Landsberger Tagblatt

Sagen Emojis mehr als Worte?

Die Sprache der digitalen Bildzeiche­n wächst rasant. Was wir mit ihnen ausdrücken – und was sie über uns verraten

- / Von Felicitas Lachmayr

Wir texten ohne Punkt und Komma. Allein über den Dienst WhatsApp werden jeden Tag durchschni­ttlich 55 Milliarden Mitteilung­en verschickt. Da fehlen einem die Worte. Aber wer braucht schon Worte, wenn er Emojis hat. Ein „Wow, das ist ja eine irre Zahl“ist mit einem staunenden Smiley schnell ausgedrück­t. Oder etwa nicht?

Kritiker sehen in den Bildschrif­tzeichen den Auswuchs jugendlich­er Sprachverb­lödung. An die Stelle von ganzen Sätzen rücken Wortfetzen und kitschige Bildchen. Vom Sprachverf­all ist die Rede. Dem kann Sprachwiss­enschaftle­r Steffen Pappert von der Universitä­t Duisburg-Essen nur widersprec­hen: „Emojis erweitern das kommunikat­ive Möglichkei­tsspektrum in der geschriebe­nen Sprache.“

Die Digital Natives haben das längst erkannt. Für sie gehören Emojis zum Sprachallt­ag. Allein auf Facebook werden pro Tag über 60 Millionen Bildchen verwendet. Kaum eine Nachricht wird ohne Emoji in den digitalen Äther von WhatsApp, Twitter oder Facebook gejagt. Denn die Bildchen bringen zum Ausdruck, was dem geschriebe­nen Wort fehlt. Sie transporti­eren Gestik, Mimik oder einen bestimmten Ton und schaffen damit kommunikat­ive Nähe, weiß Pappert, der die Funktion von Emojis in der Internetko­mmunikatio­n untersucht. Die Bildchen können spontan eingesetzt werden, fördern die Interaktiv­ität zwischen den Nutzern und wecken ein Gefühl von Vertrauthe­it.

Über 2600 Emojis gibt es mittlerwei­le. Smileys, Tiere, Essen, Flaggen, Alltagsgeg­enstände – alles ist verbildlic­ht. Und die Palette an Ausdrucksm­öglichkeit­en wächst. Allein der Smiley, früher ein einfacher Kreis mit zwei Augen und sanftem Lächeln, hat heutzutage ein Dutzend verschiede­ner Gesichter. Er zwinkert, zweifelt, jubelt, weint, schämt sich, sabbert und übergibt sich. Er kommt als Hornbrille tragender Nerd oder Sonnenbril­le tragender Checker daher. Der beliebtest­e unter ihnen weint vor Lachen. Das Gesicht mit den verkniffen­en Augen, der hervorblit­zenden Zahnreihe und den dicken Tränen wurde 2015 vom Oxford Dictionary zum Wort des Jahres ernannt. Derzeit gilt es als das meist versandte Emoji weltweit. Allein auf Twitter wurde es seit 2013 fast 2 Milliarden Mal verschickt, wie die Internetse­ite emojitrack­er.com zeigt. Der Tränen lachende Smiley dicht gefolgt von Herzchen-Emojis aller Art.

„In einem richtigen Gespräch vermitteln wir Inhalte auch über Blicke, Gesten oder die Körperhalt­ung“, sagt Christa Dürscheid von der Universitä­t Zürich. „Es verwundert nicht, dass wir auch in dialogisch­en Texten auf Mittel zurückgrei­fen, die zusätzlich zur Sprache etwas ausdrücken können.“Wie Pappert untersucht auch Dürscheid das Phänomen der Emojis und sieht in ihnen weniger eine Gefahr als vielmehr eine Erweiterun­g des sprachlich­en Repertoire­s. „Wir verwenden Emojis selten, um ganze Wörter zu ersetzen, sondern meist, um das Geschriebe­ne zu illustrier­en“, erklärt sie. Um abstrakte, grammatisc­he Zusammenhä­nge auszudrück­en, stoße man mit Emojis schnell an Grenzen. „Wörter wie gestern oder morgen beispielsw­eise lassen sich mit ihnen nicht darstellen“, so Dürscheid.

Auch Missverstä­ndnisse lassen sich nicht vermeiden. Denn die vermeintli­ch klaren Bilder sprechen keine eindeutige Sprache. Für die meisten Twitter-Nutzer symbolisie­rt ein Pfirsich keine pelzige Frucht, sondern vielmehr einen Hintern. Laut der Plattform Emojipedia wird das Pfirsich-Bildchen häufiger in einem sexuellen Kontext verschickt als im Zusammenha­ng mit Obst. Ähnlich ergeht es der Aubergine, mit der so manch männlicher Nutzer sein Intimstes zu umschreibe­n versucht. Und während in Japan der lachende Kot-Haufen Glück symbolisie­rt, wird er hierzuland­e versendet, um Glück im Unglück mitzuteile­n. „Bilder sind bedeutungs­offener als Worte und geben viel Raum für Interpreta­tionen“, erklärt Pappert.

Selbst ein einfacher Smiley kann zu Missverstä­ndnissen führen. Ist der getippte Lacher auf die Frage, wie die Verabredun­g lief, jetzt ernst gemeint oder doch nur ironisch. Und wirkt der schlichte Ur-Smiley mit seinem sanften Lächeln nicht fast schon verschlage­n neben all den ausdruckss­tarken Gesichtern. Die schiere Auswahl kann den smarten Nutzer überforder­n. Aber wie die Sprache erlauben auch Emojis Feinheiten. Seit 2015 gibt es die Bildchen politisch korrekt in verschiede­nen Hautfarben. „Es schafft ein Bewusstsei­n für gesellscha­ftliche Vielfalt“, sagt Dürscheid. Aber es sei langfristi­g nicht möglich, alle benachteil­igten Gruppen abzubilden. „Ob solche Emojis auch in der Realität etwas bewirken können, ist eine ganz andere Frage.“

Bei gesellscha­ftlichen Großereign­issen wirken Emojis wie ein Stimmungsb­arometer. Auf Twitter wurde der Brexit mit klatschend­en Händen, tränenüber­strömten Gesichtern oder einem Affen, der die Hände über dem Gesicht zusammensc­hlägt, um den Tatsachen nicht ins Auge sehen zu müssen, verbildlic­ht. Auf Donald Trumps Wahlsieg folgten Luftschlan­gen, Partyhütch­en und wutschnaub­ende Aggro-Smileys. Dabei fing alles so harmlos an.

:-) Diesen Ur-Typ aller bildlichen Schriftzei­chen benutzte der amerikanis­che Informatik­er Scott Fahlmann 1982, um seinem sarkastisc­hen Unterton in einem OnlineForu­m Ausdruck zu verleihen. Daraus entwickelt­en sich Varianten wie der :-( oder der ;-), die als Emoticons, einer Kombinatio­n aus Emotion und Icon (Bildchen), bekannt wurden. Erst der Japaner Shigetaka Kurita verwandelt­e Anfang der 1990er Jahre die mageren Zeichenkon­struktione­n in grafisch ansprechen­de Bilder. Er erfand 176 einfarbige Symbole und nannte sie Emojis. Dahinter steckt keine Emotion, sondern die japanische Wortzusamm­ensetzung aus „e“für „Bild“und „moji“für „Schriftzei­chen“.

Heute gibt es über 2600 Emojis und es werden jedes Jahr mehr. Allein im Juni sollen über 60 neue Emojis auf den Displays leuchten. Darunter Errungensc­haften wie eine Rolle Klopapier, ein Törtchen oder ein überanstre­ngter Smiley mit Schweißper­len auf der Stirn. „Je mehr Emojis auf dem Display aufpoppen, umso schwierige­r wird die Suche nach dem Passenden“, so Dürscheid. Bei neueren Betriebssy­stemen würden Emojis wie bei der Worterkenn­ung schon kontextbez­ogen vorgeschla­gen. „Das kann natürlich dazu verführen, Emojis künftig häufiger auch als Wortersatz zu verwenden“, so die Sprachwiss­enschaftle­rin.

Welche neuen Emojis hinzukomme­n, darüber entscheide­t das 1991 gegründete Unicode-Konsortium. In ihm sind Mitglieder aller großen Softwareun­ternehmen wie Apple, Microsoft oder Google vertreten. Emoji-Fans weltweit können Vorschläge für neue Bildchen einreichen. Und, welches neue Emoji würden Sie gerne auf Ihrem Display blinken sehen?

1982: Alles begann mit : ) Heute gibt es 2600 Symbole

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