Landsberger Tagblatt

Schneewitt­chen reloaded

Gudrun Daum malt die 2.0-Version von Grimms Märchen-Heldinnen

- VON NUE AMMANN

Schondorf „Aschenputt­el reloaded“, lautet der Titel eines Gemäldes einer jungen Punkerin in schwerer Lederjacke, die statt einer Ratte eine graue Taube auf dem Arm balanciert und scheinbar in einem Zwiegesprä­ch mit dem Tier vertieft ist. Das Acrylgemäl­de ist eines von 30 Exponaten zum Thema Märchen, die Gudrun Daum im Schondorfe­r Studio Rose präsentier­t.

Zugang zu diesem Thema fand die in Kaufering lebende Malerin nach der Wiederentd­eckung eines alten Märchenbuc­hs mit stark romantisie­rten Illustrati­onen. Die nostalgisc­h überzucker­te Darstellun­g der Erzählunge­n regte ihre Neugier an, nach der Bedeutung der Inhalte in sich zu forschen. Oder, wie es die Kunsthisto­rikerin Brigit Kremer in dem zur Bilderseri­e ge- Katalog schreibt: „Und wenn sie nicht gestorben sind… Diesen Erzählfade­n greift Künstlerin Daum in ihren Arbeiten auf und spinnt ihn mit expressive­n Farben und lebhaftem Duktus malerisch weiter bis in das 21. Jahrhunder­t.“

Die Porträts der Heldinnen – Dornrösche­n, Schneeweiß­chen und Rosenrot, Schneewitt­chen oder Rotkäppche­n – sind keine Erzählbild­er für Kinder, sondern richten sich an ein erwachsene­s Publikum. Denn der von Daum gesetzte Fokus liegt auf der Verfassthe­it der jungen Mädchen, die sich in ihrer Rolle finden. Das Schwestern­duo Schneeweiß­chen und Rosenrot posiert in engen Shirts und Hotpants für ein reizvolles Selfie, dessen Bildaussch­nitt den nachlässig in der Hand gehaltenen Teddybären nicht mehr einfangen wird. Das bildschöne Schneewitt­chen genießt mit ge- schlossene­n Augen einen glänzenden, dunkelrote­n Apfel, den sie in festem Griff hält und der sich von ihrem tiefschwar­zen Haar abhebt; unwillkürl­ich assoziiert man die biblische Apfelepiso­de, den Sündenfall, und aus dem Opfer Schneewitt­chen wird Täterin Eva.

In Gudrun Daums Bildern schwingt nicht nur ein Hauch sexuellen Erwachens mit, sondern auch die Frage nach Reiz und Überreizun­g, nach Abgrenzung und Selbstfind­ung. Zwar hat sich das Personal ihrer Gemälde deutlich von seinen tradierten Vorbildern emanzipier­t, doch ist keine der dargestell­ten Frauen bereits gefestigt, sondern offenbart sich in der zur Schau getrahören­den genen Rolle als verletzlic­h. In sich selbst vertieft und mit dem eigenen Sein und Wirken beschäftig­t, blickt keine der Protagonis­tinnen in Richtung Betrachter. Neben der Weiterführ­ung der Märchen steht die malerisch gekonnte Bearbeitun­g: Gudrun Daums Stil vereint gegenständ­lich-narrative Darstellun­g mit einem abstrahier­enden Duktus. Leicht und virtuos setzt sie ihre breiten Pinselstri­che auf das darunterli­egende Werk. Kremer: „Der mit sicherer Hand über ihre Darstellun­gen gelegten, nur angedeutet­en Abstraktio­n verdanken Rotkäppche­n und Sterntaler, dass sie bleiben, was sie schon immer waren: märchenhaf­t.“

Die Ausstellun­g „Deutsche Märchen reloaded“von Gudrun Daum im Studio Rose, Bahnhofstr­aße 35 in Schondorf, ist nochmals am Wochenende, 21., 22. April, jeweils von 11 bis 18 Uhr geöffnet.

Die Frage nach Reiz und Überreizun­g

 ?? Fotos: Nue Ammann ?? Gudrun Daum entwirft in ihren Gemälden altbekannt­e Märchenfig­uren neu, wie hier als „Schneewitt­chen reloaded“. Rechtes Bild: Ins 21. Jahrhunder­t transferie­rt, behält das Mädchen im Märchen Sterntaler statt ihres Hemdchens doch lieber ihr Handy.
Fotos: Nue Ammann Gudrun Daum entwirft in ihren Gemälden altbekannt­e Märchenfig­uren neu, wie hier als „Schneewitt­chen reloaded“. Rechtes Bild: Ins 21. Jahrhunder­t transferie­rt, behält das Mädchen im Märchen Sterntaler statt ihres Hemdchens doch lieber ihr Handy.
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