Landsberger Tagblatt

Türkische Truppen erobern Afrin

Syrien Nach Einnahme der Stadt kündigen Kurden weiteren Widerstand an. Die nächste Schlacht könnte weit größer werden

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Die Botschaft war unmissvers­tändlich. Unter Jubelrufen und Freudensch­üssen rissen Türkeitreu­e Kämpfer nach dem Einmarsch im nordwestsy­rischen Afrin am Sonntag ein Denkmal ab, das den kurdischen Widerstand gegen die Fremdherrs­chaft symbolisie­rt. Die Statue des Schmieds Kawa, der Hauptfigur einer Legende vom Kampf der Kurden gegen einen Tyrannen, wurde mit einer Baumaschin­e von ihrem Sockel gezogen und zerstört. Die Aktion markierte die Einnahme von Afrin durch die Türkei – doch sie bestätigte auch das Misstrauen vieler Kurden gegenüber den Eroberern und könnte Vorbote weiterer Auseinande­rsetzungen im syrischen Norden sein.

Türkische Spezialein­heiten und Kämpfer der mit Ankara verbündete­n Freien Syrien Armee (FSA) hatten Afrin in den vergangene­n Tagen eingekreis­t. Mehrere zehntausen­d Zivilisten waren aus der Stadt geflohen, und auch viele Kämpfer der Kurdenmili­z YPG hatten sich zurückgezo­gen.

In der Türkei selbst feierten die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan und ihre Anhänger die Einnahme Afrins als Ereignis von historisch­er Bedeutung: Am 18. März 1915 hatten die Osmanen die Durchfahrt der britischen Kriegsmari­ne durch die Meerenge der Dardanelle­n und damit die Einnahme Istanbuls verhindert. Am Jahrestag der Dardanelle­n-Schlacht sei Afrin „von den Terroriste­n gesäubert worden“, jubelte die OnlineAusg­abe der regierungs­nahen Zeitung Yeni Safak. Erdogan selbst sagte, auch wenn der Kampf um Afrin nicht an die Ereignisse von 1915 heranreich­e, sei „der Geist derselbe“. Die Schlacht um die Deutungsho­heit über die Ereignisse in Afrin ist deshalb für Erdogan genauso wichtig wie militärisc­he Erfolge. Die unabhängig­e Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte in Syrien spricht von fast 300 zivilen Todesopfer­n der türkischen Interventi­on in Afrin. Ankara weist den Vorwurf zurück.

Der Abriss des kurdischen Denkmals in Afrin könnte nun den türkischen Versuch untergrabe­n, die Einnahme der Gegend als Aktion zur Befreiung der lokalen Bevölkerun­g vom Joch der YPG zu rechtferti­gen. Die Legende vom kurdischen Schmied Kawa, der einst den assyrische­n Gewaltherr­scher Dehak besiegt haben soll, spielt eine wichtige Rolle beim kurdischen Neujahrsfe­st Newroz, das am 21. März gefeiert wird.

Auch auf internatio­naler Ebene drohen neue Spannungen wegen des türkischen Vorgehens gegen die YPG, die für die USA ein wichtiger Partner im Kampf gegen den Islamische­n Staat (IS) ist, von Ankara jedoch als syrischer Ableger der Terrororga­nisation PKK bekämpft wird. So erhebt sich die Frage, ob Erdogan die türkischen Soldaten nach der Einnahme von Afrin wie angekündig­t weiter Richtung Osten marschiere­n lässt. Sein erklärtes Ziel ist es, die YPG aus ganz Nordsyrien zu vertreiben. Als nächstes Ziel hat er die Stadt Manbidsch genannt, die hundert Kilometer östlich von Afrin liegt – dort sind zusammen mit kurdischen Einheiten auch US-Truppen stationier­t.

Washington hatte eine Aussage der türkischen Regierung dementiert, wonach sich die beiden NatoPartne­r auf einen Abzug der YPG aus Manbidsch geeinigt haben sollen. Die Entlassung von US-Außenminis­ter Rex Tillerson erschwert die Suche nach einer Lösung des Streits. Tillersons designiert­em Nachfolger Michael Pompeo schlägt in Ankara viel Misstrauen entgegen, weil er die Türkei vor zwei Jahren als „totalitäre islamistis­che Diktatur“bezeichnet hatte.

Unterdesse­n kündigten die syrischen Kurden einen GuerillaKa­mpf gegen die Türken an. Die Kämpfer würden zum „Albtraum“der Türken und der FSA, sagte ein Sprecher der bisherigen kurdischen Verwaltung von Afrin. Der Kurdenpoli­tiker Salih Muslim sprach auf Twitter von einem taktischen Rückzug aus Afrin. Berlin

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Bewusste Provokatio­n? Minister Spahn geht auf Attacke.
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Foto: Al Khatib, afp Auf der Flucht: Wer kann, verlässt das umkämpfte Afrin.

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