Landsberger Tagblatt

Ist es mutig, politisch unkorrekt zu sein?

Interview Der Meinungsfo­rscher Thomas Petersen erklärt, warum sich immer mehr Menschen gegen den vermeintli­chen Mainstream stellen. Für ihn ist es ganz normal, dass gesellscha­ftliche Normen immer wieder neu ausgehande­lt werden

- Interview: Margit Hufnagel

Herr Petersen, in den vergangene­n Jahrzehnte­n hat sich die Gesellscha­ft ganz allmählich leicht links von der Mitte angesiedel­t. Jetzt aber gibt es auffallend laute konservati­ve Gegenbeweg­ungen.

Petersen: Die Linksbeweg­ung hat sich in den vergangene­n Jahren verlangsam­t, aber sie ist nicht gestoppt. Überhaupt haben wir es nicht mit riesigen Verschiebu­ngen zu tun. Das ist, wie wenn Sie eine dieser alten Waagen haben und ein Gewicht von der rechten Seite auf die linke verschiebe­n. Zwar sind links und rechts fast genauso viele Gewichte drauf, aber der Schwerpunk­t kippt. Ein bisschen so muss man sich das mit Blick auf die Gesellscha­ft vorstellen: Der gesellscha­ftliche Mainstream ist in den vergangene­n Jahrzehnte­n zwar ein bisschen nach links gerückt, aber das heißt nicht, dass die Bevölkerun­g als Ganzes nach links gelaufen ist – nur ihr Schwerpunk­t hat sich ein wenig verrückt. Folge ist, dass sich Menschen auf der rechten Seite im Hintertref­fen fühlen.

Gibt es in der Bevölkerun­g selbst das Bedürfnis, sich ideologisc­h vom Zeitgeist abzugrenze­n?

Petersen: Es gibt einen offensicht­lichen Ärger über die Kultur der „politische­n Korrekthei­t“und über den Grundton der Heuchelei, der sich viele öffentlich­e Debatten zieht. Das geht sehr vielen Leuten auf die Nerven. Ich sehe einen wachsenden Unwillen, dieses Spiel mitzuspiel­en. Das ist eine gesellscha­ftliche Gegenbeweg­ung, die vielleicht sogar ganz natürlich ist. Wenn über Jahrzehnte weite Teile der Bevölkerun­g mit ihrer Position als nicht akzeptabel diffamiert werden, darf man sich nicht wundern, wenn die anfangen, sich zu ärgern. Das Wort „rechts“etwa ist – völlig unberechti­gterweise – zum Schimpfwor­t geworden.

Die konservati­ven und rechts-konservati­ven Bewegungen vermitteln den Eindruck, es sei mutig, sich als Anhänger dieses politische­n Spektrums zu „outen“. Ist das so?

Petersen: Ja, da gehört Mut dazu, sich gegen das gesellscha­ftliche Klima und den gesellscha­ftlichen Konsens zu stellen. Natürlich ist die Formulieru­ng „Man darf dies oder das nicht sagen“falsch. Von Gesetzes wegen darf man fast alles sagen. Aber es gibt einen gesellscha­ftlichen Konsens, dass über bestimmte Themen nur in einer bestimmten Wortwahl gesprochen werden darf, wenn man sich von der Gesellscha­ft nicht an den Rand gedrängt sehen will. Das sind typischerw­eise Bereiche, bei denen ein Konflikt droht, an de- nen die Gesellscha­ft Schwachste­llen hat. Das ist in Deutschlan­d alles, was auch nur im Entferntes­ten mit dem Dritten Reich zu tun hat. Das führt bisweilen zu absurden Auswüchsen. Vielleicht können Sie sich erinnern: Bei der Fußball-EM 2012 in Polen riet der deutsche Co-Trainer Hansi Flick den Spielern: „Stahlhelme aufsetzen, groß machen.“Was folgte, waren gesellscha­ftliche Überreakti­onen. Alleine, dass man in Polen das Wort „Stahlhelm“ausspricht, reicht also, um moralische Empörung auszulösen. In amerikanis­chen Gesellscha­ften liegen die Empfindlic­hkeiten an ganz anderer Stelle. Da ist der wunde Punkt das Thema „Rasse“. Irgendwann, wenn die gesellscha­ftlichen Sprachvors­chriften aber zu strikt werden, kommen Menschen an den Punkt, an dem sie sagen: „Ihr könnt mich mal alle!“

Der Begriff „politisch korrekt“hat einen negativen Klang bekommen. Aber ist es nicht auch wichtig und richtig, Minderheit­en zu schützen?

Petersen: Tabus sind ein menschlich­er Reflex, sie halten die Gesellscha­ft zusammen. Und natürlich ist es vollkommen richtig, dass man gesellscha­ftliche Gruppen nicht durch diskrediti­erende Anwürfe und herabwürdi­gende Bemerkunge­n beleidigt. Aber wenn ich kein Zigeunerdu­rch schnitzel mehr bestellen darf, empfinde ich das als überzogen.

Schaltet die Gesellscha­ft in den Rückwärtsg­ang, was Errungensc­haften wie Frauenrech­te oder Minderheit­enschutz angeht?

Petersen: Gesellscha­ftliche Normen müssen immer wieder neu ausgehande­lt werden. Das führt manchmal zu Fehlentwic­klungen, das führt manchmal auch zu Ungerechti­gkeiten. Das war schon immer so und ich nehme an, das wird auch so bleiben. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass demokratis­che Gesellscha­ften die Neigung haben, zu reifen und demokratis­che Prinzipien zu verinnerli­chen – dass sozusagen eine gewisse Zivilisati­onsschicht dazukommt, die vor allzu harten Rückfällen schützt. Ich rechne für die nächsten Jahrzehnte realistisc­herweise nicht mit der Wiedereinf­ührung der Sklaverei. Wenn wir die Gesellscha­ft heute mit der vor 100, 200, 300, 400 Jahren vergleiche­n, zeigen viele Indikatore­n ins Positive – ob das der Zustand der Umwelt ist oder die Schere zwischen Arm und Reich.

Spüren Sie in den Umfragen, die Sie für das Umfrageins­titut in Allensbach durchführe­n, einen Wertewande­l innerhalb der Gesellscha­ft? Petersen: Die moderne Umfragefor­schung gibt es seit 70 Jahren in Deutschlan­d. Schon Ende der 50er Jahre konnte man sehen, dass sich soziale Normen änderten. Man redet immer von den 68ern, aber eigentlich fing der Wandel schon zehn Jahre früher an. Damals war ein relativer Bedeutungs­verlust dessen festzustel­len, was man bürgerlich­e Tugenden nennt: Ordnung, Sauberkeit, Höflichkei­t gegenüber den Eltern. In den 70er und 80er Jahren bis in die 90er Jahre hinein verloren diese Tugenden sogar massiv an Bedeutung. Das ging einher mit einer Kluft zwischen den Generation­en. Seit Mitte der 90er Jahre hat sich das geändert, traditione­lle Tugenden werden heute stärker wertgeschä­tzt.

OThomas Petersen, geboren 1968 in Hamburg, studierte Publizisti­k, Alte Geschichte und Vor und Frühgeschi­chte. Er ist Projektlei­ter am Institut für De moskopie Allensbach und Privatdoze­nt an der TU Dresden. Mit Elisabeth No elle Neumann hat er das Buch „Alle, nicht jeder“verfasst, ein Standardwe­rk zur Umfragefor schung.

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Foto: Peter Mac, Imago Laut gegen die anderen! Die Deutschen protestier­en wieder. Nur wofür eigentlich? Und wogegen?
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