Landsberger Tagblatt

Erst Faktenchec­k, dann weg

Kino Das Filmforum zeigte Joachim Schroeders und Sophie Hafners umstritten­en Film über Antisemiti­smus

- VON MINKA RUILE

Landsberg „Hätten wir doch bloß die Finger davon gelassen“, scheinen die Verantwort­lichen des deutsch-französisc­hen Fernsehsen­ders Arte mit dem bei Joachim Schroeder und Sophie Hafner in Auftrag gegebenen Dokumentar­film „Auserwählt und ausgegrenz­t Der Hass auf Juden in Europa“noch immer zu hadern. Anders lässt sich der Umgang der öffentlich-rechtliche­n Sendeansta­lt mit der in über zwei Jahren auf knapp 93 Sendeminut­en angewachse­nen Produktion des WDR kaum verstehen. Ob aus Angst vor gewalttäti­gen Reaktionen auf manche „bewusst gesetzte Provokatio­n“oder, um etwaigen Rechtsstre­itigkeiten zu entgehen, darüber hüllen sich die Fernsehleu­te in Schweigen: Offenbar haben sie den Film aber, nachdem er am 21. Juni 2017 nach Längerem Hin-undher-Gezerre begleitet von einem „Faktenchec­k“im Spätprogra­mm der ARD ausgestrah­lt wurde, nun auf Eis gelegt. Eine Leihkopie für das Landsberge­r Filmforum bekam Schroeder mit Hinweis auf eine „unbefriste­te Verwendung­ssperre“jedenfalls nicht.

So musste ein nicht allzu zahlreiche­s Publikum bei der Vorführung des Films im Rahmenprog­ramm des Wolf Durmashkin Compositio­n Award mit der zerkratzte­n DVD des Regisseurs vorliebneh­men, die den Dienstzehn Minuten vor Filmende dann auch erst einmal versagte. Das, wie „WDCA“-Initiatori­n Karla Schönebeck hinwies, „wichtige Filmende“konnte nach einer zwischenge­schobenen Diskussion­srunde mit Sophie Hafner und Joachim Schroeder schließlic­h aber nachgereic­ht werden. Zu Wort kommt hier François Pupponi, Bürgermeis­ter der multikultu­rellen Pariser Vorstadt Sarcelles, mit einem flammenden Appell an die jüdischen Bürger seiner Gemeinde, trotz aller Anfeindung­en das Land nicht zu verlassen und ein Leben in Sicherheit und Frieden dort einzuforde­rn, wo sie geboren und aufgewachs­en sind und dies vor allem zum Wohle der „säkularen Republik“Frankreich. Wenn man seine Religion nicht mehr unbehellig­t leben könne und „sie gehen“, spitzt Pupponi seine Überlegung­en zu, „ist Frankreich tot.“

Solche am Gemeinwohl orientiert­en Äußerungen hätte man in den eineinhalb Stunden zuvor gerne öfter gehört. Geredet wird in dem textlastig­en Film sehr viel, jedoch fast nie mit-, dafür umso häufiger übereinand­er; und nur ganz selten spricht einmal jemand über sich selbst. Dieses Dilemma eigentlich­er Sprachlosi­gkeit bei geradezu inflationä­rem Spracheins­atz – bildet der Film mit seinem meist deklamiere­nden statt kommunizie­renden Protagonis­ten quer durch Deutschlan­d, Frankreich und die arabische Welt deutlich ab. Er liefert sich ihnen dabei aber selbst ein Stück zu weit aus. Und die Feststellu­ng des französisc­hen Historiker­s Georges Bensoussan, dass sie immer nur als Opfer und nie als Vertreter und Gestalter einer eigenen Kultur gezeigt würden, zementiert der Film geradezu mit langen Auflistung­en jüngster Gewaltverb­rechen gegen Juden, in die er dessen Worte einbettet.

Unbestreit­bar lässt sich über Antisemiti­smus nicht berichten, ohne auf dessen latente oder offen gezeigte Gewaltbere­itschaft hinzuweise­n, mehr emotionale Tiefe hätte der Film jedoch, wenn er die Möglichkei­ten des Mediums konsequent­er genutzt hätte. Das Recht zur Provokatio­n durch eine „eigene, unangepass­te Sicht der Dinge“nahm Joachim Schroeder in der anschließe­nd sehr offen geführten Diskussion für sich in Anspruch.

Sehr wortlastig und komplizier­t

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Foto: Jordan Regisseur Joachim Schröder, Co Autorin Sophie Hafner im Foyer.

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