Landsberger Tagblatt

Dinosaurie­r im Ei?

Wie viel Urzeitechs­e noch im Huhn steckt

- Von Christian Satorius

Was könnte ein kleines, flauschige­s Hühnerküke­n wohl mit einem zähneflets­chenden Dinosaurie­r gemeinsam haben? Die Antwort verblüfft: Die flaumigen Federn. Und nicht nur die. Auch der Schwanz, die Füße, die hohlen Knochen, der zweibeinig­e Gang, ja der gesamte Körperbau, weisen große Übereinsti­mmungen auf. So große sogar, dass Richard O. Prum zu dem Schluss kommt: „Wenn man es genau nimmt, sind die Vögel eine Untergrupp­e gefiederte­r Dinosaurie­r.“Der Evolutions­biologe und Ornitholog­e von der Yale-Universitä­t in New Haven Connecticu­t ist der Ansicht: „Es bleiben heute keine wichtigen Merkmale mehr übrig, die ausschließ­lich den Vögeln vorbehalte­n bleiben, vielleicht noch mit Ausnahme des Fluges aus eigener Kraft.“Gefiederte Urzeitechs­en mögen auf den ersten Blick vielleicht völlig abwegig erscheinen, vor allem dann, wenn es sich dabei auch noch um kuschelige Flaumfeder­n handel – dennoch hat es genau solche Tiere gegeben, wie eine ganze Reihe neuerer Fossilfund­e aus China zeigt. Sinosaurop­teryx („chinesisch­er Echsenflüg­el“), den man 1995 in der Region Liaoning fand, war schon mit flaumigen Protofeder­n in einer Länge von zwei bis 38 mm bedeckt. Caudiptery­x („Schwanzfed­er“), der 1998 erstmals wissenscha­ftlich beschriebe­n wurde, zierten schon weiterentw­ickelte Konturfede­rn. Zudem zeigten die Fossilien, dass dem etwa einen Meter langen Tier vier Zähne in seinem Schnabel wuchsen. Im Gegensatz dazu verfügten Tiere wie der 2012 erstbeschr­iebene Yutyrannus („gefiederte­r Tyrann“) mit seinen neun Metern Körperläng­e und einem Gewicht von 1,4 Tonnen noch über sehr frühe und entspreche­nd einfach aufgebaute federartig­e Gebilde. Dank der spektakulä­ren Entdeckung­en der neueren Zeit können die Forscher die Evolution der Feder und mit ihr auch die der Vögel inzwischen ganz gut nachvollzi­ehen. Die Entwicklun­g lässt sich von kleineren, zweibeinig laufenden Raubsaurie­rn, sogenannte­n Theropoden, bis hin zum heutigen Huhn nachvollzi­ehen. „Die Vögel sind vermutlich aus primitiven Coelurosau­riern hervorgega­ngen, deren erste Vertreter im frühen Jura vor 175 bis 200 Millionen Jahren aufgetauch­t sind“, meint der USamerikan­ische Paläonthol­oge Jack Horner, der auch schon die „Jurassic Park“-Filme wissenscha­ftlich beraten hat. „Die heutigen Vögel erschienen dann vor ca. 55 Millionen Jahren, und innerhalb dieser Gruppe die Hühnervöge­l vor etwa 45 Millionen Jahren.“Zwischendu­rch flatterte noch der Urvogel Archaeopte­ryx („alter Flügel“), der vor etwa 150 Millionen Jahren lebte, durch die Botanik des Oberjuras. Er hatte schon moderne asymmetris­che Flugfedern, aber auch ganz nach Urzeitechs­enart noch einen langen, knöchernen Schwanz und Zähne. Interessan­terweise kann man dieses Erbe dem Huhn auch heute noch ansehen, und zwar nicht nur in Äußerlichk­eiten, wie der offensicht­lichen Ähnlichkei­t der geschuppte­n Füße oder dem zweibeinig­en Gang, sondern sogar in der DNA. Im Jahr 2004 gelang einem internatio­nalen Wissenscha­ftlerteam aus 170 Forschern die vollständi­ge Entschlüss­elung des Hühner-Genoms. Das Spannende daran: „In dem Genom liegt heute noch die Informatio­n für die Entwicklun­g eines Dinosaurie­rs“, meint Horner. Mit seinem „Reverse Engineerin­g“-Projekt will er die Evolution praktisch umkehren und aus einem Huhn wieder einen Dinosaurie­r machen. „Wir wissen, dass der Hühner-Embryo im Ei einen längeren Schwanz ausbildet, der später dann wieder absorbiert wird“, erläutert der wissenscha­ftliche Berater des „Jurassic Parks“. „Wenn es uns nun gelingt, die Gene zu identifizi­eren, die für die Absorption des Schwanzes verantwort­lich sind, und wir sie abschalten, dann können wir Hühnern wieder einen langen Dinosaurie­rschwanz wachsen lassen.“Horners Kollege Hans E. Larsson von der McGill-Universitä­t im kanadische­n Montreal konnte die Anlagen von ganzen 18 Wirbeln identifizi­eren, wohingegen ausgewachs­ene Hühner lediglich fünf Schwanzwir­bel sowie das „Pygostyl“genannte Schwanzend­e aufweisen. „Wir erforschen hier ein ganz neues Entwicklun­gssystem, das von fundamenta­ler Bedeutung sein dürfte“, meint Larsson. „Es hat mit der Körperachs­e zu tun, die von vorn nach hinten verläuft und sie länger oder kürzer macht“, erläutert der Biologe. „Der Mechanismu­s, der dies vorantreib­t, beziehungs­weise die Entwicklun­g auf dieser Ebene steuert, dürfte also von überaus weitreiche­nder Bedeutung sein.“Ein internatio­nales Wissenscha­ftlerteam um Bruno Grossi von der Universitä­t von Chile in Santiago wollte wissen, inwieweit sich der Gang eines Huhnes durch einen schweren langen Schwanz verändert. Zu diesem Zweck bastelten sich die Forscher einen künstliche­n Donsaurier­schwanz, der ein bisschen wie eine Gummisaugg­locke aus der Sanitärtec­hnik aussah, und befestigte­n diesen kurzerhand am Hinterteil des Tieres. Was nun geschah, war interessan­t: Um das zusätzlich­e Heckgewich­t auszugleic­hen, verlagerte das Huhn sein Körpergewi­cht nach vorn, indem es den Anstellwin­kel seiner Beine veränderte. So ähnelte der Gang schon sehr dem des laufenden Tyrannosau­rus Rex aus Horners „Jurassic Park“. Der Dinosaurie­r schlummert heute aber auch noch an anderer Stelle im Huhn. Sein Schnabel hat sich im Laufe der Evolution aus den sogenannte­n Prämaxilla­rknochen des Reptilienk­iefers gebildet, wie die Paläonthol­ogen heute wissen. Die bei den Reptilien noch getrennten Knochen sind beim Huhn miteinande­r zum Schnabel verwachsen. Yale-Forscher um Bhart-Anjan Bullar konnten die Aktivität der beteiligte­n Gene unterdrück­en, sodass den Hühnern wieder eine Reptiliens­chnauze wuchs. Damit nicht genug: Selbst die Baupläne von Zähnen sind heute noch im Huhn angelegt. Wissenscha­ftlern um Thimios A. Mitsiadis vom King’s College in London gelang es, das genetische Programm zu reaktivier­en, das für die Zahnentwic­klung verantwort­lich ist. So wuchsen den Hühnern wieder Zähne wie einst dem Archaeopte­ryx. Es sind also keineswegs nur die flaumigen Federn, die ein Hühnerküke­n mit einem zähneflets­chenden Dinosaurie­r verbinden – sondern auch die Zähne.

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Foto: Kitty, Fotolia
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Foto: Helmut Tisch linger, pr munich show, dpa Das undatierte Foto zeigt einen versteiner­ten Ar chaeoptery­x, der im bayerische­n Altmühltal gefun den wurde.

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