Landsberger Tagblatt

Atommüll im Grenzberei­ch

Kernkraft In der Schweiz geht die Suche nach einem Endlager voran: Dass alle drei geplanten Standorte an der Grenze zu Deutschlan­d liegen, weckt massive Bedenken in Berlin

- VON MARTIN FERBER

Berlin Sie heißen Jura-Ost, Nördlich Lägern oder Zürich-Nordost: In der Schweiz geht die Suche nach einem Standort für ein atomares Endlager derzeit in die heiße Phase. Die Wahl fällt nun auf die genannten drei Orte, die alle eines gemeinsam haben: Sie liegen unmittelba­r an der Grenze zu Deutschlan­d. Entspreche­nd stoßen die Schweizer Pläne im Umweltauss­chuss im Deutschen Bundestag auf massive Bedenken. In einer elfseitige­n Stellungna­hme an das Bundesamt für Energie in Bern, das unserer Zeitung vorliegt, nennt die neue Ausschussv­orsitzende Sylvia Kotting-Uhl (Grüne) „nicht überprüfba­r und nicht nachvollzi­ehbar“, auf welcher Grundlage die Auswahl für die drei infrage kommenden Standorte getroffen wurde.

Es gebe bislang weder umfassende Tiefenbohr­ungen noch Erkundunge­n unter Tage, betont die Grünen-Politikeri­n. „Dieser Umstand wirft erhebliche­n Zweifel daran auf, dass es bei dem Verfahren wirklich darum geht, den Standort mit der bestmöglic­hen Sicherheit zu finden und auszuwähle­n“, betont Kotting- Uhl in der offizielle­n deutschen Stellungna­hme. Seit November vergangene­n Jahres befinden sich noch die drei Standorte in der engeren Auswahl, die alle unmittelba­r an der deutsch-schweizeri­schen Grenze zwischen Schaffhaus­en und Waldshut und somit nur wenige Kilometer von Südbaden entfernt liegen. Am Freitag endet die Frist für die Abgabe von Stellungna­hmen, danach folgt die letzte Etappe des Auswahlver­fahrens, die bis 2029 abgeschlos­sen werden soll. Spätestens 2060 soll das Endlager für hoch radioaktiv­en Atommüll seinen Betrieb aufnehmen.

Kotting-Uhl ärgert sich, dass die Bevölkerun­g in Deutschlan­d, obwohl unmittelba­r wegen „potenziell­er negativer Auswirkung­en des Endlagers“betroffen, „nur mit deutlichen Einschränk­ungen“im Vergleich zu den Bürgern am Auswahlver­fahren beteiligt werde. Vor allem aber sei die Schweiz nicht auf der Höhe der Zeit, sondern hinke gegenüber anderen Staaten bei den Rechtsgrun­dlagen hinterher, kritisiert die Atom-Expertin der Grünen.

So habe sich internatio­nal die Erkenntnis durchgeset­zt, dass eine Umweltvert­räglichkei­tsprüfung für ein Endlager, in dem der Atommüll eine Million Jahre lang sicher aufbewahrt werden soll, alleine nicht ausreiche. Darum hätten dutzende Staaten bereits 2003 ein völkerrech­tliches Abkommen für eine zusätzlich­e Strategisc­he Umweltprüf­ung (SUP) abgeschlos­sen, die dazu dient, auch Alternativ­en zu einem geplanten Vorhaben intensiv zu betrachten. „Die Schweiz gehört nicht zu den Mitgliedst­aaten des SUPAbkomme­ns“, erklärt Kotting-Uhl. Somit erfülle die Schweiz nicht mehr die geltenden Mindestanf­orderungen, dies sei „ein signifikan­tes Defizit“des Verfahrens.

Nach Ansicht der Ausschussv­orsitzende­n leidet das Auswahlver­fahren der Schweiz an einem Interessen­konflikt, den es auch in Deutschlan­d „mit regelmäßig negativen Auswirkung­en“gegeben habe, wie Kotting-Uhl unserer Zeitung sagte. So seien die Betreiber der Kernkraftw­erke als Verursache­r der Abfälle gleichzeit­ig Gesellscha­fter der „Nationalen Genossensc­haft für die Lagerung radioaktiv­er Abfälle“(Nagra), die für die Endlagersu­che zuständig sei. „Ausgerechn­et diejenigen, die naturgemäß ein Interesse an einer möglichst kostengüns­tigen Entsorgung haben, sind für ein Verfahren zuständig, bei dem es eigentlich nur nach der Sicherheit gehen darf und nicht die Kosten ausschlagg­ebend sein dürfen.“Kotting-Uhl verweist auf die deutschen Erfahrunge­n mit der Asse und dem Endlager Morsleben. Beide seien heute „Sanierungs­fälle, die die Steuerzahl­er Milliarden kosten“.

Zudem bemängelt Kotting-Uhl, dass die Schweiz bis heute keine klare und verbindlic­he Obergrenze für die zu entsorgend­e Atommüllme­nge vorgelegt habe. Dabei sei unstrittig, „dass klar definierte Abfallmeng­en eine wichtige Voraussetz­ung für die gesellscha­ftliche Akzeptanz eines Endlagersu­chverfahre­ns sind“. Kotting-Uhl fordert in diesem Zusammenha­ng die Schweiz auf, rasch verbindlic­he Laufzeit-Enddaten für alle Atomkraftw­erke festzulege­n und einen „möglichst schnellen Atomaussti­eg“anzustrebe­n, um die zu entsorgend­en Atommüllme­ngen „möglichst klein“zu halten.

Umweltauss­chuss zweifelt an „bestmöglic­her Sicherheit“

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Foto: Alessandro Della Bella, dpa Archiv Das Schweizer Atomkraftw­erk in Beznau ist sieben Kilometer von der deutschen Grenze im Schwarzwal­d entfernt: Im Umweltauss­chuss des Deutschen Bundestags wird die Endlager Standortsu­che in der Schweiz als „nicht überprüfba­r und nicht...

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