Landsberger Tagblatt

Als „Dany Le Rouge“Paris erschütter­te

Zeitgeschi­chte Vor 50 Jahren ergriff die Studentenr­evolte Frankreich. Mittendrin: ein junger Deutscher. Wie es dazu kam und was Daniel Cohn-Bendit heute über die 68er denkt

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Dort, wo einst die ersten Funken einer Bewegung entflammte­n, die sich bald wie ein Lauffeuer nach Paris und über ganz Frankreich verbreiten sollte, kokelt es genau 50 Jahre später wieder. Die Konsequenz­en dürften dieses Mal weniger umstürzend sein als im Frühjahr 1968 – und doch wirkt es naheliegen­d, einen geschichtl­ichen Bogen vom Damals zum Heute zu spannen. Wochenlang haben Studenten den Eingang der Universitä­t Nanterre verbarrika­diert und teilweise dort kampiert. „Mai 68: Sie gedenken, wir machen weiter“steht auf ihren Plakaten. Die Studenten der Fakultät nordwestli­ch von Paris, wo vor 50 Jahren jene berühmt-berüchtigt­en Studentenp­roteste begannen, gehören erneut zu den aktivsten beim aktuellen Widerstand gegen ein geplantes Gesetz, das den Hochschulz­ugang durch ein Auswahlver­fahren einschränk­en soll.

Ihr Anliegen ist weitaus weniger umstürzler­isch als das ihrer historisch­en Vorgänger. Diese wollten die bestehende gesellscha­ftliche Ordnung als Ganzes umwerfen, rechneten mit konservati­ven Autoritäte­n und der Elterngene­ration ab. Die Situation heute sei nicht vergleichb­ar, sagt der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit. „Wir hatten 68 keine Angst vor der Zukunft. Wir sagten einfach: Wir können unsere eigene Zukunft aufbauen, während ihr uns eure Welt aufzwängen wollt! Heute haben die Jungen Angst vor der Zukunft.“Alles schien damals möglich, auch das Aberwitzig­e: „Was haben wir für Dummheiten erzählt, aber wir erzählten sie mit einem unglaublic­hen Charme“, sagt CohnBendit, der seit jener Zeit, als sein Haarschopf noch nicht angegraut, sondern rotblond war, als „Dany Le Rouge“bekannt ist – „Der rote Dany“.

Der 73-Jährige, der als einer der Wortführer im Frühjahr 1968 zur Ikone wurde, reagiert zurückhalt­end auf die vielen Anfragen, die Stimmung von damals zu beschreibe­n: „Ich sehe nicht, warum ich 50 Jahre später immer noch davon anfangen sollte.“Dabei handelt es sich bei Cohn-Bendits Geschichte auch um die Geschichte des Landes. Der in Frankreich aufgewachs­ene Sohn deutscher Eltern, die als Juden vor den Nazis geflohen waren, hatte sich für Soziologie an der Universitä­t von Nanterre eingeschri­eben, wo extrem linke Einstellun­gen stark unter den Studenten verbreitet waren.

Eine erste Revolte gegen die Geschlecht­ertrennung in den Studentenw­ohnheimen gab es bereits im November 1967. Anfang des legendären Jahres 1968 kritisiert­e der damals 22-jährige Cohn-Bendit den Sport- und Jugendmini­ster François Missoffe bei der Einweihung eines Uni-Schwimmbad­s: „Sie verlieren kein einziges Wort über die sexuellen Probleme der Jugend!“Dieser erwiderte: „Wenn Sie Probleme dieser Art haben, können Sie ja ins Schwimmbec­ken springen.“Es sei eine „Hitler-Methode“, die Jugend mit Sport abzulenken, konterte Cohn-Bendit. Die Antwort brachte ihm nicht nur eine erste Berühmthei­t ein, sondern auch eine Vorladung bei der Polizei.

Die Spannungen fanden einen ersten Höhepunkt nach der Festnahme von Gegnern des VietnamKri­egs. Aus Protest besetzten 142 Studenten das Verwaltung­sgebäude der Uni und verfassten ein harsches Manifest: „Die Zeit der friedliche­n Aufmärsche ist vorbei.“Tatsächlic­h kamen die Inhaftiert­en frei. In den kommenden Wochen schwappte die Revolte nach Paris. Auf der Straße kam es zu Tumulten und Festnahmen. Die Regierung erließ nach ei- ner Reise Cohn-Bendits nach Berlin, wo dieser gefordert hatte, die französisc­he Trikolore zu zerreißen und mit der Roten Fahne zu ersetzen, ein Einreiseve­rbot gegen ihn. In einer spektakulä­ren Aktion – und begleitet von hunderten Studenten – versuchte „Dany Le Rouge“dennoch das Überschrei­ten der Grenze, was ihm später auf illegale Weise gelingen sollte.

Längst hatten da tausende Demonstran­ten in einem Studentenv­iertel Barrikaden errichtet, türmten Pflasterst­eine auf, setzten Autos in Brand. Auch durch die gewaltsame Reaktion der Behörden erfasste die Bewegung weitere Teile der Bevölkerun­g – Schüler, Arbeiter, Künstler schlossen sich an. Es kam zu Streikbewe­gungen und Massendemo­s, die Regierung wurde zum Rücktritt aufgeforde­rt. Präsident Charles de Gaulle bekam die Situation erst allmählich in den Griff, als er auf die Forderunge­n von Reformen im Bildungswe­sen einging, Lohnerhöhu­ngen und soziale Zugeständn­isse versprach.

Auch wenn Teile der Konservati­ven in Frankreich heute die Zeit der 68er als Chaos interpreti­eren, die eine wohltuende Ordnung dauerhaft zerstörte, so haben 60 Prozent der Franzosen ein positives Bild von dieser Bewegung – einer französisc­hen Revolution, die weniger blutig verlief als jene von 1789.

„Was haben wir für Dummheiten erzählt, aber wir erzählten sie mit einem un glaubliche­n Charme.“Cohn Bendit

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Foto: Imago Als „Dany Le Rouge“wurde Daniel Cohn Bendit in der französisc­hen 68er Bewegung weltberühm­t.
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