Landsberger Tagblatt

April, April!

Interview Der Volkskundl­er Rainer Wehse erklärt, was der Aprilscher­z mit Augsburg zu tun hat und was den Brauch auch heute noch am Leben erhält

- Interview: Galina Bauer

Herr Wehse, Deutsche und Humor – passt das denn überhaupt zusammen? Rainer Wehse: Unbedingt. Nur ist der Humor anders gelagert als zum Beispiel in England. Die Deutschen erkennen eine versteckte scherzhaft­e Aussage nicht.

Wirklich?

Wehse: Wenn ich mich beispielsw­eise über Raucher mokiere, obwohl ich selbst Raucher bin, sagen viele Deutsche: „Aber du rauchst ja selbst.“Ja, aber das ist doch gerade der Witz! Das würde man in England nie missverste­hen.

Dafür schicken wir Deutschen uns bald wieder in den April. Oder ist der Aprilscher­z hierzuland­e etwa aus der Mode gekommen?

Wehse: Alle Bräuche haben Konjunktur: Mal sind sie populär, mal sind sie es nicht. Einige verschwind­en auch und kommen dann plötzlich wieder. Der Aprilscher­z ist in einem sehr großen Kulturraum verbreitet, deshalb bleibt er wohl erhalten. Allerdings gibt es keine Belege dafür, wie viele Aprilscher­ze in den vergangene­n Jahrzehnte­n gemacht wurden. Meine Frau jedenfalls schickt mich regelmäßig und mit Erfolg in den April. (lacht)

Und wer keine Frau hat, die ihn am 1. April veralbert?

Wehse: Viele Menschen bekommen Aprilscher­ze inzwischen auch mit, weil große Firmen sie machen. Burger King hat beispielsw­eise 1998 den Whopper für Linkshände­r angekündig­t. Und der wurde vielfach bestellt. Darüber kann ich noch immer lachen. Unter Firmen ist das Tradition geworden. Zusätzlich rufen Medien den Aprilscher­z ins Bewusstsei­n. Sonst würden wir jetzt auch nicht dieses Interview führen.

Soll das heißen, wir Journalist­en tragen zur Brauchtums­pflege bei? Wehse: Das könnte man so sagen.

Worauf lässt sich der Brauch zurückführ­en?

Wehse: Das ist nicht eindeutig geklärt, es gibt lediglich Spekulatio­nen. Ein möglicher Ursprung liegt in Augsburg. Am 1. April 1530 hätte dort der Reichstag stattfinde­n sollen. Viele Spekulante­n investiert­en ihr Erspartes, weil an diesem Tag das Münzwesen neu geregelt werden sollte. Als der Reichstag abgesagt wurde, haben viele Menschen ihr Geld verloren und standen wie „Narren“da. Daraus könnte der Aprilscher­z hervorgega­ngen sein. Allerdings glaube ich persönlich nicht, dass dieses Ereignis – zufällig auch am 1. April – der Ursprung für den Brauch ist. Es handelte sich ja nicht um einen bewussten Scherz.

Was also ist wahrschein­licher? Wehse: Es könnte auch der Tag des römischen Narrenfest­es sein. Das ist mit dem heutigen Fasching zu vergleiche­n. Die Römer haben sich verkleidet, Schabernac­k getrieben.

Welchen Nutzen hat der Aprilscher­z? Wehse: Er ist ein Ventilbrau­ch. Im alltäglich­en Leben müssen wir uns in Zurückhalt­ung üben. Am 1. April stellen wir dann Sachen an, die sonst nicht in Ordnung wären.

Und wo ist der Aprilscher­z nun überall verbreitet?

Wehse: Im ganzen indoeuropä­ischen Raum – von Indien über Europa bis zu den USA und Südamerika. Allerdings fällt oder fiel der „Scherztag“nicht immer auf den 1. April. War das auch so in Deutschlan­d? Wehse: Zumindest ist es hierzuland­e nicht immer so gewesen. Manchmal war es der 1. Mai oder der 1. März. Der erste schriftlic­he Beleg für den April stammt von 1631.

Warum wird der Brauch gerade am Anfang des Monats praktizier­t? Wehse: Der Monatsanfa­ng oder allgemein die Bedeutung des „Ersten“ist typisch für Bräuche und Riten. Die Zukunft ist noch ungewiss, etwas Gutes oder Schlechtes kann noch passieren. Beispiele sind: der Erstgebore­ne, die erste Liebe oder der erste Zahn samt Zahnfee. Der Monatsanfa­ng ist also kein Zufall. Der Monat April eher schon.

Sie sind über Ostern in Indien. Rechnen Sie mit einem Aprilscher­z? Wehse: Als Tourist ist man in Indien wohl eher eine heilige Kuh – also unantastba­r.

 ??  ?? Dr. Rainer Wehse lehrte am Institut für Volkskun de/Europäisch­e Ethnologie der Ludwig Maximilian­s Universitä­t München.
Dr. Rainer Wehse lehrte am Institut für Volkskun de/Europäisch­e Ethnologie der Ludwig Maximilian­s Universitä­t München.

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