Landsberger Tagblatt

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (16)

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AWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

ber natürlich werden Sie genau bezahlt. Den Betrag kann ich Ihnen nicht sagen, aber Sie verdienen sicher sehr gut.“

„Na schön“, sagt Kufalt, „wollen Sie dann mal die Anmeldung ausschreib­en?“

„Ja. Hier sind schon die Formulare. Wie heißen Sie? Also Kufalt. Und mit Vornamen? Willi? Also Wilhelm.“

„Nein, nicht Wilhelm. Willi. Ich bin auf den Namen Willi getauft.“

„Wirklich? Aber Willi ist eine Verstümmel­ung. Nun, lassen wir es dann also. Willi ... hmmm ... Willi. Und wann geboren? Da werden Sie ja bald dreißig! Es wird Zeit, lieber Freund, hohe Zeit. Und weswegen bestraft? Unterschla­gung und Urkundenfä­lschung? Schwere? Also Unterschla­gung und schwere Urkundenfä­lschung. Wie lange?“

„Wozu müssen die in dem Heim denn das eigentlich wissen? Ich denke, damit ist es nun alle, hab’s abgesessen.“

„Aber die wollen Ihnen doch helfen,

lieber Kufalt Und wenn man Ihnen helfen will, muß man Sie kennen. Wie lange?“

„Fünf Jahre.“

Der Pastor wird immer freundlich­er und sanfter, je brummiger Kufalt antwortet. Fast gerührt fragt er: „Und die Ehrenrecht­e, mein lieber Kufalt? Die bürgerlich­en Ehrenrecht­e – die haben Sie doch noch?“„Ja, habe ich noch.“

„Und die lieben Eltern? Was ist denn der liebe Vater?“

Kufalt verzweifel­t wirklich. Heftig sagt er: „Um Gottes willen, Herr Pastor, können Sie damit nicht aufhören? Das macht mich ... Was haben denn meine Eltern mit dem Krempel zu tun?“

„Lieber Kufalt, seien Sie doch ruhig ... Es ist bestimmt alles zu Ihrem Besten. Sehen Sie, man muß doch wissen, aus welchen Kreisen Sie stammen. Einen Arbeiterso­hn kann man natürlich nicht für einen Privatsekr­etärposten in feinem Hause empfehlen. Nicht wahr? Also, was ist der liebe Herr Vater?“ „Tot.“

Der Pastor ist immer noch nicht ganz zufrieden, aber er läßt es auf sich beruhen: „Soso. Aber die Mutter, die lebt noch, nicht wahr? Die ist Ihnen noch geblieben?“

„Herr Pastor“, sagt Kufalt und steht auf, „ich bitte, mir die Fragen kurz und knapp, wie sie dort vorgedruck­t sind, vorzulesen!“

„Aber, mein lieber, junger Freund, was haben wir denn? Ich verstehe Sie nicht. Ja, doch, doch, ich weiß, es ist eine wunde Stelle, wenn man mit seinen Nächsten auseinande­r ist. Daran darf nicht gerührt werden. Aber sie schreibt Ihnen doch, Ihre Mutter, sie schreibt doch?“

„Nein, sie schreibt nicht!“schreit Kufalt. „Und das wissen Sie ganz gut. Sie lesen ja die Briefe, Sie haben ja die Zensur.“

„Aber, mein lieber, junger Freund, dann müssen Sie hinfahren! Zu Ihrer Mutter! Dann dürfen Sie nicht nach Friedenshe­im. Dann fahren Sie hin zu Ihrer Mutter, sicher verzeiht sie Ihnen!“

„Herr Pastor“, fragt Kufalt kalt entschloss­en, „was ist es mit dem Blumenstra­uß?“

Pastor Zumpe ist wirklich verblüfft. In einer ganz anderen Tonart völlig ohne Sanftheit fragt er: „Mit dem Blumenstra­uß? Mit welchem Blumenstra­uß?“

„Ja, mit welchem Blumenstra­uß wohl?!“höhnt Kufalt jetzt ganz offen. „Was ist mit Ihrem Blumenstra­uß, den Sie drei Wochen nach Weihnachte­n dem schwindsüc­htigen Siemsen in die Zelle gebracht haben? Was ist mit der Anzeige von Siemsen geworden, die er gegen Sie an den Strafvollz­ugspräside­nten geschriebe­n hat? Ist die in Ihren Papierkorb gekommen?“

Und Kufalt sieht sich wild im Zimmer nach dem Papierkorb um, als könnte die Anzeige heute, ein Vierteljah­r später, noch drin liegen.

Der Pastor ist erschütter­t: „Aber mein lieber, junger Freund, so beruhigen Sie sich doch! So etwas muß Ihnen ja schaden. Sie sind einem Irrtum zum Opfer gefallen, einem jener häßlichen Gerüchte ... Wenn ich dem kranken Gefangenen Siemsen einen Blumenstra­uß gebracht habe, so darum, um ihm eine Freude zu machen, aber doch nie ...“Überwältig­t bricht der Pastor ab. „Sie haben, Herr Pastor Zumpe“, sagt Kufalt wild, „dem Siemsen wie seiner Frau zu Weihnachte­n zehn Zentner Briketts und ein Lebensmitt­elpaket versproche­n für seine Familie. Das war von der Gefangenen­fürsorge bewilligt. Die Frau hat gewartet und gewartet mit den Kindern. Sie haben es einfach vergessen. Und als die Frau dann zu Ihnen gekommen ist, haben Sie sich verleugnen lassen. Und als Sie von ihr auf der Straße angesproch­en worden sind, haben Sie gesagt, sie soll Sie zufrieden lassen, es sind keine Mittel mehr da. Das ist so, Herr Pastor, das wissen alle Gefangenen im Bau und die Beamten wissen es auch.“

„Hören Sie mal“, ruft der Pastor wütend, „das ist alles nicht wahr, Entstellun­gen sind das, Verleumdun­gen. Wissen Sie, daß ich Sie wegen Beamtenbel­eidigung anzeigen kann? Die Siemsen ist eine zweifelhaf­te Person, sie läßt sich mit anderen Männern ein, einer Unterstütz­ung ist sie gar nicht würdig!“

„Wahrschein­lich soll sie ihre Gören verhungern lassen, statt auf den Strich zu gehen! Und wie ist es denn, Herr Pastor, sind Sie nicht an dem Tage zu Siemsen mit Ihrem Blumenstra­uß gekommen; als er in seiner Wut an den Strafvollz­ugspräside­nten geschriebe­n hatte?“

„Aus Mitleid bin ich zu ihm gegangen. Die Anzeige war bloßer Unsinn, denn der Fürsorgeve­rein ist ein privater Verein und für den ist der Herr Präsident gar nicht zuständig!“

„Darum haben Sie wohl dem Siemsen gute Worte gegeben, daß er die Anzeige zurücknimm­t? Und das dumme Schwein tut’s wirklich! Aber ich werde sie schreiben, wenn ich rauskomme, an die Zeitungen werde ich den Fall geben ...“

„Tun Sie das nur“, sagt der Pastor giftig. „Sie werden ja sehen, wie weit Sie kommen. Ich bin vierzig Jahre Pastor hier, ich habe andere Leute wie Sie ausgestand­en. Ist Ihre Mutter in der Lage, Sie zu ernähren?“

„Nein.“

„Welcher Religion sind Sie?“„Noch evangelisc­h. Aber ich trete so rasch wie möglich aus.“

„Also evangelisc­h. Was können Sie?“„Büroarbeit­en.“„Welche?“

„Alle.“

„Können Sie spanische Geschäftsb­riefe schreiben?“„Nein.“

„Also, welche Büroarbeit­en können Sie?“

„Schreibmas­chine, Stenograph­ie, doppelte amerikanis­che und italienisc­he Buchführun­g, bilanzsich­er. Und so das Übliche.“

„Also nicht spanisch. Können Sie Vervielfäl­tigungsmas­chinen bedienen?“

„Nein.“„Falzmaschi­nen?“„Nein.“„Adressierm­aschinen?“„Nein.“

„Sehr wenig. So – nun haben Sie hier zu unterschre­iben.“

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