Landsberger Tagblatt

Das zweite Berliner Flughafen Debakel

Volksbühne Die Hintergrün­de zum fluchtarti­gen Abgang von Intendant Chris Dercon. Und: Wer haftet jetzt?

- VON RÜDIGER HEINZE

Berlin Das Kind hat auf dem Brunnenran­d spielen dürfen – und sollen.

Und dann ist das Kind – obwohl alle Beteiligte­n dieses gefährlich­en Berliner Volksbühne­n-Experiment­s aus externer und interner Sicht gewarnt worden waren – in den Brunnen gefallen.

Derart stellt sich nun die Bilanz der siebenmona­tigen Intendanz von Chris Dercon an der Volksbühne Berlin dar. Viel kürzer kann eine Bühnen-Phase kaum ausfallen. Und jeden, der das Theater liebt, und jeden, dem das Theater herzlich egal ist, kann nur die nackte Wut packen über die Verschleud­erung von Kultur-Geldern einerseits und die Strukturze­rstörung an der Berliner Volksbühne anderersei­ts – auf dass ein Kind spielen kann auf dem Brunnenran­d und dann hinabfällt.

Wie ein Recherchev­erbund aus Rundfunk Berlin-Brandenbur­g, Norddeutsc­hem Rundfunk und Süddeutsch­er Zeitung ermittelt hat, begannen die letzten Stunden des Intendante­n Dercon in jenem Moment der vergangene­n Woche, als die Kassenlage des Theaters in der Berliner Kulturverw­altung dargelegt worden war. Heraus sei dabei die aufziehend­e Handlungsu­nfähigkeit der Volksbühne gekommen: Bis Ende 2018 seien keine Neuprodukt­ionen mehr möglich gewesen – auch weil viele der noch laufenden Produktion­en allenfalls zu einem Viertel ausgelaste­t sind.

Da stellt sich schnell die Frage nach dem Hintergrun­d des Finanzdeba­kels, das bis zum Abgang von Altintenda­nt Frank Castorf im Spätsommer 2017 solide gewirtscha­ftet hatte. Die Antwort lautet: Parallel zum Herunterdi­mmen des Ensemble- und Repertoire-Theaters im Stammhaus Volksbühne am RosaLuxemb­urg-Platz wurden – nichtkalku­liert – Millionen von Euro für Hallen-Umbauten im stillgeleg­ten Flughafen Tempelhof ausgegeben, auf dass dort teure Gastspiele stattfinde­n können. Und auch die Tempelhof-Miete nach dem Umbau wurde nirgends einkalkuli­ert. Das Ganze aber war 2015 eine Idee zwischen dem heutigen Regierende­n Bürgermeis­ter Michael Müller, Chris Dercon und dem damaligen Berliner Kulturstaa­tssekretär Tim Renner, der als verantwort­licher Politiker ebenso Seiteneins­teiger war wie der Museumsman­n Dercon als Theaterint­endant.

Nun steht die umgebaute Tempelhof-Halle leer, und die Volksbühne selbst krebst nach Strukturwa­ndlung dahin. Das ärztliche Bulletin zu ihrem Gesundheit­szustand lautet: „Also das Haus ist richtig ausgeblute­t auf allen Ebenen und kaputt“(Schaubühne­n-Leiter Thomas Ostermeier). Oder auch: „Ich will nicht pathetisch werden, aber es geht jetzt darum, dieses Theater zu retten“(Dercon-Nachfolger Klaus Dörr). Letzterer will „nach und nach ein Repertoire aufbauen und die Voraussetz­ungen für den Neuaufbau des Ensembles schaffen“.

Millionen verpokert, ein Theater zugrunde gerichtet: Wer haftet eigentlich für solches Hochrisiko­Spiel? – Da es an warnenden Stimmen nicht gemangelt hat. Der Berliner Tagesspieg­el berichtet, Kultursena­tor Klaus Lederer habe Dercon zum 30. September gekündigt und sofort freigestel­lt.

Sollte Dercon noch eine Abfindung erhalten, wer wird die dann zahlen? Bürgermeis­ter Michael Müller von seinem Gehalt?

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Foto: Paul Zinken, dpa „Ausgeblute­t auf allen Ebenen und ka putt“– ist die Berliner Volksbühne noch zu retten?

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