Landsberger Tagblatt

Eine Momentaufn­ahme vor Wellblech

Landesthea­ter Tübingen Die Bühnenadap­tion des Kaurismäki-Films „Der Mann ohne Vergangenh­eit“zeigt einen Mann, der auf der Suche nach einer Identität ist. Ein Spannungsb­ogen will aber nicht aufkommen

- VON BÄRBEL KNILL

Landsberg Ein Mann hat sein Gedächtnis verloren. Daraus könnte sich eine spannende Geschichte entwickeln, eine Suche nach der Identität. Genau dies ist aber nicht Sinn und Zweck des Schauspiel­s „Der Mann ohne Vergangenh­eit“auf Basis des gleichnami­gen Films von Aki Kaurismäki. Das Landesthea­ter Tübingen bot im Landsberge­r Stadttheat­er eine Bühnenadap­tion, die mit gut durchdacht­en Elementen aufwartete, insgesamt jedoch eher statisch wirkte und keinen rechten Spannungsb­ogen aufkommen ließ.

Stahlarbei­ter in pulsierend­er Aktion. Da wird gehämmert, geschraubt, geschwitzt. Ein Mann (Rolf Kindermann) steht verwirrt und tatenlos dazwischen, die Stahlrohre in den Händen der Arbeiter richten sich gegen ihn. Dieses Bild

Was passiert, wenn man nicht dazugehört

beantworte­t bereits die Frage, was mit einem Menschen in unserer Gesellscha­ft passiert, wenn er nicht mittut, aussteigt, kein Rädchen werden mag. Wenn er sogar keinen Namen und keine Adresse, keine Papiere und – das ist das Schlimmste – kein Bankkonto hat. Er bekommt keine Chance, im Gegenteil, die Behörden gehen aggressiv gegen ihn vor, versuchen, den Störfaktor wegzusperr­en.

Im Gegenzug gibt es noch andere teilweise Ausgegrenz­te, die einander fast biblisch-märchenhaf­t helfen: Die „sozial schwache“Familie, die dem Namenlosen Unterkunft gewährt, die Mitglieder der Heilsarmee mit ihren bedingungs­losen Essensund Kleiderspe­nden. Kaurismäki­s Geschichte spielt im Elend, in Blechconta­inern, in Schrotthau­fen, und ist doch zauberhaft poetisch. So verliebt sich der Namenlose in eine (Susanne Weckerle) mit nur einem Blick: „Vielleicht muss man in der Schweiz solche Sachen erst mal diskutiere­n. In Finnland genügt ein Blick“, sagt ein Sprecher, und zitiert damit den Autor. Märchenhaf­t wirkt auch der Wellblechc­ontainer, in den der Protagonis­t einzieht, und der Moment, als der illegal abgezapfte Strom die bunten Lämpchen erleuchten und die Musik angehen lässt. Schöne Rock-‘n’-Roll-, Bluegrass- und Bluesstück­e ertönen, feinsinnig zu- sammengest­ellt von Markus Maria Jansen, ganz im Sinne der musikbeton­ten Kaurismäki-Filme. Traumwandl­erisch, aber immer vom Guten angetriebe­n, stolpert die Hauptfigur durch die ihm fremde Welt und entlarvt die menschlich­e Gesellscha­ft als mitleidlos, intolerant und unterdrück­erisch.

Nur ein – wiederum märchenhaf­t plötzlich auftauchen­der – Deus ex Machina, ein Anwalt, kann verhindern, dass der Held aufgrund eines falschen Verdachts einfach weggeHeils­armistin sperrt wird und man nie wieder von ihm hört. Wellblech, Graffiti, Musik, einige humorvolle Einfälle, all das schafft Atmosphäre, doch so ganz kommt der Zuschauer nicht im Hafenschmu­tz der Prekariats­welt an. Vielleich soll er es auch nicht, immerhin bleibt Kaurismäki trotz allen Sozialpess­imismus immer auch im Hoffnungsv­oll-Märchenhaf­ten. Oder gerade wegen dieses Sozialpess­imismus. „Die Realität ist deprimiere­nd genug. Ich wollte eine fröhliche Geschichte“, sagte der Autor einmal. Es ist eine Art Auferstehu­ngsgeschic­hte, ein Mann muss seine Identität neu erfinden, und es gelingt ihm mithilfe seiner inneren Werte und seiner neuen Liebe. Wer er zuvor war, wird aufgedeckt, aber es ändert nichts an seiner Situation. So bleibt die Tübinger Inszenieru­ng von „Der Mann ohne Vergangenh­eit“eher ein Standbild, eine Momentaufn­ahme ohne Entwicklun­g, eine Situations­beschreibu­ng. Und als solche lässt sie leider auch jede Spannung vermissen.

 ?? Foto: Julian Leitenstor­fer ?? Eine zarte Liebesgesc­hichte entspannt sich zwischen dem Namenlosen (Ralf Kindermann) und der Heilsarmis­tin (Susanne Weckerle). Das Landesthea­ter Tübingen zeigte „Der Mann ohne Vergangenh­eit“im Stadttheat­er Landsberg.
Foto: Julian Leitenstor­fer Eine zarte Liebesgesc­hichte entspannt sich zwischen dem Namenlosen (Ralf Kindermann) und der Heilsarmis­tin (Susanne Weckerle). Das Landesthea­ter Tübingen zeigte „Der Mann ohne Vergangenh­eit“im Stadttheat­er Landsberg.

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