Die Frage der Woche Sprachnachrichten versenden?
Wenn ich jemanden über einen Messenger kontaktiere, will ich meistens eines: schnell eine Information übermitteln. Dazu ist Sprache schneller als Schrift – das ist keine Geschmacksfrage, sondern ein Fakt. Mit der Sprache vermitteln wir problemlos 300 Silben in der Minute, das ergibt rund 180 Wörter. Ein schneller Tipper kommt in der gleichen Zeit auf rund 50. An einer PC-Tastatur wohlgemerkt, nicht auf dem Smartphone.
Die Sprachnachricht hat auch gegenüber dem klassischen Anruf einen Vorteil – ich setze meinen Gesprächspartner nicht unter Druck. Ein direkter Anruf verlangt eine Reaktion – rangehen oder nicht rangehen. Die Nachricht kann er hingegen abhören, wann er will. Natürlich gibt es Gelegenheiten, in denen das nicht funktioniert. Etwa in einem Großraumbüro oder einer Konferenz. Allerdings sind das Momente, in denen er auch keine Zeit hätte, auf eine normale Textnachricht zu reagieren.
Und abgesehen vom Technischen: Mit der Sprache lässt sich viel mehr transportieren als nur der Inhalt. Mit Tonfall und Ausdruck kommt eine Nachricht nicht nur persönlicher an, sie ist auch eindeutiger formuliert. Wenn ich mich über etwas freue, hört man das an meiner Stimme. Das ist wesentlich klarer als 20 mitgeschickte Smileys in einer Nachricht.
Außerdem gibt es Situationen, in denen Zeichen und Emojis nicht genug sind. Wenn ich seit einer halben Stunde auf jemanden warte, mit dem ich mich verabredet habe, will ich keine Nachricht senden. Dann reichen noch so viele Zeichen und böse guckende Smileys nicht. Ich möchte demjenigen meine Missbilligung ins Ohr knurren. Persönlich geht das in diesem Fall nicht – nach einer halben Stunde warten mache ich mich alleine auf den Weg.
Bing. Da wagt es doch glatt wieder jemand, eine Sprachnachricht zu schicken. Sie ist zwei Minuten lang. Zwei Minuten! Natürlich möchte man wissen, wie es der Schwester als frisch gebackener Staatsanwältin geht. Aber jede elend lange Nachricht bei WhatsApp ist angenehmer als dieses künstliche Ins-TelefonGelaber. Denn komischerweise wiederholen sich die Botschaften dieser Nachrichten nach 30 Sekunden immer. Oder hat mein Messenger irgendwo eine komische Endlos-Schleife versteckt? Das Zuhör-Vermögen sinkt in jedem Fall mit jeder Sekunde. Sprachnachrichten scheinen das perfekte Mitteilungsmedium für Menschen zu sein, die eigentlich nichts zu erzählen haben. Oder noch viel schlimmer: für Menschen, die eigentlich keine Zeit haben zu telefonieren, sich aber einfach mal wieder aus Verlegenheit melden wollen. In beiden Fällen wäre Schweigen Gold wert. Das Schlimmste an Sprachnachrichten ist, dass man sich gezwungen fühlt, auf die gleiche Art zu antworten. Denn eine Antwort in Textform wird nicht akzeptiert. Und zum Argument: „Ich würde so gerne deine Stimme hören.“– Ganz einfach: „Dann ruf doch an!“
Was dahintersteckt, lässt sich nur vermuten: Unglaublich viele Menschen scheinen Gefallen daran zu finden, in der Öffentlichkeit mit dem Smartphone vor dem Mund ins Telefon zu quatschen. Das sieht nicht nur furchtbar albern aus, sondern stört auch die gesamte Menschheit drumherum. Noch schlimmer, als Telefonate wildfremder Menschen mitzuhören, ist es nämlich, Sprachnachrichten zu verfolgen: Denn jetzt wird einem auch noch zugemutet, das andere Gegenüber zu hören. Und so fügen sich Puzzlestück für Puzzlestück die kommunikativen Auswüchse menschlicher Abgründe zusammen.