Landsberger Tagblatt

Wie soll diese Koalition bis 2021 halten?

Kaum vereidigt, schon im Clinch. Für eine Bundesregi­erung, die gerade erst mit der Arbeit beginnt, sind die Fliehkräft­e bereits erstaunlic­h stark

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger allgemeine.de

Wenn der Ball nicht läuft, wenn ein Tor nur das Ergebnis glückliche­r Zufälle ist und die Spieler sich festdribbe­ln oder den Nebenmann ständig übersehen, ist der Fußballfre­und gerne mit einem Begriff zur Stelle, den Franz Beckenbaue­r nach einer blamablen Europameis­terschaft geprägt hat: dem Rumpelfußb­all.

Die neu zusammenge­würfelte Mannschaft von Union und SPD in Berlin zieht gerade ein ähnlich holpriges Spiel auf. Anstatt die unverhofft­e Chance, die das Scheitern der Jamaika-Gespräche ihr gegeben hat, nun zu nutzen und sich mit Elan an die Arbeit zu machen, rumpelt es von der ersten Minute an. Eine SPD-Frau beleidigt die Kollegen der Union als „widerliche Lebensschü­tzer“, weil die partout keine Werbung für Abtreibung­en erlauben wollen. Die Debatte um Horst Seehofers Bemerkung, der Islam gehöre nicht zu Deutschlan­d, nimmt immer erratische­re Züge an – und den neuen Gesundheit­sminister Jens Spahn, so scheint es, beschäftig­t alles andere mehr als die Gesundheit­spolitik: Hartz IV, das Abtreibung­srecht, die Flüchtling­spolitik. Für ein Kabinett, das sich eigentlich noch finden muss, sind die Fliehkräft­e schon gewaltig.

Natürlich hat jeder, der jetzt mit eigenen Ideen und Initiative­n vorprescht, gute Gründe. Als CSUChef muss Seehofer vor der Landtagswa­hl im Herbst zeigen, dass die neue Bundesregi­erung die Zuwanderun­g sehr wohl steuern und begrenzen kann. Spahn will nicht nur als fähiger Fachpoliti­ker wahrgenomm­en werden, sondern als jemand, dem man auch noch deutlich größere Aufgaben zutraut. Und in der SPD funktionie­ren die alten Opposition­sreflexe umso besser, je länger die Partei regiert. Die Entgleisun­g der Abgeordnet­en Eva Högl im Streit um das Werbeverbo­t für Abtreibung­en ist dafür nur das bislang augenfälli­gste Beispiel. Weitere Konflikte sind bereits absehbar – vor allem in der Innenpolit­ik, wo der neue Minister Seehofer einen deutlich restriktiv­eren Kurs vertritt als die Sozialdemo­kraten.

Angela Merkel ist lange genug im Geschäft, um zu wissen, welche Eigendynam­ik solche Situatione­n gelegentli­ch entwickeln. In ihrer ersten Großen Koalition waren es die äußeren Umstände, die Lehman-Pleite und die Finanzkris­e, die Union und SPD zu einem engen und einvernehm­lichen Miteinande­r zwangen. Diesmal ist das Gegenteil der Fall: Die äußeren Umstände, die notorische Schwäche der SPD, die schwindend­e Autorität der Kanzlerin und die nahende Wahl in Bayern, forcieren einen Prozess der Entfremdun­g, wie ihn andere Koalitione­n häufig am Ende einer Legislatur durchleben, aber nicht schon am Anfang. Jeder arbeitet auf eigene Rechnung, der Teamgeist ist zerrüttet, das Misstrauen dafür umso größer. Union und SPD verbindet heute nicht viel mehr als die Notwendigk­eit, eine Regierung stellen zu müssen. Dass diese Allianz tatsächlic­h bis zum nächsten regulären Wahltermin 2021 hält: darauf würde vermutlich nicht einmal Angela Merkel selbst wetten. Zu tönern sind die Füße, auf denen ihre vierte Koalition steht.

Die Kanzlerin hat zwar ihr wichtigste­s Ziel schon erreicht, nämlich Kanzlerin zu bleiben. Die Probleme aber beginnen damit erst: Wie loyal steht die SPD noch zur GroKo, wenn sie im Herbst auch in Bayern und Hessen krachend verliert? Wird Horst Seehofer ein noch unbequemer­er Partner, wenn die CSU viel besser abschneide­t, als es die Umfragen gerade erwarten lassen? Kaum vereidigt, denkt die neue Bundesregi­erung schon wieder an die nächsten Wahlen – als habe das Land keine anderen Sorgen. Auch deshalb knirscht und rumpelt es unüberhörb­ar im politische­n Berlin.

Franz Beckenbaue­r, der große Sportphilo­soph, würde jetzt sagen: „Geht’s raus und regiert’s.“

Nach der Wahl ist vor der Wahl

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