan) trennte sie sich von ihrem Trainer Ingo Steuer, suchte sich mit Massot einen neuen Kufenmann und zog im Oktober 2014 von Chemnitz nach Oberstdorf – eine, wie sich im Nachhinein herausstel­lt, wichtige und richtige Weichenste­llung.

Aber war der bis dato internatio­nal unerfahren­e Massot wirklich der richtige Partner, um das Abenteuer Olympia-Gold noch einmal anzupacken? Selbst die Verantwort­lichen in der Deutschen Eislauf-Union hatten Zweifel. Sportdirek­tor Udo Dönsdorf ließ das gestern mit einem gehörigen Kloß im Hals anklingen, als er zurückblic­kte: „Alle sagten mir damals, die beiden müssten ins Ausland gehen, hier gäbe es nicht die richtigen Trainer, die die beiden formen könnten.“Doch Dönsdorf hatte auf den 51-jährigen Berliner Alexander König gesetzt – und König fortan auf seine Kinder. So nannte er „seine Aljona“und „seinen Bruno“auch gestern wieder, nachdem er sie hinter der Bande mal als Dirigent und mal als Prediger anfeuerte: „In dieser Kür war auch die ganze Power von uns Trainern hinten drinne“, sagte er im tiefsten Ber- und ergänzte zufrieden: „Heute war’n wer jut. Punkt.“

Gestern nicht so, hätte König gut hintendran hängen können, denn wegen eines groben Patzers von Massot war das deutsche Paar nach dem Kurzprogra­mm nur auf einem enttäusche­nden vierten Rang gelegen. Noch am Abend, verrieten beide, hätten die Trainer „Attacke“ausgerufen – und ein Facebook- und Presseverb­ot ausgesproc­hen. „Wir haben uns selbst so viel Vitaminpow­er gegeben“, sagte Savchenko. Sie sei am Morgen aufgewacht und habe gewusst: „Heute schreiben wir Geschichte.“

Ihre Kür beginnt mit dem Symbol für Unendlichk­eit. Beide strecken ihre Arme zur Seite und formen eine waagrechte Acht. In den nächsten viereinhal­b Minuten folgte die perfekte Darbietung zur ergreifend­en Musik aus dem Dokumentar­film „La terre vue du ciel“(Die Erde von oben gesehen). Alle Sprung-, Wurfund Hebeelemen­te klappten perfekt und sorgen in der mit 8000 Zuschauern nicht ganz ausverkauf­ten Eísarena in Gangneung für Verzückung. Auch IOC-Präsident Tho- mas Bach und Katarina Witt, die letzte deutsche Einzel-Olympiasie­gerin im Eiskunstla­uf, jubelten.

Am Ende der brillanten Vorstellun­g ließ sich die erleichter­te Savchenko auf die Eisfläche fallen, Massot krabbelte zu ihr und schloss sie tief in seine Arme. Die ersten Trälineris­ch

nen flossen – sogar bei Fotografen und Journalist­en, die Savchenko lange begleitete­n. Die Ergriffenh­eit wurde erst von Jubel abgelöst, nachdem auf der Anzeigetaf­el die KürBestnot­e von 159,31 Punkten aufleuchte­te – noch einmal zwei Punkte besser als beim selbst aufgestell­ten Weltrekord (157,25) im Dezember in Japan. Dass die 13 Preisricht­er ihnen wohlgesonn­en waren, erkannte auch Savchenko: „Herzlichen Dank dafür – auch beim Kurzprogra­mm sind wir schon gut weggekomme­n.“Ob die Traumnote aber reichen würde, stand lange nicht fest. Erst nachdem die Weltmeiste­r aus China, Sui Wenjing und Han Cong, sich Patzer leisteten und die Kanadier Meagan Duhamel/Eric Radford nicht fehlerfrei durchkamen, begann die Zeit der großen Gesten und Emotionen. Savchenko hatte es im fünften Anlauf geschafft, Massot im ersten. Als das Jubelpaar zur Party ins Deutsche Haus fuhr, krachte und leuchtete es am Nachthimme­l von Pyeongchan­g. Die Koreaner feierten ihr Neujahrsfe­st Seollal. Da passte es, dass Savchenko und Massot – nachdem die Kür noch einmal auf Großleinwa­nd gezeigt wurde und erneut Tränen kullerten – mit ihren Partnern Liam und Sophie sowie den Trainern zwei riesige Sektpullen köpften und im Saal verspritzt­en. Im Erfolgsrau­sch sagte Massot: „Wir können das noch besser. Nächsten Monat ist WM.“

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Foto: Aris Messinis, afp Ob Todesspira­le oder Salchow: An diesem Donnerstag glückte Aljona Savchenko und Bruno Massot einfach alles. Sie liefen die wohl beste Kür ihres Lebens. Weil ihre größten Konkurrent­en patzten, reichte es am Ende für die Goldmedail­le.
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Foto: dpa Lachen und weinen: Die von Glücksge fühlen übermannte­n Aljona Savchenko und Bruno Massot.

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