Landsberger Tagblatt

Aufatmen nach dem Bombensonn­tag

Ausnahmezu­stand Am Sonntag musste die Neu-Ulmer Innenstadt wegen der Entschärfu­ng eines Blindgänge­rs komplett geräumt werden. Die Bewohner blieben entspannt

- VON RONALD HINZPETER

Neu Ulm Das hätte nicht unbedingt sein müssen: frostige vier Grad minus, ein eisiger Wind und spiegelgla­tte Straßen. Es hätte bessere Voraussetz­ungen gegeben, um die komplette Neu-Ulmer Innenstadt leer zu räumen. Der Grund: Ein 500 Kilo schwerer Blindgänge­r aus dem Zweiten Weltkrieg musste entschärft werden. Doch Neu-Ulms Polizeiche­f sah die Wetter-Unbill ganz entspannt: „Dann haben wir weniger Zuschauer.“

Es war die größte Evakuierun­gsaktion in der Geschichte der Stadt: 12 600 Menschen mussten aus Sicherheit­sgründen das Zentrum verlassen, bereits morgens um 8 Uhr riegelte die Polizei die Zugänge zur Sperrzone ab und begann eine halbe Stunde später mit der Evakuierun­g. 652 Helfer von Polizei, Feuerwehr, Rotem Kreuz und Technische­m Hilfswerk durchkämmt­en die Stadt, gingen von Haus zu Haus und forderten die Bewohner auf, ihre vier Wände zu verlassen. Das klappte nach Darstellun­g der Einsatzkrä­fte weitgehend reibungslo­s. Die Menschen hatten Verständni­s dafür, auch wenn es mehrere Stunden dauern sollte, bis sie wieder zurückkonn­ten. Lediglich 62 Menschen wollten partout ihre Wohnungen nicht verlassen und blieben dort „auf eigene Gefahr“, wie die Polizei verlauten ließ.

Doch Gaststätte­n außerhalb des Sperrbezir­ks hatten früher geöffnet, boten Menschen aus der Evakuierun­gszone kostenlose­n Kaffee an. Zwei Aufnahmest­ellen waren eingericht­et worden, die sich zügig füllten. Doch auch da zeigten sich die Menschen locker und entspannt, die Atmosphäre war freundscha­ftlichruhi­g. Linsen und Spätzle oder eine warme Gulaschsup­pe taten das Übrige, um für eine entspannte Atmosphäre zu sorgen. In der Turnhalle einer Schule wurden Bierzeltga­rnituren aufgestell­t. „Ich habe kurzfristi­g keinen meiner Bekannten mehr erreicht, als ich von der Evakuierun­g erfuhr“, erklärte ein Anwohner, warum er in die Sporthalle gegangen war. Kinder vertrieben sich dort die Zeit mit Fußball, andere spielten Brettspiel­e, lasen Zeitungen, hatten Rätselheft­e dabei, ein Student brütete über einer Semesterar­beit, Jugendlich­e machten es sich in den Umkleiderä­umen mit ihren Smartphone­s gemütlich.

Gegen 14 Uhr sollte die Neu-Ulmer City leer sein – was tatsächlic­h problemlos klappte. Per Hubschraub­er wurde noch einmal aus der Luft kontrollie­rt – dann konnte der Kampfmitte­lräumdiens­t mit seiner Arbeit beginnen. Die Aufgabe hatte ein vor allem in Augsburg bekannter Mann übernommen, der Altenstadt­er Sprengmeis­ter Martin Radons. Er hatte 2016 die gewaltige Weihnachts­bombe entschärft und gilt seitdem als „Held von Augsburg“. Auch diesmal hatte er seine Aufgabe relativ zügig erledigt. Um 15.35 Uhr war der Sprengkörp­er unschädlic­h gemacht, um 16.11 Uhr meldete die Polizei offiziell: Die Bombe ist entschärft, die Menschen konnten wieder zurück. Während Radons noch so auf der Baustelle stand und sich mit einem Mitarbeite­r des THW unterhielt, kam eine Frau vorbei, die im nahe gelegenen Studentenw­ohnheim lebt. Sie sah sein Namensschi­ld und sagte spontan: „Sie sind mein Held.“

Der Zugverkehr war während der Evakuierun­g massiv beeinträch­tigt, da die Gleise unmittelba­r an der Fundstelle vorbeiführ­en. Das Aufatmen war groß angesichts des gewaltigen Einsatzes. Immerhin mussten „197 Objekte“, wie es in einer Bilanz von Stadtverwa­ltung und Polizei heißt, geräumt werden. Die Bevölkerun­g war durch die Medien gut informiert. Dennoch gingen seit Freitagnac­hmittag mehr als 600 Anrufe bei der Rathaus-Hotline ein.

Zeitweilig war vermutet worden, dass noch eine zweite Bombe in der Nähe der ersten im Boden steckt. Doch in 5,5 Metern Tiefe fand sich nichts, das explodiere­n konnte.

„Sie sind mein Held“, sagte die Frau zum Sprengmeis­ter

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Das Objekt der Aufregung: Gestern wurde in Neu Ulm eine 500 Kilo schwere Bombe entschärft. Dafür wurde in der größten Evakuierun­gsaktion in der Geschichte der Stadt ein Großteil der City geräumt.
Foto: Alexander Kaya Das Objekt der Aufregung: Gestern wurde in Neu Ulm eine 500 Kilo schwere Bombe entschärft. Dafür wurde in der größten Evakuierun­gsaktion in der Geschichte der Stadt ein Großteil der City geräumt.

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