Immer Kulturhauptstadt
Salzburg In der Osterzeit geht es sogar in der Getreidegasse gemütlich zu. Wo sich noch wahre Volkskunst finden lässt
Es gibt da ein paar Städte auf der Welt, die ziemlich gut ankommen. Leverkusen und Ludwigshafen gehören momentan nicht dazu. Auch nicht Salzgitter. Wohl aber Salzburg. Natürlich, da sind die vielen Touristen… Und es werden immer mehr. Aber… Aber… Nein, von Salzburg abzuraten, das ist nicht überzeugend. Denn die Stadt ist eigentlich immer schön und hat zu jeder Jahreszeit viel zu bieten. Kultur, Natur, Tradition und urbanes Leben. Tagsüber Gämsen gucken, abends Dirigenten. Daher auch die vielen Touristen.
Jüngst hat sie sogar abgelehnt, sich 2024 für den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt zu bewerben. Sie sei ja quasi permanente Kulturhauptstadt! Salzburg ist trotz und mit sommerlicher Überfüllung ein Magnet. Auf dem Kapuzinerberg, 100 Meter über der Stadt, sind mit ein wenig Glück Gämsen zu beobachten, im Festspielhaus mit ein wenig Geld weltberühmte Dirigenten. Tagsüber: große Bergwanderung, abends: große Oper. Welch ungeheurer Reiz für den Natur- und Kulturfreund!
Jetzt in der österlichen Zeit ist die Getreidegasse noch nicht schwarz vor Menschen, noch heizt die Augustsonne die vielen Blechdächer der Stadt nicht unerträglich auf, noch haben die Bürger vor der Hochsaison die Zeit speziell für ihr althergebrachtes Brauchtum. Lassen am Palmsonntag in großer Zahl die Palmbuschen mit u. a. Buchsbaum-, Eibe- sowie Zedernzweigen binden und vom Erzbischof vor dem Dom weihen – und in der darauffolgenden Woche, wenn die Glocken nach Rom fliegen und die Osterrat- schen sie ersetzen, die frisch gelegten Eier vom Gründonnerstag, die sogenannten Antlaßeier.
Dies geschieht zum Schutz und Segen des Hausstandes – überliefert in Jahrhunderten ebenso wie jene originalen Bauernhäuser, die unterhalb des Untersbergs im größten (Freilicht-)Museum Österreichs auf 50 Hektar Grundfläche auf sieben Kilometern Spazierwegen erlaufen werden wollen. 100 versammelte dörfliche Bauten aus sechs Jahrhunderten laden vor den Toren Salzburgs dazu ein, die so reizvollschlichte wie naturverbundene Lebensweise aus den Gauen rund um Salzburg bis weit ins 20. Jahrhundert hinein zu erkunden: Einhof, Paarhof, Dreiseithöfe, Gruppenhöfe – mit und ohne Austragsviertel für die Altbauern, mit und ohne Schwerdach, jene typische Salzburger Dachkonstruktion aus LärchenLegeschindeln, aufgelegten Steinen und Schwerstangen zur Lastenverteilung.
In der Vorosterzeit gibt es in diesem Freilichtmuseum einen Ostermarkt, der zwar auch auf modern getrimmtes Brauchtumsgut feilbietet, aber gleichzeitig erkennbar althergebrachte Volkskunst ohne Effekthascherei anbietet. Beispiel: die Heilig-Geist-Taube aus Zirbenholz, die in der guten Stube, oft über dem Esstisch zu schweben hat. Sie setzt sich zusammen aus schön geschnitzten und verspannten Holzstegen – und wer sie nach erklärt zweitägiger Arbeit am Einzelstück tatsächlich für 20 Euro verkauft, der hält diese Tradition aus Überzeugung, Hingabe und Liebe hoch – nicht als flotte Einnahmequelle.
Unterhalb des Untersbergs, in der Gemeinde Grödig, lebt ein weiterer alter Brauch, wohl aus der Barockzeit herrührend, in genauso aufwendiger Form fort: die Grabwache. Dazu wird – vergleichbar mit einer Weihnachtskrippe – das Grab Jesu in der Dorfkirche unter bunten Glühbirnen sowie fokussierenden Schusterkugeln szenisch nachgestellt und an Karfreitag und Karsamstag von unverheirateten Jungschützen der Gemeinde bewacht. An diesen zwei Tagen heißt es in Grödig herzig: „Graberl schauen gehen.“Feierliche Wachablöse alle halbe Stunde – bis in der Osternacht der tote Jesus in Silhouetten-Form nach hinten wegklappt.
Diesem kleinen, intimen, sakralen Volkstheater stehen die großen, gesellschaftlichen, säkularisierten Oster-Festspiele im riesigen Großen Festspielhaus von Salzburg gegenüber. Ihre Tradition währt, seit sie 1967 der Salzburger Herbert von Karajan zunächst auf eigene Rechnung, Verantwortung und künstlerische Leitung gründete, erst (gut) 50 Jahre, doch der Ort des Geschehens hat eine ebenso lange Tradition wie das Kirchlein von Grödig. Gründet doch der seit 1925 erstellte, erweiterte und immer wieder überholte Festspielbezirk auf den Grundmauern der ehemaligen fürsterzbischöflichen Hofstallungen und Reitschulen.
Deshalb findet sich auch die Pferdeschwemme bis heute neben dem Großen Festspielhaus; deshalb heißt die eindrucksvollste der drei zur Verfügung stehenden Bühnen: Felsenreitschule. Und deshalb gehört das Ensemble seit 1996 zusammen mit der Salzburger Altstadt zum Weltkulturerbe – neben Mozart als größtem Sohn der Stadt ein weiteres anziehendes Ass in der Lokalgeschichte.
Übrigens: Alljährlich besuchen mehr Deutsche die Salzburger Oster-, Pfingst- und Sommerfestspiele als Österreicher. Und das wird auch heuer, 2018, so sein, wenn Christian Thielemann zu Ostern den PucciniPolitthriller „Tosca“dirigiert. Apropos Politthriller: Wirklich
Gleich am Bahnhof gibt es die berühmten Stinkerknödel
apart ist die Gedenktafel für Herbert von Karajan am Karajan-Platz. Heißt es da doch so schön pflichtschuldig wie distanzierend: „Er begann seine Karriere im NSDeutschland.“
Kommen wir zu Unverfänglicherem. Zur Kunst gehört die Kochkunst. Es gibt da ein Wirtshaus in Salzburg, das aus mehrerlei Gründen nicht nur höchst erstaunlich, sondern auch höchst ungewöhnlich ist. Es ist der Weiserhof. Hinter dem Bahnhof liegt es an unvermutetem Ort. Die Preise sind zivil. Der Chef hat Ehre im Leib, berufliches Ethos und jene Hingabe, wie sie auch der Heilig-Geist-Tauben-Schnitzer besitzt. Aus heimischen Zutaten von hoher Qualität kocht er aufwendig gleichsam historische Gerichte: Stinkerknödel, Breinwurst, Bartlmäknödel, Hoargneistnidei, Saumoas’n. Ein deftiges Gericht reiht sich ans andere. Ein Gedicht ans nächste. Das hat sich im Laufwind rumgesprochen. Man muss vorbestellen. Ach, würde doch überall so gekocht. Aus Überzeugung, aus Geschmack, aus Moral.