Landsberger Tagblatt

Diese Geschichte ist erschrecke­nd zeitlos

Oper Regisseuri­n Antje Schupp gelingt am Theater Ulm mit Vivaldis „Motezuma“eine Überraschu­ng

- VON DAGMAR HUB

Ulm Besucher wandeln durch das Madrider Museo Nacional del Prado und bewundern eine Ausstellun­g zum Untergangs des Reiches des Aztekenher­rschers Montezuma. Doch die unbeweglic­hen Statuen auf den Sockeln, bekleidet mit aztekisch anmutenden Gewändern, sind lebende Menschen – der Aztekenher­rscher selbst, seine Frau Mitrena und beider Tochter Teutile. So beginnt Antje Schupps Inszenieru­ng der selten gespielten Vivaldi-Oper „Motezuma“(vom Komponiste­n so geschriebe­n) im Großen Haus des Theaters Ulm.

Antje Schupp erzählt im beeindruck­enden Bühnenbild Mona Hapkes den Untergang einer Kultur durch Täuschung, durch tatsächlic­he oder vermeintli­che Demütigung, durch Rache, Gewalt und den Vorwurf der Gottlosigk­eit als zeitlose und erschrecke­nd aktuelle Parabel von Krieg und Zerstörung.

Ein aufgepflan­ztes goldglänze­ndes Kreuz auf einer Stele entmachtet die Götter der Azteken, während der spanische General Fernando die Herrschert­ochter schändet: Was in historisie­renden Kostümen beginnt und das Morden der als Gäste empfangene­n spanischen Eroberer im Aztekenrei­ch schildert, springt plötzlich in die Realität, die nur vermeintli­ch gewaltlose­r erscheint. Der Besucher findet sich als Beobachter des 11. Jahrestags der UN-Konferenz zum Schutz indigener Völker im Jahr 2018. Während sich Politiker entspannt unterhalte­n und mit ihren Smartphone­s beschäftig­t sind, bricht draußen vor den Mauern des Weltsicher­heitsrates ein Krieg aus. Die Teilnehmer der Konferenz verlassen überstürzt den Saal.

Nach der Pause liegt das Museo del Prado in Schutt und Asche, marodieren­de Kämpfer machen Selfies mit Teilen der Kunstwerke, posieren mit Maschineng­ewehren vor verkohlten Körpern, und eine rachsüchti­ge Herrscheri­n (brillant: I Chiao Shih in der Rolle der Mitrena) feiert die Vergeltung, während um sie die Flammen lodern.

Eigene Spannung erhielt die Ulmer Premiere der 2002 in einem Berliner Archiv entdeckten und sensibel aus Fragmenten komplettie­rten Oper Vivaldis durch einen anderen Umstand: Bass Martin Gäbler, der die Titelrolle des Aztekenher­rschers hätte singen sollen, erkrankte und konnte nicht singen. Da nur wenige Bässe die Rolle Montezumas im Repertoire haben, war Ersatz kaum zu finden. Kurzfristi­g rettete der Münchner David Pichlmaier die Premiere, indem er am Bühnenrand stehend vom Blatt sang – stimmkräft­ig und fein differenzi­ert –, während Gäbler wie im Stummfilm den Herrscher und seine Beziehung zu Frau und Tochter (Helen Willis), zu den Conquistad­ores und zu seinem General Asprano (Maria Rosendorfs­ky) darstellte.

Das Philharmon­ische Orchester Ulms unter der Leitung von Michael Wegner interpreti­ert Vivaldis hochbarock­e Musik zum Genuss von Liebhabern solcher Klänge; die Kastraten-Rollen sind sämtlich als Hosenrolle­n überzeugen­d besetzt. Der lange Applaus am Ende gilt vor allem dem Appell gegen Gewalt, den Antje Schupp mit dieser überrasche­nden Inszenieru­ng setzt.

Weitere Termine am 6., 13., 15., 20., 24. April und am 2., 5., 24. Mai

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Foto: Theater Ulm Martin Gäbler konnte die Titelparti­e zwar nicht singen, aber bei der Premiere wenigstens spielen.

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