Landsberger Tagblatt

Fünf Jahre nach Rana Plaza

Handel 2013 stürzte die Textilfabr­ik ein, 1100 Menschen starben. Für Verbrauche­r war das ein Weckruf. Heute hat sich viel verändert, der Preisdruck ist aber noch immer ein Problem

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Dhaka Weniger als eine Minute bräuchten seine Arbeiter bei Brandschut­zübungen, um das Gebäude zu räumen, erzählt Nashir Uddin Mia. In seiner Textilfabr­ik One Composite Mills 30 Kilometer nördlich von Bangladesc­hs Hauptstadt Dhaka werden T-Shirts und andere Kleidung für US-Firmen und auch die deutsche Handballma­rke Kempa hergestell­t. Auf den Boden gemalte Pfeile weisen in Richtung Ausgang, im Treppenhau­s hängen Evakuierun­gspläne und an den Wänden Feuerlösch­er. An den Deckenlamp­en sind Schilder befestigt, die auf eine Hotline für Beschwerde­n über mangelnde Sicherheit­svorkehrun­gen hinweisen.

Dass in der Textilindu­strie des südasiatis­chen Landes lange ganz andere Verhältnis­se herrschten, erfuhr die Welt vor fünf Jahren, am 24. April 2013, als das achtstöcki­ge Rana-Plaza-Fabrikgebä­ude am Rande von Dhaka einstürzte und mehr als 1100 Menschen ums Leben kamen.

Für die Greenpeace-Textilexpe­rtin Kirsten Brodde war die Katastroph­e im Rückblick ein Wendepunkt, der die Wahrnehmun­g vieler deutscher Konsumente­n veränderte. „Man konnte plötzlich sehen, wie skandalös die Produktion­sbedingung­en in der Textilindu­strie waren“, sagt sie. „Danach war es nicht mehr möglich, einfach wegzugucke­n.“

Auch jede Firma beschäftig­e sich seit Rana Plaza mit Nachhaltig­keit, meint Thomas Lange, Hauptgesch­äftsführer des Verbandes der deutschen Modeindust­rie GermanFash­ion. Er sagt: „Dieses Thema werden wir nicht mehr loswerden“, warnt aber auch vor übertriebe­nen Erwartunge­n: „Das ist ein langer Weg und kein einfacher.“

Kurz nach dem Unglück unterschri­eben mehr als 200 ausländisc­he Unternehme­n, die in Bangladesc­h Kleidung produziere­n lassen – darunter auch viele deutsche – mit den lokalen Gewerkscha­ften ein rechtsverb­indliches Abkommen für Brandschut­z und Gebäudesic­herheit. Das hatte unter anderem Inspektion­en in mehr als 1800 Fabriken zur Folge – viele Mängel wurden behoben und manche Fabriken geschlosse­n. Vereinbart wurde allerdings eine Laufzeit von fünf Jahren – das Accord genannte Abkommen läuft also Ende Mai aus.

Viele der internatio­nalen Markenhers­teller haben inzwischen ein Nachfolgea­bkommen – das 2018 Accord – unterschri­eben. Industrie und Regierung seien darüber aber nicht glücklich, weil die neue Vereinbaru­ng die Arbeitnehm­errechte stärke, berichtet Amirul Haque

Präsident der Nationalen Gewerkscha­ft der Textilarbe­iter.

„Darüber sprechen wir nicht“, sagt der Chef der Textilindu­strieVerei­nigung BGMEA, Siddiqur Rahman, zum 2018 Accord. Die Regierung habe entschiede­n, dass das bisherige Abkommen zunächst für eine sechsmonat­ige Übergangsp­hase weiterlauf­e, bis eine neu geschaffen­e Behörde die Aufsicht über die Fabriken übernehme.

Gerne erzählt Rahman aber, dass es in seiner Industrie keine Kinderund Zwangsarbe­it mehr gebe, dafür Sprinklera­nlagen und Brands chutztüren.Si ebender zehn umweltfreu­ndlich stenFabrik­end er Welt stünden in Bangladesc­h. „Wir können nun stolz sagen, dass unsere Fabriken die sichersten der Welt sind“, meint er.

Die Exporteinn­ahmen der Textilbran­che – von denen die Wirtschaft des Landes, einem der ärms-

ten der Welt, stark abhängt – werden Rahman zufolge in diesem Jahr voraussich­tlich um zehn Prozent auf mehr als 30 Milliarden US-Dollar – umgerechne­t gut 24 Milliarden Euro – steigen.

Auch Gewerkscha­ftschef Amin sieht Fortschrit­te, etwa die deutlich gesunkenen Zahlen der Brände und Einstürze. Es sei aber noch nicht genug, sagt der Träger des Nürnberger Menschenre­chtspreise­s. Zwangsüber­stunden gebe es zum Beispiel in den Fabriken, die direkt für die ausländisc­hen Marken produziere­n, wohl nicht mehr – bei den Subunterne­hmern aber schon. Und der Mindestloh­n der Textilarbe­iter sei zwar von 3000 Taka im Monat auf 5300 Taka (etwa 51 Euro) erhöht worden. Aber: „Davon kann man nicht leben – nicht einmal, wenn man keine Familie hat.“

Bangladesc­hs Informatio­nsminister Hasanul Haq Inu stellt eine deutAmin,

liche Erhöhung des Mindestloh­ns in Aussicht. Er beklagt aber auch, dass ausländisc­he Auftraggeb­er nicht genug für Kleidung aus Bangladesc­h zahlten. Das Land habe auf Wunsch der Firmen im Westen viel getan: „Wir haben die Kinderarbe­it abgeschaff­t, Sicherheit­smaßnahmen eingeführt, in Umweltvert­räglichkei­t investiert, das Arbeitsrec­ht verbessert“, zählt der Minister auf. Inu, der auch Chef der Sozialisti­schen Partei ist, wünscht sich im Gegenzug mehr Entgegenko­mmen der Markenhers­teller. Ins gleiche Horn stößt Fabrikbesi­tzer Mia. Große Auftraggeb­er wie Primark, Aldi, Lidl, Kik und H&M drückten die Preise, sagt er. So könne man kein Geld verdienen. Wenn ein Verbrauche­r im Westen statt drei Bier nur zwei trinken würde, rechnet Mia vor, könne er es sich leisten, einen Dollar mehr für ein Hemd auszugeben. N. Kaiser und E. Reimann, dpa

 ?? Fotos: Gordon Welters, epd, Munir uz Zaman, afp, Nick Kaiser, dpa ?? Der Einsturz des Hochhauses Rana Plaza (oben links) erschütter­te die Welt. Heute weisen etwa in der Textilfabr­ik One Composite Mills (unten) Pfeile auf dem Boden den Weg zum Ausgang.
Fotos: Gordon Welters, epd, Munir uz Zaman, afp, Nick Kaiser, dpa Der Einsturz des Hochhauses Rana Plaza (oben links) erschütter­te die Welt. Heute weisen etwa in der Textilfabr­ik One Composite Mills (unten) Pfeile auf dem Boden den Weg zum Ausgang.
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