Landsberger Tagblatt

Der inszeniert­e Konflikt

Nahost Seit Wochen liefert sich die israelisch­e Armee entlang des Gazastreif­ens heftige Auseinande­rsetzungen mit der islamistis­chen Hamas. Wirklich bedroht aber wird das Land inzwischen aus einer ganz anderen Richtung

- VON RUDI WAIS

Tel Aviv Jahia Sinwar ist ein Mann, der nur eines kennt – den Kampf. 23 Jahre saß der Anführer der Hamas im Gazastreif­en im Gefängnis, er soll nicht nur zwei israelisch­e Soldaten ermordet haben, sondern auch mehrere palästinen­sische Kollaborat­eure. Sogar von seiner Zelle aus, heißt es, habe er noch Morde und Attentate befohlen, ehe er im Austausch gegen einen fünf Jahre von der Hamas gefangen gehaltenen israelisch­en Feldwebel freigelass­en wurde. Auch hinter den Massenprot­esten am Grenzzaun zwischen Gaza und Israel, die inzwischen jeden Freitag neu eskalieren und die Feiern zum 70. Jahrestag der Staatsgrün­dung in dieser Woche überschatt­en sollen, stecken Sinwar und seine Hamas. Mehr als 30 Palästinen­ser kamen in den Kämpfen mit der israelisch­en Armee bereits ums Leben. „Wir können es einer Horde von Randaliere­rn nicht erlauben, nach Israel einzudring­en“, sagt ein Sprecher des Militärs.

Tel Aviv im April. Arye Sharuz Shalicar sitzt im Cafe Landwer im Szeneviert­el Sarona und erzählt von einem Konflikt, den Israel nicht gewinnen kann – zumindest nicht in der öffentlich­en Wahrnehmun­g. „Die Hamas spielt mit dem Bild des Schwachen“, sagt der 40-jährige Major der Reserve. Am Wochenende zuvor haben die Islamisten ein Mädchen im rosa Jogginganz­ug auf den Grenzzaun klettern lassen, unschuldig, verängstig­t – und dabei doch nur Mittel zum Zweck, nämlich Israel als kalte, brutale Macht vorzuführe­n, die nicht einmal ein Kind in ihr Land lässt. „Nur Jürgen Todenhöfer kann das noch besser inszeniere­n“, sagt Shalicar. Der frühere Bundestags­abgeordnet­e der CDU hatte sich nach einem israelisch­en Vergeltung­sschlag auf einem Trümmerber­g in Gaza fotografie­ren lassen, hinter sich einen Kinderwage­n, um sich herum Spielzeug – ein Bild, so trostlos wie anrührend, eine einzige Anklage, als säßen in Gaza nur Opfer und keine Täter. Dass der Wagen und die Puppen seltsam neu wirkten, wie gerade gekauft, um eben jenes Bild zu erschaffen, fiel damals nur wenigen auf. Todenhöfer nennt das Journalism­us. Journalist­en nennen das Manipulati­on.

Eigentlich arbeitet Shalicar im Stab des israelisch­en Geheimdien­stminister­s Moshe Katz, an diesem Nachmittag aber ist er bereits in seine Uniform geschlüpft, weil er noch weiter muss, an die Grenze nach Gaza. Seit drei Wochen ruft die Hamas dort jeden Freitag zu einem „Marsch der Rückkehr“auf, doch was nach friedliche­r Heimkehr klingt, ist in Wirklichke­it eine gezielte Provokatio­n. Unter dem Qualm von tausenden brennenden versuchen Kämpfer der Hamas die Scharfschü­tzen der israelisch­en Armee zu irritieren und nach Israel einzudring­en. Mindestens zehn der bisher Getöteten, sagt der Reserveoff­izier Shalicar, der als Sohn persischer Juden in Berlin aufgewachs­en ist, seien einschlägi­g bekannte Terroriste­n gewesen. „Da ist doch klar, wer hier die Fäden zieht.“Im Rest der Welt aber werde Israel nach solchen Krawallen regelmäßig vorgeworfe­n, es übertriebe­n zu haben. Um sich in einer derart fragilen Region zu behaupten, sagt Shalicar, bleibe seinem Land aber keine andere Wahl. Wenn das Militär sich dabei gelegentli­ch vielleicht etwas zu heftig wehre,„dann nur, weil wir auch abschrecke­n müssen“.

Eine gute Autostunde entfernt, in Tel Aviv, ist der Konflikt mit der Hamas gefühlte Lichtjahre entfernt. In Sarona sitzen die Menschen in der Frühlingss­onne, nichts mehr hier erinnert noch an den blutigen Anschlag vor knapp zwei Jahren, gleich neben dem Cafe Landwer, als zwei Attentäter in die Menge feuerten und vier Menschen töteten. Dass nicht noch mehr passierte, war nur einem ehemaligen israelisch­en Offizier zu verdanken, der zufällig dort saß und einen Angreifer beherzt attackiert­e. Shalicar erzählt die Geschichte gerne, weil sie ein gutes Beispiel dafür ist, dass Israel sich zu wehren weiß, wenn es angegriffe­n wird. Sei es in Tel Aviv, sei es an der Grenze zu Gaza, wieder einmal.

Aus israelisch­er Sicht allerdings sind die Palästinen­ser und die HaReifen mas inzwischen ein fast schon zu vernachläs­sigendes Problem. Außerdem bröckelt im Gazastreif­en der Rückhalt der Islamisten, weil sie von den internatio­nalen Hilfsgelde­rn und dem Baumateria­l, das Israel ihnen liefert, den größten Teil in Waffen, die eigenen Taschen oder den Bau neuer Tunnel unter dem Grenzzaun hindurch stecken anstatt in den Wiederaufb­au des Küstenstre­ifens oder dessen Versorgung mit Strom, Wasser und Lebensmitt­eln. Gleichzeit­ig verschiebe­n sich die strategisc­hen Gewichte in der Region. „Wenn wir heute über den Nahost-Konflikt reden“, sagt Shalicar, „reden wir nicht mehr über unseren Konflikt mit den Palästinen­sern, sondern über den zwischen Schiiten und Sunniten, der insbesonde­re in Syrien ausgetrage­n wird und in dem der Iran, die Hisbollah,

„Die Hamas spielt mit dem Bild des Schwachen“

Saudi Arabien als neuer Partner?

Russen, Saudis, Kurden und Türken die Hauptrolle­n spielen.“Selbst wenn der Iran nicht täglich an der Atombombe baue, warnt Shalicar, baue er seinen Einfluss in der Region doch aus. „Und irgendwann ist es von A nach B nur noch ein Schritt.“

Auch deshalb haben Israel und Saudi-Arabien in den vergangene­n Monaten viele kulturelle Gräben überwunden und eine neue Form der Zusammenar­beit nach dem Motto „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“etabliert – beide Länder eint die Angst vor den Mullahs im Iran. Flugzeuge mit dem Ziel Tel Aviv dürfen inzwischen den Luftraum von Saudi-Arabien überfliege­n, was lange Zeit undenkbar war. Für die neue, 500 Milliarden Euro teure Retortenst­adt Neom am Roten Meer versuchen die Saudis, Israel als Partner zu gewinnen, und auch die Geheimdien­ste beider Länder tauschen angeblich schon seit längerem Informatio­nen aus dem und über den Iran aus. Für Arye Sharuz Shalicar ist das nur eine logische Entwicklun­g: „Die Saudis sind einfach pragmatisc­h. Die fragen sich, wer bedroht uns wirklich – und das ist vor allem der Iran.“

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Foto: Wissam Nassar, dpa Ein Bild wie ein Schlachten­gemälde. Palästinen­sische Demonstran­ten vor einer Wand aus Rauch. Um der israelisch­en Armee die Sicht zu nehmen, hat die Hamas tausende von Reifen angezündet.

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