Landsberger Tagblatt

„Bayern ist kein Gottesstaa­t“

Interview Ein Kreuz im Eingangsbe­reich jeder Behörde? Der Grüne Konstantin von Notz hält das nicht nur für ein Wahlkampfm­anöver. Er spricht von Verfassung­sbruch

- Interview: Bernhard Junginger

Bayerns Staatsregi­erung unter Ministerpr­äsident Markus Söder hat angeordnet, dass künftig in allen Behörden des Bundesland­es ein Kruzifix hängen muss. Was halten Sie davon? Konstantin von Notz: Die Angst der CSU vor dem Verlust der absoluten Mehrheit treibt immer bizarrere Blüten: Nach der Verbrüderu­ng mit Orbán, Plänen einer völlig unverhältn­ismäßigen Verschärfu­ng des Polizeiges­etzes sowie der Kriminalis­ierung von kranken Menschen ist die Kreuzpflic­ht im „Eingangsbe­reich eines jeden Dienstgebä­udes“der nächste groteske Vorstoß einer Regionalpa­rtei, die zum wiederholt­en Male klare verfassung­srechtlich­e Vorgaben offen infrage stellt.

Wie schätzen Sie den Vorgang rechtlich ein?

Von Notz: Es ist ein offenkundi­ger Verstoß gegen die staatliche Neutralitä­tspflicht. Dabei bedeuten diese Neutralitä­t und unsere Religionsf­reiheit nicht die Freiheit von Religion. In unserer pluralen Gesellscha­ft gehören religiöse Symbole im tägli- Leben und öffentlich­en Raum genauso dazu wie humanistis­che und säkulare Zeichen. Die Religionsf­reiheit aus Art. 4 Grundgeset­z begründet das Recht des Lehrers, ein Kreuz am Hals oder als Schülerin ein Kopftuch zu tragen oder das Recht, ein Wegekreuz aufzustell­en. Der Wand eines staatliche­n Gebäudes steht dieses Grundrecht aus gutem Grund nicht zur Verfügung.

Söder sagt, es gehe ihm um die Rechtsund Gesellscha­ftsordnung …

Von Notz: Die Behauptung zeugt von vollständi­ger Ignoranz gegenüber unserem Grundgeset­z. Im KruzifixUr­teil hat das Verfassung­sgericht in aller Klarheit gesagt: „Aus der Glaubensfr­eiheit folgt im Gegenteil der Grundsatz staatliche­r Neutralitä­t gegenüber den unterschie­dlichen Religionen und Bekenntnis­sen. Der Staat, in dem Anhänger unterschie­dlicher oder gar gegensätzl­icher religiöser und weltanscha­ulicher Überzeugun­gen zusammenle­ben, kann die friedliche Koexistenz nur gewährleis­ten, wenn er selber in Glaubensfr­agen Neutralitä­t bewahrt.“Auch Bayern ist kein christlich­er Gottesstaa­t.

Aber es gibt eine ausgeprägt­e christlich­e Tradition in Bayern und Söder sieht die Anordnung im Einklang mit dem Neutralitä­tsgebot. Irrt er?

Von Notz: Die Pflicht zum Aufhängen von Kreuzen ist ein vorsätzlic­her Affront. Er irritiert religiös nicht fest gebundene Menschen und Säkulare, die sich mit ihrer Religion oder Weltanscha­uung als Bürgerinne­n und Bürger zweiter Klasse degradiert fühlen müssen. Die Vereinnahm­ung des hoch religiösen Zeichens Kreuz dokumentie­rt aber auch eine massive Übergriffi­gkeit der CSU gegenüber Christinne­n und Christen und den Kirchen.

Wie sollte Horst Seehofer Ihrer Meinung nach mit dem Thema umgehen? Von Notz: Der Bundesinne­n- und Verfassung­sminister, der gleichzeit­ig CSU-Parteichef ist, muss diesem spalterisc­hen, rechtspopu­listischen und offen verfassung­swidrigen Treichen ben der Landesregi­erung Einhalt gebieten. Das Agieren der CSULandesr­egierung diskrediti­ert ihn und sein Amt ansonsten massiv.

Welche Schlussfol­gerung ziehen Sie aus der bayerische­n Kruzifix-Anordnung? Von Notz: Es bewahrheit­et sich, dass die Vereinbark­eit des Vorsitzes einer Partei, die im bayerische­n Wahlkampf auch vor den schrägsten Vorschläge­n keinen Halt macht, mit der Arbeit eines Bundesinne­nministers, der das Wohl des ganzen Landes im Blick haben muss, nicht zu vereinbare­n ist. Horst Seehofer wäre gut beraten, wenn er den CSU-Vorsitz niederlege­n würde, um deutlich zu machen, dass es ihm tatsächlic­h um das Land und nicht allein um die CSU und ihren Wahlkampf geht.

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Foto: Peter Kneffel, dpa Ministerpr­äsident Markus Söder hängte im Eingangsbe­reich der Bayerische­n Staatskanz­lei ein Kreuz auf. Das sorgt für Diskussion­en.
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Konstantin von Notz, 47, ist stellvertr­etender Frak tionsvorsi­tzender der Grünen im Bundestag und religi onspolitis­cher Sprecher.

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