Jeder will geachtet sein
Neuer Tagesroman Was uns der große Erzähler Adalbert Stifter an liebevoller Schilderung in „Prokopus“schenkt
Augsburg Wenn wir morgen mit Adalbert Stifters Erzählung „Prokopus“als neuem Tagesroman unserer Zeitung beginnen, dann werden uns bei diesem Autoren als Reaktionen sicher sein: helle Begeisterung da, gähnende Ablehnung dort.
So ist es im Grunde seit der Biedermeier-Zeit, dessen auf jeden Fall zu beachtender Schriftsteller Adalbert Stifter war. Schon zu seinen Lebzeiten (1805 – 1868) standen sich Anerkennung und Ablehnung quasi feindselig gegenüber. Bedeutende Literaten tadelten scharf, andere bedeutende Literaten priesen Stifter als Vorbild.
Wie auch immer: Es ist an der Zeit, an den gebürtigen Böhmen in seinem 150. Todesjahr zu erinnern, ihn erneut zur Diskussion zu stellen und zu prüfen – beziehungsweise ihn auch erst einmal vorzustellen. Die Kenntnis seiner Kunst ist nicht mehr selbstverständlich – obwohl sie doch ungeheure Schönheiten ausstrahlt, wenn eine Leserin dafür empfänglich ist oder ein Leser dafür offen zu sein gewillt ist.
Warum aber „Prokopus“aus dem deutschen Revolutionsjahr 1848, das der politisch durchaus fortschrittliche Stifter mit Sympathie verfolgte? „Prokopus“ist vergleichsweise kurz – knapp 20 Folgen –, besitzt eine gewisse (diskret behandelte) Dramatik, enthält aber auch jene Wesenszüge, für die Stifter steht: zum Einen die genaue, liebevolle Schilderung von Landschaft und Natur, zum Anderen die Betrachtung des sogenannten „sanften Gesetzes“: „Es ist das Gesetz der Gerechtigkeit, der Sitte; das Gesetz, das will, dass jeder geachtet, geehrt, ungefährdet neben dem anderen bestehe, dass er als Kleinod gehütet werde, wie jeder Mensch ein Kleinod für alle anderen Menschen ist.“
In „Prokopus“steht für dieses Gesetz die Gastwirtsfamilie der grünen Fichtau – eine fleißige, mildtätige Familie, die sich redlich über Generationen hinweg ihren guten, gläubigen, vorbildlichen Platz in der Welt erarbeitet hat. Diese Gastwirtsfamilie steht stellvertretend für das Volk in Stifters Erzählung – während auf der anderen Seite der junge Graf Prokopus von Scharnast und seine von ihm soeben geehelichte Frau Gertraud von der Staue für den wohlhabenden Adel stehen. Allerdings garantieren Geld und blaues Blut noch kein eheliches Glück...
Und da kommt gegen Ende von „Prokopus“eben die bereits erwähnte, diskret behandelte Dramatik ins Spiel. Man darf wohl so weit gehen, dass Stifter hier wunderlich kolportiert: Im Tal, in der grünen Fichtau, herrscht das Glück; oben, auf dem Berg, im Schloss Rothenstein, herrschen Leid und Schmerz. Ergo: lieber genügsam als reich. Aber mit welcher wunderbaren Sprache voller Bedacht und geruhsamer Hingabe wird diese Welt durch Adalbert Stifter geschildert!
Zwei Kostproben nur voller Eigenart und Außergewöhnlichkeit: „Die langen Wimpern schatteten über die großen Augen und standen zu den frischen Wangen sehr fein.“– „Nun müssen wir von der stillen Fichtau, in der wir uns vielleicht aus unentschuldigbarer Vorliebe für so unbedeutendes Wirken und Tun zu lange aufgehalten haben, Abschied nehmen und dem Zuge, der am Morgen in ihr das glänzende Frühmal eingenommen hatte, folgen, um zu berichten, was ihm im Laufe dieses Tages begegnet ist und wie denn die nämliche Nacht, die jetzt über der Fichtau steht, auch über die Häupter jener fröhlichen Menschen heraufzog.“
Es lohnt, Stifters Sprache nachzulauschen und seiner Welt-Betrachtung nachzuschauen. Dieser Biedermeier-Dichter hat Epochales an sich. Stifters innig-verständnisvoller Stil gehört zur Literaturgeschichte wie Thomas Manns ironisch-distanzierter. Rüdiger Heinze