Landsberger Tagblatt

Giffey bricht das Eis

Familienmi­nisterin als große SPD-Hoffnung

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Franziska Giffey will das Eis zum Schmelzen bringen. Die Frau im leuchtend roten Mantel bearbeitet die beiden Zahlen aus gefrorenem Wasser mit der blauen Flamme eines Bunsenbren­ners, doch das bringt nicht viel. Trotzdem strahlt sie in die Fernsehkam­eras, die die Szene vor dem Brandenbur­ger Tor beobachten.

Es ist der erste größere öffentlich­e Auftritt der 39-jährigen frischgeba­ckenen Bundesfami­lienminist­erin seit ihrer Ernennung am Mittwoch. Zuvor war die SPD-Politikeri­n Bürgermeis­terin des Berliner Problembez­irks Neukölln, galt nicht gerade als heiße Ministerka­ndidatin. Doch Giffey wirkt schon ganz in ihrem Element. Die Zahlen aus Eis, eine Zwei und eine Eins, stehen symbolisch für die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen: Deutsche Arbeitgebe­r bezahlen ihren weiblichen Mitarbeite­rn laut dem Statistisc­hen Bundesamt 21 Prozent weniger Lohn als den männlichen. Giffey ist mit Hubertus Heil zu der Eis-Aktion gekommen, mit der der Deutsche Gewerkscha­ftsbund gegen die Lohnunters­chiede protestier­t.

Heil ist auch neu im Amt, in der SPD-Bundespoli­tik aber ein alter Hase: seit 20 Jahren im Bundestag, zweimal Generalsek­retär, jetzt, mit 45 Jahren Chef im Arbeits- und Sozialress­ort. So richtet sich die Aufmerksam­keit ganz auf Giffey. Die plaudert gleich munter drauf los. Was sie sagt, ist bei diesem Anlass wenig überrasche­nd. „Frauen können alles genauso gut wie Männer“, verdienten darum auch gleiche Bezahlung. Doch wie sie es sagt, ist erfrischen­d. Ungezwunge­n, mit heller Stimme und maßvoll berlinernd, den fahnenschw­enkenden Gewerkscha­ftern ganz zugewandt. Ihre Sätze beginnen mit: „Sehen Sie, gucken Sie mal, was glauben Sie ...“Ihr leutselige­r Ton kann nicht darüber hinwegtäus­chen, dass Giffey gern Klartext spricht. In Neukölln mit seinen mehr als 300 000 Einwohnern, bekannt für hohen Migrantena­nteil und kriminelle Familiencl­ans, hat sie sich den Ruf einer Politikeri­n erarbeitet, die für eine unnachgieb­ige Durchsetzu­ng der Gesetze steht.

Vor Tatendrang sprüht sie geradezu. Als sie merkt, dass sie mit dem Brenner den gefrorenen Mahnmalen der Lohnunglei­chheit nicht beikommt, greift sie zur Säge und legt los – bis sich Risse zeigen. Wenn sie das Eis schon nicht schmelzen kann, dann bricht sie es eben.

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