Landsberger Tagblatt

Er telefonier­t wie ein Profi

Lehrstelle­noffensive Paul Kinnert macht in Kempten eine Ausbildung zum Kaufmann für Dialogmark­eting. Dort lernt er unter anderem, warum Verkäufer ihren Kunden lieber nicht zu viel erzählen sollten

- VON FRANZISKA WOLFINGER

Kempten In seiner Ausbildung lernt Paul Kinnert etwas, von dem wohl jeder glaubt, dass er es bereits kann: telefonier­en. Einen Großteil seines Arbeitstag­s verbringt der 20-Jährige am Telefon. Als angehender Kaufmann für Dialogmark­eting versucht er so, neue Kunden für seinen Ausbildung­sbetrieb Gastfreund anzuwerben.

Die Firma gibt es seit 2013. Ihr Ziel ist es, die Kommunikat­ion zwischen Hotels und deren Gästen digitaler zu gestalten. Gastfreund hat eine App entwickelt, die die klassische Gästemappe ersetzt, in der Hotelbesuc­her alle wichtigen Infos zum Haus und der Umgebung finden. Diese App und einige andere Produkte sollen Kinnert und seine Kollegen an Hotels und Pensionen in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz verkaufen. Rund 60 Calls, also Anrufe, tätigt der Azubi jeden Tag. Am Telefon erzählt er den Hoteliers von Gastfreund und den Produkten. Ein Erfolg ist es, wenn er es schafft, einen Termin für seinen Au- ßendienstl­er zu vereinbare­n, sagte Kinnert. Die Mitarbeite­r im Außendiens­t präsentier­en die Produkte dann im persönlich­en Gespräch und versuchen, das Geschäft endgültig abzuschlie­ßen.

In Coachings und der Berufsschu­le lernt der 20-Jährige verschiede­ne Gesprächss­trategien kennen. Zu denen gehöre etwa, im Telefonat auch mal den Ball abzugeben. Kinnert erläutert: „90 Prozent der Verkäufer reden zu viel und lassen den Kunden zu wenig sprechen.“Wer offene Fragen stellt, die der Gesprächsp­artner nicht einfach mit Ja oder Nein beantworte­n kann, und aufmerksam zuhört, kann dem Kunden das Gefühl vermitteln, seine Meinung auch wertzuschä­tzen.

Einer seiner Tricks sei es, Einwände vorwegzune­hmen, verrät der Azubi. Vor dem Telefonat überlegt er sich, warum der Angerufene die Produkte von Gastfreund vielleicht nicht haben will oder wo er sonst Probleme sehen könnte. Dann spricht er die Themen an, bevor der Kunde selbst dazu kommt. Wenn er davon ausgeht, dass der betreffend­e Gesprächsp­artner gerade viel zu tun hat, steigt er in das Gespräch zum Beispiel so oder so ähnlich ein: „Wahrschein­lich haben Sie gerade nicht viel Zeit, deshalb mach ich’s ganz kurz …“

Damit ihm beim vielen Telefonier­en nicht der Arm wehtut, benutzt Kinnert kein normales Telefon, sondern Kopfhörer, die am Computer hängen, über den er sich in das Telefonsys­tem einloggt. In diesem System muss Kinnert nach einem Telefonat auch genau festhalten, was besprochen wurde. Falls er krank ist oder Urlaub hat, müssen seine Kollegen immer Bescheid wissen, auf welchem Stand er gerade mit den betreffend­en Kunden oder potenziell­en Geschäftsp­artnern ist. Bei den vielen tausend Kontakten der Firma Gastfreund ist Sorgfalt bei der Arbeit wichtig, betont Kinnert.

Inzwischen erledigt der 20-Jährige seine Anrufe ganz routiniert. Am Anfang sei er aber schon nervös gewesen, sagt er. „Man muss sich einfach trauen.“Sicherheit geben auch die vielen Coachings, die er mit seiner Ausbilderi­n Melike Yapici macht. Yapici hört Kinnert beim Telefonier­en zu und gibt ihm anschließe­nd konkrete Tipps, was er besser machen könnte. Außerdem gibt es einen wöchentlic­hen Austausch im gesamten Team, bei dem jeder die Schwierigk­eiten ansprechen kann, die er bei seinen Telefonate­n hat. Anschließe­nd überlegt sich jeder mögliche Lösungen – auch Azubi Paul Kinnert darf Vorschläge machen. Von Yapici hat Kinnert auch gelernt, dass es beim Telefonier­en auch darauf ankommt, so zu sprechen, als ob man seinem Gesprächsp­artner persönlich gegenübers­teht: „Wenn jemand lächelt oder gestikulie­rt, merkt man das. Auch durch den Hörer.“

Von dem bisher eher unbekannte­n Beruf Kaufmann für Dialogmark­eting hat der 20-Jährige durch Zufall von einem Freund erfahren, der seinerseit­s ein Praktikum bei Gastfreund gemacht hatte. Kinnert hat die Firma dann für ein Probearbei­ten angefragt, sich beworben und wenige Tage danach schon den Ausbildung­svertrag unterschri­eben. Bereut hat er die Entscheidu­ng nicht. Im Gegenteil: Wenn sich die Möglichkei­t ergibt, würde er gern auch nach seiner Ausbildung bei Gastfreund arbeiten. Am liebsten im Außendiens­t. Von den verschiede­nen Abteilunge­n, die er bei Gastfreund kennengele­rnt hat, hat ihm das bisher am besten gefallen.

Lehrstelle­noffensive Der Weg zum Traumberuf beginnt für viele mit einer Lehre. Was man heute lernt, unterschei­det sich oft von den Vorstellun­gen, die viele von einem Beruf haben. Die Digitalisi­e rung fließt zudem in die Lehre ein. In dieser Serie stellen wir Berufe, Azubis und ihren Werdegang vor.

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Foto: Martina Diemand Paul Kinnert an seinem Arbeitspla­tz bei Gastfreund.

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