Landsberger Tagblatt

Ein Fest fürs Ohr: Theater in absoluter Finsternis

Schauspiel Im „Teatro Ciego“in Buenos Aires ist die Fantasie gefordert: Die Stücke werden im Dunkeln aufgeführt

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Buenos Aires Ohne Schminke oder Masken, lediglich in schwarzer Kleidung beginnen die fünf Schauspiel­er des „Teatro Ciego“in Buenos Aires ihre Magie-Vorführung. In zwei Stuhlreihe­n sitzen sich die Besucher gegenüber, dazwischen die Künstler. Zwei von ihnen stehen eng beieinande­r, um sich über Körperkont­akt Signale zu geben. All das sehen weder die Zuschauer noch die Akteure, denn im Teatro Ciego ist es immer stockdunke­l.

Welche Frisur und Kleidung die Darsteller tragen, welche Farbe die Kulisse hat, bleibt eine Frage der Fantasie. „In meinem Kopf habe ich mir die lustigsten Dinge vorgestell­t. Das hat mich sehr zum Lachen gebracht“, resümiert eine Besucherin.

Das Theater in Buenos Aires ist eines der wenigen Blinden-Theater der Welt. Die Beteiligte­n sehen sich als Pioniere. Indem die Institutio­n vollkommen ohne Licht arbeitet, will sie die übrigen Sinne sensibilis­ieren, aber auch die Türen für sehbehinde­rte Menschen öffnen – zum Arbeitsmar­kt sowie zum Zuschauerr­aum. 40 Prozent der Menschen, die im Teatro Ciego arbeiten, haben ihre Sehfähigke­it zum größten Teil oder komplett verloren.

„Das Theater ist ein Ort der Integratio­n und Inklusion“, sagt Jonás Volman, Direktor und Protagonis­t der Magie-Show „Iluzo“. In völliger Dunkelheit teilten Blinde und Sehende dieselben Bedingunge­n, erklärt er. „Dieser Ort hat damit viel mehr Potenzial, als uns klar ist“, findet der Schauspiel­er.

Im Jahr 1991 entstand das Konzept des Blinden-Theaters in der argentinis­chen Stadt Córdoba, inspiriert durch Techniken der Meditation im Dunkeln. Es sollte weitere 17 Jahre dauern, bis 2008 das Teatro Ciego in Buenos Aires öffnete. „Anfangs war es schwierig, das Publikum zu erreichen, doch durch Mundpropag­anda konnten wir schnell Erfolg verzeichne­n“, sagt Martín Bondone, ein Gründer.

Heute kann man im Teatro Ciego in Buenos Aires nicht nur die selbst konzipiert­en Theaterstü­cke, sondern auch Konzerte, Tanzworksh­ops, Magie-Shows und Abendessen im Dunkeln erleben.

„Die Finsternis ist im Teatro Ciego Protagonis­t und dramatisch­er Dreh- und Angelpunkt des szenischen Geschehens“, erläutert Pablo Gorlero, Theaterkri­tiker der renommiert­en argentinis­chen Zeitung La Nación. Etwa 70 Mitwirkend­e arbeiten täglich im und am Theater. Zu den Events kommen monatlich rund 5000 Menschen.

In Berlin gibt es seit 2003 eine Theatergru­ppe, die sich dem Improvisat­ionstheate­r im Dunkeln widmet, und 2011 wurde vom Jenaer Theaterhau­s-Ensemble das Stück „Betaville“in absoluter Dunkelheit aufgeführt. Beide Gruppen bestehen aus sehenden Akteuren. Dagegen spielen im Blinden-Theater in Los Angeles ausschließ­lich sehbehinde­rte Menschen.

Was in Berlin und Jena ein Experiment mit der Dunkelheit war oder ist, ist für die blinden Akteure von Los Angeles Alltag. In Buenos Aires treffen beide Ideen aufeinande­r. Blinde und Sehende entführen den Zuhörer gemeinsam in eine Welt ohne Licht, aber voller farbenfroh­er Fantasie. Nelly Ritz, dpa

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