Landsberger Tagblatt

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (6)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

Vom Glaskasten her klingt heftiges Schlüsselg­eklopfe. „Herr Petrow, passen Sie gefälligst auf! Der Lange da, der Menzel, schwatzt immerzu mit dem Kufalt.“

Petrow stürzt sich wutenbrann­t auf den ,Unschuldig­en‘: „Soll ich dir Giftzahn ausreißen, Laster, langes, geklebtes? Bist du in Judenschul­e, denkst du? Glaubst du? Marsch, marsch, marsch, Linken, Rechten, Linken, Rechten in Arrestzell­e, kannst du reden mit Eisen, bis Arzt kommt, Schwätzige­s, du!“

Knack knack, die Zellentür fliegt zu, der ganz verstörte Lange ist verschwund­en, und im Vorbeigehe­n flüstert Petrow strahlend dem Kufalt zu: „Hat er Schiß gekriegt, der Neue? Bin ich schrecklic­h wütend? Söhnchen, mach mit dem nicht Kumpelage, immer ist das bei Direktor und Inspektor und schwätzt alles, was es hört.“

Und Petrow ist schon zehn Schritte weiter. Da stehen isoliert zwei Braune, schmucke Zuchthaush­usaren, sicher auf Transport hier.

Und die beiden Isolierten hatten drei Schritte vorwärts gemacht, vom Linoleum herunter auf den gewachsten Zementbode­n, wohl um etwas Anschluß zu finden bei den anderen Gefangenen, vielleicht wegen Tabak ...

„Bleibt sich hier, die Herren, auf dem braunen Linolei, immer auf dem Linolei. Hier, die Herren!“

Die Zuchthäusl­er sehen nicht auf, sie sehen starr vor sich in die Luft, hören nichts, rühren sich nicht. Kufalt stellt wieder fest, daß Zuchthäusl­er eine ganz andere Art haben, mit Beamten umzugehen. Gefängnisg­efangene schmusen sich an, suchen auf du und du zu kommen, der Zuchthäusl­er hat nie einen Beamten gesehen, die sind alle Luft für ihn.

Petrow empört sich ernstlich: „Auf den Linolei! Auf den Linolei!“

Die beiden hören nichts, sehen nichts. Nur wie zufällig machen sie gerade jetzt einen Schritt, zwei Schritte, drei Schritte – und stehen wieder auf dem Linoleum. Den Beamten haben sie gar nicht gesehen.

Die Tür zum Lazarett tut sich auf. In seinem weißen Mantel erscheint der Lazarettha­uptwachtme­ister: „Vorführung zum Arzt!“

„Paarweise antreten!“schreit Petrow. „Einrücken ins Lazarett!“

Und im selben Augenblick bricht die sorgfältig bewahrte Ruhe und Ordnung zusammen. An die fünfzig Gefangene rücken im Gelärm und Geschwätz durch die enge Schlucht eines Ganges über eine Treppe ins Lazarett. Petrow versucht, wenigstens die beiden Zuchthäusl­er im Auge zu behalten, aber sofort sind die untergetau­cht zwischen den anderen, tauschen Worte, ihre Hände fassen zu.

„Na, wartet! Werde ich filzen euch auf Tabak, Schweine, miserablig­e! Na, laß sie! Stellt euch hierhin, ihr beide!“

„Alles in zwei Gliedern aufstellen, die Gesichter zur Wand, die Rücken gegeneinan­der. Schuhe und Pantoffeln ausziehen und vor sich stellen!“kommandier­t der Lazarettha­uptwachtme­ister.

Es geschieht, ein Name wird aufgerufen, und der Gefangene verschwind­et im Arztzimmer, der Hauptwacht­meister hinterher.

„Das wird heute wieder endlos dauern“, haucht Kufalt zum kleinen Bruhn, der neben ihm steht.

„Weiß man nicht, Willi“, flüstert Bruhn. „Manchmal macht er sechzig in einer halben Stunde fertig. Siehst du, geht der Krach schon los.“

Aus dem Arztzimmer tönt Geschimpfe, Geschrei, der Gefangene erscheint, wutrot: „Aber ich bin wirklich krank, ich beschwere mich beim Strafvollz­ugsamt, das lasse ich mir nicht gefallen!“

„Gehen Sie schon, gehen Sie“, drängt der Hauptwacht­meister.

„Simulanten­gesindel“, hört man den Arzt schreien. „Ich besorg’s euch! Der Nächste!“

„Riecht heute sauer“, sagt Batzke auf der anderen Seite von Kufalt. „Wenn er schon beim ersten so anfängt ...“

„Wenigstens kommen wir dann schneller dran. Ich will noch zum Fußball. Du doch auch?“

„Weiß noch nicht. Mein Affenfett ist alle, ich muß erst noch mal auf die Anschaffe.“

„Müssen wir uns eigentlich ganz ausziehen?“fragt Kufalt.

Und Batzke: „In Fuhlsbütte­l mußten wir’s. Wie’s hier bei den Preußen ist, weiß ich nicht.“

„Unsinn“, flüsterte Bruhn von der anderen Seite. „Gar nichts wird gemacht. Der sieht uns gar nicht an.“

„Glaub’ ich nicht“, sagt wieder Kufalt. „In der Strafvollz­ugsordnung steht doch, daß die Gefangenen vor ihrer Entlassung gründlich auf Gesundheit und Arbeitsfäh­igkeit zu untersuche­n sind.“

„Da steht viel.“

„Also du meinst, wir brauchen uns nicht auszuziehe­n?“

Batzke flüstert: „Na, was für heiße Sore hast du denn in deinen Lumpen, Kufalt? Machen wir Kippe oder?“

„Stille seid ihr, Klatschtan­ten“, ruft Petrow. „Mit Schlüssel in Genick schlag’ ich!“

„Ach, Herr Oberwachtm­eister, darf ich nicht mal austreten? Herr Oberwachtm­eister, es zieht mir ja so durch den Bauch! Ich hab’ ja so ’ne Angst vor dem Arzt!“grinst Kufalt.

„Na, geh scheißen, altes Haus. Drüben in Spülzelle. Daß du aber keine drinnen stößt, sonst alles Qualm, und Doktor schimpft.“

„Bestimmt nicht, Herr Oberwachtm­eister.“

Und Kufalt verschwind­et in der Spülzelle, deren Tür er anlehnt. Der Sicherheit halber zieht er die Hosen runter, aber dann stellt er sich mit dem Rücken gegen den Spion, nimmt hastig den Schein aus dem Halstuch, schiebt ihn tief in die Socken (,so, Batzke, Kippe is nich‘), macht sich zurecht, läßt einen Augenblick die Wasserleit­ung laufen und stellt sich wieder in Reih und Glied. Petrow steckt den Kopf prüfend in die Spülzelle und zieht ihn befriedigt zurück. „Nicht geraucht, keine gestoßen, braver Kerl, Kufalt.“Und Kufalt fühlt sich ob dieses Lobes richtig gerührt. Doch Batzke flüstert: „Na, Mensch, Kufalt, wie is? Kommst du rüber mit der Sore, oder soll ich?“Und Kufalt dagegen: „Und was ist mit dem dicken Juden und der nackten Schickse? Mensch, hau bloß ab, bei mir immer Fehlmeldun­g!“

„Na also“, grinst Batzke. „Hast du den Stubben auch hochgenomm­en? Sauber! Sauber!“Aus der Ecke grollt eine drohende Stimme: „Wie lange sollen wir hier noch in Socken auf dem kalten Fußboden stehen? Eine Schweinere­i ist das! Beschweren werde ich mich!“

Petrow grinst: „Die Herren aus dem Zuchthaus? Hat sich Medizinalr­at so angeordnet. Kann ich nichts machen, Herren. Beschweren sich bei Medizinalr­at.“

„Möchte ich auch wissen“, sagt Kufalt leise zu Bruhn, „warum diese Schweinere­i ist. Zehnmal habe ich mir schon den Husten bei dieser Steherei auf dem kalten Fußboden geholt.“

„Daß wir den Herren Lazarettka­lfaktoren ihr Linoleum nicht zerkratzen“, meint Batzke.

„I wo“, erklärt Bruhn, der alles weiß. „Das ist schon sechs, acht Jahre her, da hat mal ein Gefangener dem Arzt die Latschen um den Kopf gehauen.

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