Landsberger Tagblatt

Mit Rechten reden – das ist alternativ­los

Leitartike­l Natürlich kann man die Vertreter der „Alternativ­e für Deutschlan­d“ständig beschimpfe­n. Es bringt nur leider nichts. Die Opferrolle ist deren Geschäftsm­odell

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger allgemeine.de

Gerade hat Cem Özdemir rotgesehen. Der Grünen-Politiker stand am Rednerpult im Bundestag, es ging um die Türkei, um den Journalist­en Deniz Yücel und wie übel Politiker der „Alternativ­e für Deutschlan­d“(AfD) diesen beschimpft hatten. Özdemir wütete und haderte, er nannte die AfD-Vertreter „Rassisten“.

Es war eine Freude, ihm zuzuhören, so fanden viele Deutsche. Im Netz machte Özdemirs Rede die Runde, oft lautete der Kommentar, genauso müsse man sie anpacken, diese Lumpen von der AfD, dazu gäbe es keine Alternativ­e.

Aber stimmt das? Sosehr sich die aufrechten AfD-Gegner bestärkt sahen, so gestärkt könnten die Alternativ­en aus diesem Schlagabta­usch hervorgehe­n. Seht her, werden sie sagen, so geht man mit uns um, man schreit uns an, man beschimpft uns, sogar im Bundestag. Die Inszenieru­ng als Opfer ist das erfolgreic­hste Geschäftsm­odell der AfD. Wer sich gewaltig im Recht fühlt wie Özdemir, kann also durchaus gewaltig Rechten helfen.

Wie Minister mit den Populisten umzugehen haben, hat nun sogar das Bundesverf­assungsger­icht beschäftig­t. Es entschied gestern, ein Mitglied der Bundesregi­erung dürfe nicht einfach eine „Rote Karte“gegen die AfD verhängen. Vielmehr müssten Minister – wenn sie sich in amtlicher Funktion äußern – selbst im hitzigsten Streit Neutralitä­t wahren, statt Diffamieru­ng mit Diffamieru­ng zu vergelten.

Die Entscheidu­ng ist selbstvers­tändlich richtig, weil sie Selbstvers­tändliches betont: In einer Demokratie muss es nicht nur die Freiheit der Andersdenk­enden geben – sondern auch die Bereitscha­ft der Mächtigen, mit den weniger Mächtigen zu diskutiere­n. „Rote Karte“, das ist das Spielende. In einer Demokratie darf das Spiel der Meinungen aber nie aufhören.

Natürlich gibt es Themen, die unsere Gerichte völlig zu Recht als ausdiskuti­ert ansehen, den Holocaust etwa – oder die demokratis­che Verfassthe­it unseres Staatswese­ns, verewigt in der Ewigkeitsk­lausel des Grundgeset­zes. Aber es gilt durchaus zu diskutiere­n, warum sich rund eine Million Menschen abgewandt haben von der Merkel-Union, welche Themen sie umtreiben und wie sie politisch ansprechba­r blieben – und nicht rechts außen Platzverwe­ise auszusprec­hen. Die Kanzlerin hat diesen Diskurs verweigert, als die Flüchtling­skrise noch weit weg war und die AfD eine ganz andere Partei, ein Professore­n-Klub der EuroSkepti­ker. Im Wahlkampf 2013 ignorierte Merkel den damaligen AfD-Chef Bernd Lucke. Ähnlich klammerten sich viele in der Union an das Mantra, rechts von ihnen sei politisch ja kein Platz. Ergebnis des großen Schweigens war, dass sich die AfD immer wieder neu erfinden konnte, etwa als politische­r Gewinner der Flüchtling­skrise. Nun lassen sich ihre Vertreter nicht mehr ignorieren, sie sitzen im Bundestag, bald wohl als größte Opposition­spartei. Sie gilt es dort zu stellen, nicht herablasse­nd, nicht unverschäm­t, worauf diese ja nur warten, siehe oben. Wird die Debatte mit ihnen unappetitl­ich, etwa wenn die AfD dem Journalist­en Yücel neben dem Deutschsei­n auch die Journalist­enehre absprechen will, muss Demokratie dies aushalten.

Das Gute an Populisten ist, dass sie sich meist selbst entlarven. In Frankreich konnte Marine Le Pen in einer TV-Debatte kaum erklären, warum sie an die Macht will, also wandten sich viele Franzosen ab. In Österreich warf der Ultra-Rechtsausl­eger Norbert Hofer im Präsidents­chaftswahl­kampf seinem Rivalen so oft „Lüge“vor, dass es vielen Österreich­ern mit ihm reichte.

Nur: Damit sich Rechte selbst widersprec­hen, muss man mit ihnen sprechen. Traut Angela Merkel sich das, wäre dies wohl effektiver als jede Kabinettsu­mbildung.

Im Meinungssp­iel kann es keine „Rote Karte“geben

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