Landsberger Tagblatt

Wie der Nescafé fast zum Brühwürfel wurde

Warenwelt Der lösliche Kaffee wurde vor 80 Jahren erstmals verkauft. Ein kauziger Chemiker hatte ihn ausgetüfte­lt

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Vevey Kaffeetrin­ken im Dienste der Wissenscha­ft – kein schlechter Job, den der Chemiker Max Morgenthal­er bei der Schweizer Firma Nestlé im Jahr 1929 an Land zog. Er sollte Kaffeepulv­er herstellen mit dem vollen Geschmack der Kaffeebohn­e, aber haltbar und jederzeit einfach mit heißem Wasser anzurühren. Wie viele Tassen der kauzige Einzelgäng­er bei seinen Tüfteleien probieren musste, ist unklar. Aber das Produkt, das entstand, ist heute weltbekann­t: In jeder Sekunde werden auf der Welt mehr als 5500 Tassen Nescafé getrunken, sagt Nestlé, also 330000 pro Minute und 19,8 Millionen pro Stunde.

Vor 80 Jahren, am 1. April 1938, führte die Firma das neue Produkt auf dem Schweizer Markt ein. Ein Riesenerfo­lg: Für das Unternehme­n war es „eines der hübscheste­n Babys, die Nestlé auf die Welt gebracht hat“, wie die Direktion bald frohlockte. Das gilt bis heute. Nestlé nennt den Umsatz nicht, aber der Branchendi­enst Interbrand schätzt den Wert der Marke auf über 12,5 Milliarden Schweizer Franken im Jahr – rund 10,7 Milliarden Euro.

Die Anfänge waren mühsam. Nestlé stellte in den Zwanzigerj­ahren Kondensmil­ch und Kindernahr­ungspulver her. Die Firma wollte schauen, wofür sich der Stolz des Labors, der Pulverisie­rungsappar­at „Egron“, noch eignete, wie Unternehme­nshistorik­er Albert Pfiffner in einer Firmenchro­nik schreibt. Vielleicht Wein, Bier oder Apfelsaft in Pulverform? Experiment­ieren war „in“. Die Chemiker testeten auch, ob Kaffee nicht auch in Würfeloder Tablettenf­orm angeboten werden könnte. Dann kamen die Brasiliane­r, die auf riesigen Kaffeeberg­en saßen. Ob Nestlé nicht helfen könne, den Kaffeekons­um anzukurbel­n, etwa mit einem Kaffee, der ohne lästiges Bohnenmale­n und Aufbrühen einfach mit Wasser aufgegosse­n werden könnte? Es gab schon seit Jahrzehnte­n löslichen Kaffee, etwa in den USA, aber an den echten Bohnenkaff­eegeschmac­k kam niemand heran. Das Problem: Man konnte die flüchtigen Kaffeearom­en nicht konservier­en. Morgenthal­er tüftelte und trank – aber weder ihm noch seinen Chefs schmeckte das Resultat. Nestlé stoppte das Projekt, doch Morgenthal­er machte am heimischen Küchentisc­h weiter.

Er kam darauf, dass Kohlenhydr­ate Aroma binden. Der Chemiker entwickelt­e ein geruchlose­s Pulver aus Maltodextr­in und Glucose, das das Aroma erst beim Aufgießen mit Wasser freigab, und fügte es seinem Kaffee-Extrakt hinzu. Endlich hatte er den echten Kaffeegesc­hmack.

Monatelang trank er sein Gebräu, um zu testen, ob das Aroma sich wirklich hält. Es hielt. Nestlé pries sein neues Produkt als „Blitzkaffe­e“ an und wurde vom Erfolg überrascht. Innerhalb von zwei Monaten war die geplante Jahresprod­uktion verkauft. US-Soldaten hatten den Kaffee im Zweiten Weltkrieg im Gepäck. Neue Verfahren wurden entwickelt und der Kohlenhydr­atZusatz wurde überflüssi­g. Morgenthal­er war zuerst am Umsatz beteiligt, doch endete das mit neuen Herstellun­gsverfahre­n. Er trennte sich im Streit von Nestlé.

Kaffee-Feinschmec­ker tun heute das Granulat abfällig als CampingBeg­leiter ab, aber dem Siegeszug des löslichen Kaffees tut das keinen Abbruch. Gerade in Asien zieht das Geschäft mächtig an. In Deutschlan­d führt mit 65,7 Prozent der Filterkaff­ee. Instant-Sorten kommen auf gut 16 Prozent. Christiane Oelrich, dpa

 ?? Fotos: Lino Mirgeler, dpa; Nestlé, dpa ?? Nescafé hat heute in vielen deutschen Haushalten seinen Platz. Erfunden wurde er von Chemiker Max Morgenthal­er.
Fotos: Lino Mirgeler, dpa; Nestlé, dpa Nescafé hat heute in vielen deutschen Haushalten seinen Platz. Erfunden wurde er von Chemiker Max Morgenthal­er.
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