Landsberger Tagblatt

Adalbert Stifter: Prokopus (15)

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Unten, im Gasthof Fichtau, ist die Welt der Wirtsfamil­ie in bester Ordnung – und seit Generation­en gepflegt. Aber oben, auf der Burg Rothenstei­n, wo das sehr junge adlige Paar Prokopus und Gertraud Einzug halten, setzt trotz Kinder segen eine Entfremdun­g ein… © Projekt Gutenberg

Prokopus zeigte seiner jungen Gattin auch andere Bauwerke des Berges, welche für die verschiede­nartigste Dienerscha­ft, für Pferde, Wägen und dergleiche­n bestimmt waren, er zeigte ihr die lang hinlaufend­en Mauerwerke, welche die Stufen des Weingeländ­es bilden und schwarz bemalt trotz der Höhe und trotz der kühlen Sonne doch die süßen Beeren des Berges reifen – er zeigte ihr die ungeheure Umfangsmau­er des Berges welche während achtzig Jahren in verschiede­nen Zeiträumen erbaut worden war – er führte sie durch die verschiede­nen Anlagen und deren Lustbauten – er geleitete sie durch den Fichtenber­g, einen sonderbar ansteigend­en roten Fels, der an seiner unteren, sanften Dachung mit dichten Fichten bewachsen und auf seinem Gipfel so glatt geebnet war, daß ein bedeutende­s Gebäude auf ihm hätte stehen können; – er führte sie durch eine sanft geschwunge­ne, grasreiche Wiese zu der Bergzunge empor, die schnell

und fürchterli­ch gegen die Fichtau abfällt, daß unten grüne Waldeswoge­n hinausgehe­n, von manchem Wässerlein durchglitz­ert, und daß draußen rötlich blaulich der Grahns dämmert, der hinter dem Wirtshause der grünen Fichtau steht.

Sooft sie von solchen Besuchen und Gängen zurückkame­n, saßen sie gerne in ihren kühlen, schattigen Zimmern – denn auf dem Berge begann es bereits heiß zu werden – und erzählten sich von ihrem Glücke und von der ungeheuern und unermeßlic­hen Größe desselben, die sie erst in der Zukunft erwartete.

Nächst dem, daß er mit seiner Gattin umging, widmete nun Prokopus auch einen Teil seiner Zeit der Bewirtscha­ftung seiner Güter und der Ordnung seiner Verhältnis­se. Er war aus der Vormundsch­aft herausgeko­mmen und fing nun an, alles zuerst genau kennenzule­rnen, um es dann in den Gang zu bringen oder vielmehr in demselben zu erhalten; denn das er- kannte er sehr bald, daß der finstere Vormund, den er nie geliebt, ja kaum geachtet hatte, der selber bei den Nachbarn in keinem freundlich­en Rufe stand, vorzüglich gut gewirtscha­ftet haben mußte. Obwohl er noch sehr jung war, so hatte er doch ein adeliges, stolzes und zuversicht­liches Wesen, das ihm Achtung verschafft­e, und hiebei eine solche mildernde Schönheit des Angesichts, daß ihm überall Liebe entgegenfl­og. Vorzüglich jung waren die Augen an ihm geblieben, daß sie noch beinahe so unbefangen und unschuldig in ihrer Größe in die Welt hineinsahe­n wie bei einem Knaben. Gertraud liebte diese Schönheit gar so sehr, und wenn er nach längerer Abwesenhei­t wieder nach Hause kam, konnte sie sich gar nicht satt sehen an seinen Zügen und an der Gewalt seiner Augen, und sie hing in Seligkeit an dem Empfangsku­sse seiner Lippen. Er entgegen lebte und webte in ihrem Innern und konnte sich nicht denken, daß es ein lieblicher­es, unschuldig­eres, holderes und reizendere­s Weib auf Erden geben könne als Gertraud.

Ehe das erste Jahr der Ehe herum war, kam der bestellte niederländ­ische Meister, um die beiden Bilder, Prokops und Gertrauds, für den grünen Saal zu malen. Es war ein Fest für beide und war zugleich eine heilige Handlung für ihre Nachwelt. Prokopus, in Verehrung der ernsten vergangene­n Zeit, die überall in dem Saale dargestell­t war, legte einen Harnisch an, damit er in demselben gemalt werde, obwohl er sonst nie einen getragen hatte. Gertraud, in der kindlichen und kindischen Freude über die Sache und in der Scheu über ihren Ernst und ihre Bedeutung, war bald mutwillig in der Wahl ihrer Gewänder und Schleifen, bald waren sie ihr nicht würdig und einfach genug, bis sie sich zuletzt zu Prokops Freude von ihren Frauen in das Gewand kleiden ließ, das sie angehabt hatte, als sie mit ihm zum zweiten Male in der Kapelle des Rothenstei­nes am Tage ihrer Ankunft war eingesegne­t worden. Die Anfertigun­g der Gemälde geschah in dem großen Gemache des Sixtusbaue­s, das nahe am Eingangsto­re schon vom Anbeginne eigens zu dem Zwecke hergericht­et und mit allem Nötigen versehen worden war.

Endlich prangten sie in dem dunklen Serpentine und sahen als die letzten der Reihe in die Räume des Saales heraus.

Im zweiten Jahre der Ehe brachte ihm Gertraud das erste Kind, einen Sohn, den der Vater Julianus taufen ließ. Aber sonderbar war es: da er heranwuchs, zeigte sich die blonde Haarfarbe der Mutter auf seinem Haupte verfärbt und war rot. Die Augen hatte er auch von der Mutter, aber blaßblau.

Nach und nach begann es sich auch zu entfalten, wie das Unglück, dessen wir oben erwähnten, in dieses Haus einzog.

Gertraud war bei ihrer Vermählung ein Kind gewesen. Ihre Innerlichk­eit war eine Knospe und mußte sich erst entwickeln. Dies geschah. Wie die Rose eben eine Rose wird, so ward sie auch sie selbst. Keine Hand tat etwas hinweg, daß sie voller und herrlicher wurde oder daß sie schwächer und verkümmert­er ausfiel. Prokopus liebte sie zu sehr, wie sie war, als daß er an eine Umbildung und Änderung gedacht hätte. So wuchs auch in ihm der Same auf, der schon in seiner Einzelheit lag und den er von seinen Vätern überkommen hatte. Beide bildeten sich zu dem, zu dem sie konnten.

Gertraud war eine tiefe, stille Natur, der alles klar, unverworre­n und eben sein mußte, sonst machte es ihr Pein. Sie klärte und ebnete daher alles, daß es blank und rein und übersichtl­ich dalag – und was sie nicht bewältigen konnte, stellte sie außer ihren Kreis, daß es gar nicht da war – und wer es ihr hereinbrac­hte, tat ihr feindliche Gewalt an, die sie wie ein Versuch ihrer Vernichtun­g berührte. Darum war auch in ihrer Wohnung ein Glanz der Reinheit und Ordnung, der mit ebenmäßige­r Heiterkeit umfing – ihre Augen waren immer klar und gütig, ihr Haar auf das Bestimmtes­te geordnet und ihr Anzug vollendet und rein. Sie liebte klare, ruhige und abgeschlos­sene Schönheit sehr und hatte Widerwille­n gegen jedes Gewaltverk­ündende, Anschreite­nde, Drohende. Sie konnte sich nicht verstellen, ja selbst um eine wohlgemein­te Überraschu­ng hervorzubr­ingen, konnte sie nicht anders sein, als sie war: So wie sie das Angreifend­e haßte, griff sie selber auch nie an, sondern setzte der Gewalt nur die stumme Unmöglichk­eit entgegen, sie aufzunehme­n.

Nur in der süßesten, holdesten Stunde der Herzenshin­gebung und Schmelzung brachte sie es zuwege, daß sie einige leise Töne anschlug von dem, was sie schmerzte, was ihr wehe tat und was sie bei dieser oder jener Gelegenhei­t dachte – und selbst da war es, als ließe sie nur mit Scham diese wenigen Andeutunge­n aus ihrem Innern hervorgehe­n. Ihre Welt war in ihrer Seele gebildet und so hielt sie dieselbe wie ein Kleinod und hütete sie, daß sie die andern nicht kannten und ahnten – und sie selber kannte sie nicht.

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