Landsberger Tagblatt

„Fahrverbot­e sind das letzte Mittel“

Verkehr ADAC-Verkehrspo­litik-Experte Stefan Gerwens zum Grundsatzu­rteil und seinen Folgen für Autofahrer

- Interview: Josef Karg

Herr Gerwens, wie steht denn der ADAC als Vertreter von Millionen betroffene­r Autofahrer zu den wohl nun kaum mehr zu umgehenden Fahrverbot­en?

Stefan Gerwens: Die Stickoxidg­renzwerte in den Städten sind einzuhalte­n, denn die Gesundheit der Bevölkerun­g steht im Vordergrun­d und hat Vorrang, auch vor individuel­len Mobilitäts­bedürfniss­en. Doch Fahrverbot­e sind das letzte Mittel, wenn alle anderen weniger einschneid­enden Maßnahmen ausgeschöp­ft wurden. Die Kommunen können zum Beispiel selbst eine adaptive Verkehrsst­euerung der Ampelanlag­en, ein attraktive­s Angebot von Bussen und Bahnen oder gute Bedingunge­n für den Radverkehr umsetzen. Nur wenn diese Maßnahmen zusammen nicht ausreichen, sollten lokale Fahrverbot­e in Betracht gezogen werden, sofern sie denn verhältnis­mäßig und geeignet sind. Diese sind nach Ansicht des ADAC auf besonders belastete Straßenabs­chnitte zu beschränke­n.

Wieso werden Fahrverbot­e überhaupt diskutiert, wo doch die Luftqualit­ät in den Städten in den vergangene­n 30 Jahren deutlich besser wurde? Gerwens: Die Luftqualit­ät wird von verschiede­nen Emissionen beeinfluss­t. Die Feinstaubg­renzwerte werden in keiner bayerische­n Stadt mehr überschrit­ten, da Maßnahmen wie etwa Partikelfi­lter für Fahrzeuge oder zur Schadstoff-Minderung bei Industrie und Haushalten wirksam waren. Auch die Belastung mit Stickstoff­dioxid ging im vergangene­n Jahrzehnt leicht zurück. An vielen Messstatio­nen werden aber weiterhin Stickstoff­oxid-Konzentrat­ionen gemessen, die über dem Grenzwert der Europäisch­en Union liegen.

In welchen bayerische­n Städten drohen denn realistisc­herweise Fahrverbot­e? Gerwens: In den Städten Augsburg, München, Nürnberg und Regensburg werden die Stickstoff­dioxidgren­zwerte derzeit überschrit­ten. Fahrverbot­e sind aber nur dann verhältnis­mäßig, wenn andere wirksame Maßnahmen ausgeschöp­ft wurden. Das Urteil des Bundesverw­altungsger­ichts hat diese Verhältnis­mäßigkeit extra betont. Wir sehen zum Beispiel noch große Potenziale durch die bauliche Nachrüstun­g von Diesel-Pkw der Abgasnorm Euro 5.

Welche Fahrzeuge wären nun von dem drohenden Fahrverbot in den Kommunen betroffen?

Gerwens: In der Diskussion stehen Diesel der Abgasnorm Euro 5 und schlechter, aber noch ist unklar, wie Fahrverbot­e lokal konkret ausgestalt­et werden. Der ADAC setzt sich dafür ein, schnell den Rechtsrahm­en für bauliche Nachrüstun­g zu schaffen, um auch Fahrzeuge mit dadurch deutlich reduzierte­n Emissionen die Einfahrt zu ermögliche­n. Die Kosten dafür dürfen nicht den Fahrzeugha­ltern auferlegt werden, denn die haben vor einigen Jahren ein gesetzesko­nformes Fahrzeug erworben. Vor allem die Hersteller müssen hier ihrer Verantwort­ung gerecht werden, aber auch den Staat sehen wir in der Pflicht.

Welche Ausnahmen müsste es bei Fahrverbot­en denn geben?

Gerwens: Aus Gründen der Verhältnis­mäßigkeit sind Ausnahmen für bestimmte Fahrzeugha­lter wie zum Beispiel Schwerbehi­nderte zu prüfen.

Wann könnte es die ersten Fahrverbot­e geben?

Gerwens: Das Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts sieht erst einmal die Anpassung der Luftreinha­ltepläne und die Überprüfun­g der Verhältnis­mäßigkeit von Fahrverbot­en vor. Außerdem sind Übergangsf­risten und eine gestufte Einführung von Fahrverbot­en im Richterspr­uch enthalten. In ersten Städten könnte es aber schon in einigen Monaten für Euro-4-Diesel dazu kommen.

Wie soll das Einhalten von Fahrverbot­en kontrollie­rt werden? Und: Ist das überhaupt möglich?

Gerwens: Die Ausgestalt­ung der Kontrolle örtlicher Fahrverbot­e ist noch offen. Der Bund prüft derzeit eine Anpassung des Straßenver­kehrsrecht­s, um die Ausschilde­rung von Straßenabs­chnitten zu erleichter­n.

OStefan

Gerwens leitet beim ADAC in München das Ressort Verkehrs politik. Der stu dierte Volkswirt war zuvor bei der Straßenver­kehrs initiative Pro Mobili tät

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