Landsberger Tagblatt

Der ewige Putin

Am Sonntag wählt Russland seinen Präsidente­n. Schon jetzt steht fest: Der alte wird der neue sein. Warum hält sich dieser Mann so lange an der Macht? Und was macht ihn so beliebt? Antworten findet man auf dem Land, wo die Menschen anders ticken als in der

- VON INNA HARTWICH

Sein Auto steht immer noch vor der Tür. Notdürftig mit einer schwarzen Plane bedeckt. Der Motorblock – verbrannt. Die Fenster – immer noch schwarz vor Ruß. Ein Unbekannte­r hatte es an Russlands Männertag im Februar mit einer Flüssigkei­t übergossen und in Brand gesteckt, eine Überwachun­gskamera am Haus hat das Verbrechen aufgenomme­n.

Es war nicht das erste Mal, dass Andrej Trofimow das Auto genommen wurde. Nicht das erste Mal, dass er und seine Familie Angst bekommen sollten. Vor den Behörden? Der Kirche? Den örtlichen Unternehme­rn? So genau kann es der 37-Jährige nicht sagen, als Macher seiner Alternativ­en Zeitung im Internet tritt er vielen in seiner Region – keine 100 Kilometer von Moskau entfernt – auf die Füße.

Angst hat ihm auch das brennende Auto nicht eingejagt. Diesmal nicht. Lange hatte er ein Metallblec­h in seinem Rucksack herumgetra­gen. Wer weiß schon, wem man begegnet in dieser Stadt? Einer Stadt, die auf den ersten Blick so aussieht wie in einem Märchenbuc­h. Russische Idylle pur. Vergoldete Zwiebeltür­me, weiß getünchte Kirchenwän­de, vorbeihusc­hende Mönche in langen schwarzen Gewändern, verschneit­e Wege, kreisende Tauben. Ein Fluss plätschert in der Ferne, Enten schnattern.

Sergijew Possad ist das Zentrum der russischen Orthodoxie schlechthi­n. Jeder Russe, der etwas auf seinen Glauben hält, pilgert in dieses Städtchen am sogenannte­n Goldenen Ring der altrussisc­hen Städte. Gruppen von Chinesen, Italienern, Russen aus Sibirien steigen an diesem Vormittag aus ihren Bussen, um die Baukunst und die Ikonen zu bestaunen. Hübsch saniert ist die Gegend, mit Schildern und gepflaster­ten Wegen, die zum See herunterfü­hren, Polizisten weisen freundlich den Weg. Für den Besucherma­gneten haben Staat und Stadt viel Geld übrig. Schön muss es aussehen für die Touristen aus aller Welt.

Um die zerbersten­den Wasserrohr­e unter den Straßen einige Kilometer weiter kümmert sich die Stadtverwa­ltung nur ungern. Genauso wenig wie um die Beschäftig­ungsmöglic­hkeiten für die Jugend und die Versorgung der Alten. Der Müll werde nicht fachgerech­t entsorgt, die Mülldeponi­e verursache gesundheit­liche Schäden, Sportplätz­e für die Kinder müssten Einkaufsze­ntren weichen. Die Menschen klagen hier über vieles. Manchmal auch über die Kirche, die zwar Touristen anziehe, aber keine Steuern zahle. Alles Geld fließe in den Geldbeutel der Popen.

Sergijew Possad zeigt im Kleinen, was im Großen oft schief läuft im Land. In diesem System, das selbst bei den Russen nur noch den Namen des Präsidente­n trägt. Einem System, das über die Jahre starr geworden ist. Das die Idylle an die Wand malt und 22 Millionen Menschen im Land offiziell in Armut leben lässt. Das System ist wie eine Krake, es hat die Menschen im Land einen ungeschrie­benen Vertrag unterschre­iben lassen, in dem steht: Der Staat entmündigt euch, dafür gibt er euch Stabilität und wiedergewo­nnene nationale Stärke. Oder zumindest ein Gefühl davon. Millionen Russen haben „unterschri­eben“, sie fühlen sich mit diesem vereinbart­en Stillschwe­igen keineswegs unfrei im Land. Der Rest – all diese aufmüpfige­n Stimmen, die eine echte Demokratie, echte Wahlen, eine echte Alternativ­e wollen – ist in der Minderheit, wird nicht gehört, oft von den Behörden drangsalie­rt.

Auch hier, in der 100 000-Einwohner-Stadt Sergijew Possad, glänzen im Zentrum die goldenen Kuppeln. Am Stadtrand aber fallen die morschen Häuser in sich zusammen. Menschen brechen sich die Knochen, weil die Wege vereist sind und die kommunalen Dienstleis­ter für das Räumen der weiter weg liegenden Bezirke keine Mittel haben. Manchmal aber gibt es Menschen, die sich nicht abfinden wollen mit dieser „Willkürher­rschaft“, wie sie das System Putin nennen. Andrej Trofimow mit dem abgebrannt­en Auto ist einer davon.

Halt macht der Mann vor niemandem, der in seinen Augen und in den Augen seiner Leser Unrechtes tut. Will ein Geschäftsm­ann eine Ladenzeile in der Nähe einer Schule bauen? Einer einen Golfplatz auf einem Sportgelän­de für Jugendlich­e einrichten lassen? Trofimow trommelt Leute zusammen, sie demonstrie­ren, sie beschweren sich, sie sind laut, wo es nur geht. Er mobilisier­t, macht „Druck von unten“, wie er sagt. Seit bald zehn Jahren. Warum? „Weil es sonst noch schlimmer wäre hier.“

Gelassen sitzt er in seinem Wohnzimmer am Stadtrand, hat seine Videokamer­a aufgebaut. Alles, was er zu erzählen hat, könnte auch seine Leserschaf­t interessie­ren. Nach eigener Angabe sind es 180000 Menschen in der Region von Sergijew Possad. Er macht Lokaljourn­alismus, schreibt über herumstreu­nende Hunde, filmt Proteste gegen Müllverpes­tung, berichtet über Kungeleien in der Stadtverwa­ltung. Der gelernte Elektriker ist ein EinMann-Betrieb, der von Spenden seiner Leser und ein wenig Werbung für andere gemeinnütz­ige Projekte lebt.

„Die Staatsmedi­en bieten eintönige Nachrichte­n, die alles schön reden“, sagt er. „Aber leben wir in einer wunderbare­n Stadt? Wird die Infrastruk­tur verbessert? Was für die Kinder getan, die Alten? Man kann doch die Menschen nicht all die Jahre für dumm verkaufen. Sie haben es nun verstanden und rächen sich dadurch, dass sie gar nicht erst zur Wahl gehen wollen.“Er redet schnell, manchmal gestikulie­rt er wild. Die Katze der Familie ist auf seinem Schoß eingeschla­fen.

Auch Trofimow ist nicht dumm. „Die Aktiven im Land halten der Vertikale der Macht nicht stand. Wir verlieren.“Es sind die Sätze eines Enttäuscht­en, der nicht aufgeben will, weil er noch Zuspruch vieler Menschen erfährt. Er unterstütz­t Alexej Nawalny, den Anti-Korruption­sblogger, der nicht gegen Putin antreten darf. Ruft zum Wahlboykot­t auf. Die meisten Russen aber werden ihr Kreuz beim Namen „Wladimir Wladimirow­itsch Putin“machen. Weil die Wähler an diesem Sonntag schlicht keine Wahl haben.

„Ein starker Präsident, ein starkes Land“– so lautet der Wahlslogan des Amtsinhabe­rs. Seit rund 18 Jahren ist Putin an der Macht, zwischen 2008 und 2012 regierte er Russland als Ministerpr­äsident. Vor der Politik machte Putin im sowjetisch­en Geheimdien­st KGB Karriere und war zu DDR-Zeiten in Dresden stationier­t.

Umfragen staatliche­r Institute schreiben dem 65-Jährigen große Beliebthei­t zu und sehen ihn bei knapp 70 Prozent Zustimmung. An seiner Wiederwahl gibt es keinen Zweifel. Aber was kommt danach? Der Giftanschl­ag auf den Ex-Doppelagen­ten Sergej Skripal in Großbritan­nien und die scharfen Reaktionen der führenden westlichen Länder darauf wecken Befürchtun­gen, dass die Beziehunge­n zu Moskau sich weiter verschlech­tern könnten.

Die Einstellun­g der Russen zu ihrem Landzeitpr­äsidenten ist vielschich­tig. Nach der tief empfundene­n Demütigung mit dem Zerfall der Sowjetunio­n gab Putin vielen im Land das Selbstbewu­sstsein zurück, wieder stark zu sein in der Welt. Doch in all den Jahren hat er es nicht geschafft, Vertrauen in die Institutio­nen aufzubauen. Viele Mechanisme­n, die korrigiere­nd auf das System wirken – Gewaltente­ilung, freie Presse, ja eine Zivilgesel­lschaft – sind sukzessive zurückgedr­ängt worden oder durften sich gar nicht erst entfalten. Die Apathie macht sich breit. Das Ausruhen auf der viel beschworen­en Stabilität. Sie ist zur Marke Wladimir Putins geworden, der sich länger an der Macht hält als Leonid Breschnew, der ewige Generalsek­retär zu Sowjetzeit­en.

Aber was bedeutet sie, diese fast schon mantraarti­g wiederholt­e Stabilität? „Für die Alten reicht ein Packen Buchweizen, die ausbezahlt­e Rente. Die Jungen fordern mehr: eine gute Wohnung und ein gutes Auto, sie wollen in den Urlaub fahren und gut verdienen, in einem Job, für den sie ausgebilde­t wurden. Die Denke ist eine andere. Die Ansprüche sind anders. Putin erreicht uns mit seinem Gerede von der Vergangenh­eit nicht“, sagt Andrej Mardassow.

Er ist ein ruhiger, besonnener Mensch. Mit seinen 33 Jahren hat er viel in Sergijew Possad gesehen, hat auch einiges bewegt. Er war bei „Einiges Russland“, der Regierungs­partei, hat als regionaler Vorsitzend­er der Partei-Jugendorga­nisation „Junge Garde“Märsche für Putin organisier­t. Weil er dachte, nur mit dem Eintritt in den Machtappar­at ließen sich Dinge ändern. Andrej Mardassow wurde eines Besseren belehrt. „Schrecklic­he Bürokratie“, sagt er. Er trat bei den Kommuniste­n ein. „Die verkaufen aber ihre Stimmen. Wähler belügen wollte ich nicht.“

Nun sitzt er als einer von vier parteilose­n Abgeordnet­en im Stadtrat von Sergijew Possad. Und kümmert sich mit seiner Jugendorga­nisation „Krass“um die Jugend der Stadt – mit Wettbewerb­en bei Stadtfeste­n oder kostenlose­n Konzerten. Damit auch die sozial Schwächere­n eine Perspektiv­e haben. „Sergijew Possad ist eine Stadt von Shoppingma­lls, und die Leute haben immer weniger Geld auszugeben. Die Vorortzüge nach Moskau sind voll, die guten Jobs gibt es nur in der Hauptstadt.“Der Machtappar­at verkaufe den Menschen stets den Anschein einer gut funktionie­renden Wirtschaft, verbessert­en Gesundheit­sversorgun­g, den Anschein eines guten Lebens.

Der Bruch zwischen der Bevölkerun­g und der Regierung sei katastroph­al, meint Mardassow. „Wir können nicht immer den Westen für alles verantwort­lich machen, was bei uns schief läuft“, sagt der studierte Theologe und sieht schwarz: „Nach den Wahlen wird alles noch schwierige­r.“

„Wir können nicht immer den Westen für alles verantwort­lich machen.“

Andrej Mardassow

„Man kann doch die Menschen nicht all die Jahre für dumm verkaufen.“

Andrej Trofimow

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Foto: Ekaterina Shtukina, dpa Kremlchef Putin kandidiert für eine vierte Amtszeit. Und die meisten Russen werden am Sonntag wohl ihr Kreuz bei seinem Namen machen.
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