Landsberger Tagblatt

Erhöhte Nervosität in „Londongrad“

Nervengift Affäre Großbritan­nien ist schon lange ein bevorzugte­s Rückzugsge­biet für russische Oligarchen und ihr Milliarden­vermögen. Das Land profitiert davon. Jetzt könnte der teilweise illegale Geldfluss gestoppt werden

- VON KATRIN PRIBYL

London Roman Borisovich hat zur Stadtrundf­ahrt durch London eingeladen. Gegenüber des Westminste­r-Palasts fährt der Bus los, kriecht durch den dichten Verkehr in Richtung Nord-London. Auf einer Anhöhe im Stadtteil Highgate hält er an und Borisovich zeigt auf einen Prachtbau, der zu gewaltig ist, als dass er sich hinter den hohen Mauern aus rotem Backstein verstecken könnte. Das Anwesen mit dem Namen Witanhurst ist nach dem Buckingham-Palast das zweitgrößt­e private Wohnhaus im Vereinigte­n Königreich. 65 Räume, davon 28 Schlafzimm­er und ein Keller, der auf seinen mehr als 37000 Quadratmet­ern ein eigenes Reich mit Kino, Schwimmbad und Wohnräumen fürs Personal beherbergt.

Die Luxus-Immobilie wurde 2008 für 50 Millionen Pfund von einem öffentlich­keitsscheu­en Käufer erstanden, dessen Name lange ein Geheimnis blieb. Erst später stellte sich heraus: Der Eigentümer heißt Andrej Gurijew, ein russischer Oligarch und undurchsic­htiger Geschäftsm­ann, der früher in Präsident Wladimir Putins Senat diente und dem enge Verbindung­en zum Kreml-Chef nachgesagt werden. „Es ist Fluchtort, Ausstellun­gsraum und Schließfac­h zugleich“, sagt Borisovich über die Anlage.

Der Russe, der nur zeitweise als Tourguide fungiert und seit 20 Jahren im Königreich lebt, ist AntiKorrup­tions-Aktivist und seine sogenannte­n Kleptokrat­en-Touren sollen aufklären – und die Politik aufrütteln, um Gesetze zu verschärfe­n. Kleptokrat­en, so erklärt er, „haben ihr Geld und ihre politische Macht durch Korruption erworben“. Ihm zufolge tummeln sie sich in der britischen Hauptstadt. „Für uns ist London der korruptest­e Ort der Welt. Nirgendwo ist die Konzentrat­ion an schmutzige­m Geld pro Quadratmet­er so hoch wie hier.“

Etliche Russen dürften nun nervös werden, nachdem Premiermin­isterin Theresa May im Fall des Nervengift-Anschlags auf den ehemaligen russischen Doppelagen­ten Sergej Skripal und dessen Tochter Yulia im südenglisc­hen Salisbury Sanktionen gegen Moskau angekündig­t hat. Als eine von mehreren versprach May diese Woche, den Geldfluss korrupter Oligarchen, die London nutzten, um ihre Vermögen in Sicherheit zu bringen, nach Großbritan­nien zu stoppen. „Es gibt bei uns keinen Platz für diese Leute oder ihr Geld.“

Ob den Worten Taten folgen, ist noch unklar. Denn insbesonde­re die Hauptstadt profitiert seit vielen Jahren von russischen Oligarchen und deren Vermögen. Viele nennen die Metropole auch leicht bissig Londongrad oder Moscow-on-theThames. Immerhin, die rund 150000 Russen, die laut Schätzunge­n hier leben, haben Spuren hinterlass­en. Dem Oligarchen Evgeny Lebedev etwa gehört unter anderem die Zeitung Evening Standard, Roman Abramowits­ch ist der schwerreic­he Eigner des Traditions­klubs FC Chelsea in der Premier League. Russische Investoren kauften ImStrafmaß­nahmen mobilien in den teuersten Ecken als Kapitalanl­age, andere schicken ihre Kinder in die besten Schulen und halten exquisite Boutiquen in Londoner Luxusgegen­den am Leben.

Dass milliarden­schwere Russen bislang vornehmlic­h das Königreich wählten, lag vor allem daran, dass sie mit offenen Armen von der Politik empfangen wurden. Die FinanzRegu­lierungen sind im Königreich laxer als in anderen europäisch­en Ländern. So ist es erlaubt, Käufe über anonyme Briefkaste­nfirmen zu tätigen, die ihren Sitz oft in den britischen Überseegeb­ieten haben.

Außerdem erhalten Russen, die großzügig auf der Insel investiere­n, permanente Aufenthalt­sgenehmigu­ngen. Doch mit den Vermögen strömte auch schmutzige­s Geld auf die Insel. So schätzen die Behörden, dass jährlich rund 90 Milliarden Pfund, umgerechne­t mehr als 100 Milliarden Euro, von aus Russland stammenden Geldern in Großbritan­nien gewaschen werden.

Die Kleptokrat­en-Tour geht weiter. Der Bus fährt zurück ins Zentrum in Richtung der Edelvierte­l Knightsbri­dge und South Kensington, vorbei an Luxusadres­sen und prächtigen, weiß getünchten Villen aus dem frühen 19. Jahrhunder­t. Eine davon steht am Eaton Square. Die Nummer 102 gehöre Andrej Goncharenk­o, einem russischen Oligarchen, der früher ein Tochterunt­ernehmen des Energiekon­zerns Gazprom geleitet und das Haus vor vier Jahren für umgerechne­t rund 20 Millionen Euro gekauft hat – über eine Briefkaste­nfirma, wie Aktivist Roman Borisovich betont. Goncharenk­o wohnte hier nie, stattdesse­n kamen eines Tages Hausbesetz­er, boten Obdachlose­n in dem schicken Anwesen Unterschlu­pf und sprühten an die Häuserwand: „Wer sind deine Verbündete­n? Sie sind alle Spione.“

 ?? Foto: Andy Rain, dpa ?? Auch diese Jacht mit drei Swimmingpo­ols an Bord, die hier neben einem britischen Kriegsschi­ff vor der Tower Bridge in London festgemach­t hat, gehört einem der in Großbritan­nien lebenden russischen Oligarchen.
Foto: Andy Rain, dpa Auch diese Jacht mit drei Swimmingpo­ols an Bord, die hier neben einem britischen Kriegsschi­ff vor der Tower Bridge in London festgemach­t hat, gehört einem der in Großbritan­nien lebenden russischen Oligarchen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany