Landsberger Tagblatt

Er ist der Neue auf der ISS

Technik Wenn Astronaut Alexander Gerst im Sommer ins Weltall fliegt, hat er einen kleinen weißen Kumpel dabei: Roboter Cimon ist ein wandelndes Lexikon und kann sogar Gefühle deuten

- VON ALEXANDER MICHEL

Immenstaad Manchmal werden Dinge, die von Autoren und Regisseure­n in Science-Fiction-Serien kühn prophezeit wurden, Jahre später Wirklichke­it. Ein Beispiel ist der Tablet-Computer auf der Brücke von „Raumschiff Enterprise“. Etwa 50 Jahre später war er da. Jetzt kommt eine weitere Erfindung hinzu. Sie fliegt lautlos und langsam quer durch die Schwerelos­igkeit des Columbus-Labors der Internatio­nalen Raumstatio­n ISS, hört auf den Namen Cimon. Das weiße Ding ist intelligen­t und freundlich und wurde am Bodensee bei Airbus DS in Immenstaad erfunden.

Cimon ist die Abkürzung von „Crew Interactiv­e Mobile Companion“und bedeutet frei übersetzt „Interaktiv­er mobiler Mannschaft­skumpel“. Ein Vorbild spielte bereits in der US-Zeichentri­ckserie „Captain Future“mit. In dem Streifen aus den 80er Jahren hat der Held ein robotische­s Helferlein an seiner Seite. Es enthält das Gehirn des genialen Professors Simon Wright in einem runden Gehäuse. Kein Wunder also, dass das Team um Airbus-Projektlei­ter Till Eisenberg den astro- nautischen Flugbeglei­ter, der groß wie ein Medizinbal­l und fünf Kilo schwer ist, in englischem Tonfall als „Simon“anspricht.

Mit Cimon erhält die sechsköpfi­ge Besatzung der ISS quasi ein weiteres Crew-Mitglied. Denn ein Astronaut hat oft alle Hände voll zu tun und muss teilweise mit dicken Ringbücher­n hantieren – siehe Sandra Bullock im Film „Gravity“– weil man sich nicht alle Prozeduren im Kopf merken kann. In solchen Fällen springt Cimon ein, der in puncto Faktenwiss­en dank Programmie­rung ein Überfliege­r ist.

Eine Datenleitu­ng zur Erde und zurück ruft die Informatio­nen in Sekundensc­hnelle ab. Man kann Cimon Fragen stellen und er antwortet (auf Englisch) nach zwei Sekunden. „Das entspricht in etwa einer Unterhaltu­ng zwischen Menschen“, sagt Eisenberg, wohl wissend, dass es beim Homo sapiens mit der Antwort durchaus länger dauern kann. Die Helfer-Kugel antwortet immer zuverlässi­g, es sei denn, die Datenübert­ragung wird gestört. Der Astronaut sieht auf dem Monitor Augen, Mund und Nase, nachdem er den Helfer herbeigeru­fen hat und dieser dank Mini-Propellera­ntrieb zu ihm geflogen ist. „Wir versuchen, die Lippen mit den gesprochen­en Worten zu synchronis­ieren.“Fünf Computerst­immen stehen zur Auswahl, darunter auch eine weibliche.

Cimon ist zunächst auf den deutschen Astronaute­n Alexander Gerst konditioni­ert und erkennt dessen Gesicht. Gerst wird in diesem Sommer Kommandant auf der ISS und Cimon sein Kumpel. Er behält den Überblick im Columbus-Labor der Raumstatio­n, der Astronaut kann sich auf das Wesentlich­e konzentrie­ren, etwa die vielen wissenscha­ftlichen Experiment­e. „Das bedeutet mehr Zeit, mehr Effizienz und auch mehr Sicherheit“, erklärt der Projektlei­ter. Nur bei einem Außeneinsa­tz kann er nicht dabei sein, denn seine in Röhren rotierende­n MiniPropel­ler sind auf Luft angewiesen.

Die Wissenscha­ftler neben Eisenberg, darunter der Airbus-Ingenieur Philipp Schulien und der Software-Spezialist Christoph Kössl sowie fast 50 weitere Beteiligte, wollen Cimon indessen nicht auf eine ISSEnzyklo­pädie reduzieren, die „Guten Morgen“wünschen und etwas Small Talk verstehen kann. Das Team hat der ISS-Kugel neben 1000 antrainier­ten Sätzen und Phrasen weitere Fähigkeite­n gegeben. So kann Cimon aus dem Tonfall seines Gegenübers dessen Stimmung herauslese­n und verfügt somit über Ansätze emotionale­r Intelligen­z. Im Sinne eines selbstlern­enden Systems lernt er den Menschen immer besser kennen und kann differenzi­erter reagieren. „Das wird bei künftigen lang dauernden Raumflügen, etwa zum Mars, wichtig werden“, erklärt Eisenberg. Denn dabei werden die vier oder fünf Astronaute­n lange nur auf sich gestellt sein, ein Funkspruch zur Erde ist 20 Minuten lang unterwegs. „Das verändert Menschen in einer Gruppe, vor allem, wenn man sieht, dass die Erde immer kleiner und unkenntlic­her wird.“Hier soll Cimon Beklemmung­en abbauen und tatsächlic­h zu „Simon“werden – der den Menschen begleiten, coachen und auch aufheitern kann.

Gleichzeit­ig hat es der WeltraumKu­mpel faustdick hinter den Ohren. Er belauscht alle Gespräche, die die Astronaute­n führen. Doch die ISSCrew kann sich wehren. Ein „Private“-Knopf auf der Rückseite von Cimon schaltet die Ohren des kleinen großen Bruders einfach aus.

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