Die Kunst und ihre Mitmenschen lagen ihr am Herzen
Anneliese Wirsching, die bislang älteste Dießener Bürgerin, ist im Alter von 102 Jahren gestorben
Dießen Sie hebt das Sektglas und prostet ihren Gästen zu. Die Unterhaltung ist heiter und die Zuger Kirschtorte „gut getränkt“. Mit klarer Stimme erzählt sie aus dem Leben am See und von Menschen der Marktgemeinde. Das war am 20. Dezember vergangenen Jahres, als Anneliese Wirsching ihren 102. Geburtstag gefeiert hat. Nach dem Jahreswechsel zog sich Dießens älteste Bürgerin zurück und ist im 103. Lebensjahr jeden Tag ein bisschen leiser geworden. Langsam verabschiedete sie sich aus diesem Erdendasein: Am 18. März hat Anneliese Wirsching in ihrem Haus in der Fischerei die Augen geschlossen.
Anneliese Wirsching war eine starke, selbstbestimmte Frau, die den größten Teil ihres Lebens in Dießen verbrachte. Ihre Leidenschaften teilte sie zwischen dem Kunst- und Kulturschaffen sowohl privat als auch in Vertretung der Arbeitsgemeinschaft Dießener Kunst (ADK) und der Humanitas („Nichts Menschliches ist mir fremd“), als jahrzehntelange Aktivistin im Bayerischen Roten Kreuz. Ihre dritte Profession stand im RotKreuz-Ausweis, ausgestellt am 11. November 1936: Ehefrau.
Geboren in Köln, ist sie als Anneliese Gondos mit den Eltern nach München gezogen, um sich bald darauf in Dießen niederzulassen, im sogenannten Gondos-Haus zwischen Bannzeile und Buzallee. Einige Jahre pendelte sie nach München, um die Schule abzuschließen und dann in der Lehrlingsklasse einer Frauenarbeitsschule die Schneiderei zu lernen. Als junge Frau heiratete sie Sebastian Wirsching, der auch als Fassadenmaler tätig war (unter anderem Lüftlmalerei am Unterbräu, am Wirsching-Haus in der Fischerei und am Bahnhof Dießen).
Am 11. November 1936 ist Anneliese Wirsching dann auch Mitglied beim Roten Kreuz geworden. Ihre „offizielle Uniform“hat sie sich dann auch selber genäht und ist künftig in weiß-blau-gestreift zum Dienst gekommen und mit einem ebenfalls selbst genähten Häubchen. Dann ging es Schlag auf Schlag: Sie gehörte zur Frauenbereitschaft, wurde 1955 Bereitschaftsführerin in Dießen. 1965 gab es einen Sprung in der Karriere: Sie stieg zur Kreisbereitschaftsführerin auf und gehörte zur Vorstandschaft im Bayerischen Roten Kreuz Landsberg. Als sie 1991, nach 55 Jahren, den Aktivdienst quittierte, besaß sie eine Schatulle voller Orden, Ehrenzeichen und Urkunden.
Auch das Kunsthandwerk hat sich stets zu den runden Geburtstagen vor der Grande Dame der ADK verneigt. Über 40 Jahre lang hatte sie als „Hüterin der Schätze“den Pavillon am See geleitet, die Geschäfte geführt und die tägliche Ausstellung mit stilsicherer Hand geordnet und gestaltet.
Zur Erinnerung sei festgehalten, dass sie in den 1950er-Jahren die Nachfolge von Hilde Dellinger im Verkaufsraum am Seeufer angetreten hat, um von da an den Verkauf Dießener Kunsthandwerk und Kunst in der ständigen Ausstellung zu leiten. In diesem Sinne hat sich auch ADK-Vorsitzender Wolfgang Lösche vor Anneliese Wirsching immer wieder verneigt: „Sie hat das Dießener Kunsthandwerk durch schwierige, aber auch äußerst erfolgreiche Zeiten begleitet.“
Wenn sich am Donnerstag Familie, Freunde und Wegbegleiter zum Abschied auf dem Friedhof St. Johann (16 Uhr) treffen, schließt sich der Kreis des Dießener Kunstschaffens zum letzten Mal um eine große Persönlichkeit genau an jenem Ort, wo legendäre Künstlerfeste, deren Jahresessen und Veranstaltungen stattgefunden haben: Im Café Vogel an der Johannisstraße. Dann gibt es ihr zu Ehren noch einmal Zuger Kirschtorte, gut getränkt.