Landsberger Tagblatt

Neuaufguss

- VON MICHAEL SCHREINER mls@augsburger allgemeine.de

Gewöhnlich kleiden Akteure und Beobachter im politische­n Raum, die eine Veränderun­g anmahnen, ihre Botschaft ja in diese bewährte Floskel: „Ein Weiter so darf es nicht geben.“Das war dem Bundespräs­identen dann wohl doch zu abgenudelt und phrasenhaf­t, weshalb er sich diese Woche gegenüber der neuen alten Großen Koalition und ihrer Regierung Merkel eines anderen Ausdrucks befleißigt­e. Frank-Walter Steinmeier sprach: „Um verlorenes Vertrauen zurückzuge­winnen, wird ein schlichter Neuaufguss des Alten nicht genügen.“Neuaufguss: Da war das Wort in der Welt und die Zeitungen und Nachrichte­n saugten es auf. Neuaufguss: Dieser Dreisilber hat keinen guten Leumund.

Das Wort gehört in eine Ecke mit Abklatsch, Bodensatz und Wiederkäue­n und ist, auch wenn das „auf“in seiner Mitte ruht, meilenwert entfernt vom Aufbruch. Allenfalls sehr guter Grüntee, das wissen die Kenner, eignet sich für einen zweiten, gar dritten Neuaufguss. Danach wird’s fad und dünn wie „Scream 4“im Kino, nach Ansicht von Kritikern „ein peinlich vermasselt­er Neuaufguss.“Auch ein Remake von „Merkel“könnte ohne zündende Regieeinfä­lle als „Merkel 4“floppen, fürchtet offenbar der Bundespräs­ident.

Anders als die Neuauflage schwimmt ein Neuaufguss in unserer Vorstellun­g arg im abgestande­nen Sud – auch wenn Theodor Fontane ihn in seinem nachgelass­enen Roman „Mathilde Möhring“als schicklich lobt. Darf’s also noch ein Tässchen Merkel-Groko sein? Steinmeier, der im Amt gewachsene Rhetoriker, tadelte ausdrückli­ch nur den Neuaufguss der schlichten Art. Gegen einen raffiniert­en Neuaufguss ist nichts zu sagen – er ist vielleicht sogar bekömmlich­er als alter Wein in neuen Schläuchen.

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